19. Kapitel

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Toby lag im Bett und starrte teilnahmslos an die Decke. Seine Vorhänge waren zugezogen.
Seit sechs Wochen sass er jetzt schon hier fest. In dieser Zeit, hatte er sein Zimmer, nicht öfters als nötig verlassen. Er vertraute diesem Alan nicht. Niemand würde ganz selbstverständlich zwei sonderbare Jungen, die praktisch aus dem Nichts auftauchten, bei sich aufnehmen.
Dieser Alan spielte ein falsches Spiel, das war Toby nun klar. Doch wie sollte er das auch Danny begreiflich machen.
Toby hatte versucht, mit Danny zu reden. Ihm zu verstehen zu geben, wie gefährlich der Fremde war. Danny jedoch, schwärmte ihm stattdessen etwas von verschiedenen Rassen und Augenfarben vor. Dinge, von denen Toby noch nie etwas gehört hatte. Energisch hatte er den Kleinen abgewimmelt. Man durfte den Worten dieses Mannes nicht glauben schenken.
Stattdessen machte er sich Sorgen um Danny. Der Kleine schien vollkommen eingenommen von dem Fremden. Wann immer Toby ihn nun zu Gesicht bekam, saß er lesend in einer Ecke. Er verbrachte jetzt auch viel Zeit im Keller. Dannys Erzählungen nach, lag dort unten eine riesige Bibliothek. Bis jetzt hatte Toby jedoch jede Aufforderung, nach unten mitzukommen, ausgeschlagen. Auf keinen Fall, würde er diesem Mann mitgehen.
Mit seinem unverletzten Arm, zog er ein Taschenbuch unter dem Bett hervor, dessen Seiten bereits vergilbten. Es war eines der Bücher, die Danny nun immer stapelweise mit nach oben schleppte. Toby hatte es in einem schwachen Moment mitgehen lassen. Denn obwohl er beständig versuchte, sich gegen all die neuen Eindrücke zu wehren, brannte ein Teil von ihm doch voller Neugier.
Einen Moment starrte er auf den Einband. Sieben Augen waren darauf abgebildet. Das Buch hatte ihm Unfassbares offenbart. Ihm fiel es bloß schwer, das Ganze zu glauben.
Er legte das Buch zur Seite und stand auf. Durch das Fenster konnte er nichts, als die gegenüberliegende Hausfassade sehen. Diese war fleckig und vergilbt.
Er seufzte. Wie gern hätte er über die Dächer der Stadt geblickt. Vielleicht hätte er in der Ferne die Klippe sehen können, sein Zuhause nach dem er sich so sehnte.
Er bewegte seinen Arm in der Schlinge. Bald würde er geheilt sein, dann konnte er endlich wieder nach Hause. Ihm war noch nur noch nicht klar wie und ob Danny dabei sein würde.
Gedämpft, vernahm er ein schepperndes quietschen. Hoffnungsvoll richtete er sich auf. Es klang, als würden sie wieder den Lift benützen. Das bedeutete sie würden für einige Stunden unten bleiben. Befreit atmete er auf.
Ganz langsam, öffnete er seine Zimmertür. Wenn Danny und Alan weg waren, holte er sich meistens etwas zu essen und ein neues Buch, um sich die Zeit zu vertreiben.
Gestern jedoch, hatte er in einem Anflug von Übermut versucht, die Tür zum Raum auf der Galerie zu öffnen. Der Raum, in dem Alan offensichtlich etwas zu verbergen schien. Doch sie war verschlossen gewesen.
Nun, stand Toby unschlüssig im Treppenhaus. Er hatte es satt, den ganzen Tag rumzusitzen und nichts unternehmen zu können, während Danny sich immer mehr einwickeln ließ. Wenn es nichts half, mit dem Jungen zu reden, musste er die Schuld von Alan halt beweisen. Skeptisch sah er nach oben. Bis jetzt, hatte er sich immer nur in den unteren Stockwerken rumgetrieben, was wenn das ein Fehler gewesen war. Das Haus war so groß, hier konnte man überall etwas verstecken, das andere nicht sehen sollten.
Entschlossen, stieg Toby die knarzenden Stufen hoch.

Der obere Stock lag vollkommen verlassen da. Der miefende Geruch alter Möbel, lag in der Luft. Über den Boden krabbelte eine Spinne an ihm vorbei. Toby verzog das Gesicht. Bedacht lief er in das nächstgelegene Zimmer, dessen Tür offen stand.
Vor den grossen Fenstern hingen rote Seidenvorhänge, die das Zimmer in gedämpftes Licht tauchten. Das Bett war fein säuberlich gemacht, als ob der Bewohner eben erst aufgestanden wäre. Links von Toby befand sich eine uralte Kommode, auf der zahlreiche Bilderrahmen drapiert waren.
Doch all dies nahm Toby nur am Rande wahr. Stattdessen starrte er entgeistert auf ein gigantisches Ölgemälde, welches die gesamte Linke Wand überzog.
Darauf abgebildet waren die Hügel des Schattentals, die sich wie wogende Wellen zu einem ganzen schlossen. Höfe und Tannen lagen überall verteilt. Im Hintergrund, konnte man einen atemberaubenden Sonnenuntergang bestaunen. Doch dies war nicht der Hauptgrund, warum Toby nun versteinert dastand.
Denn zuvorderst auf dem Bild prangte ein riesengrosser, majestätischer Adler.
Der schöne Vogel, schien gerade erst in den Blickwinkel des Malers hineingeflogen zu sein. Aus seiner Perspektive, war die Welt unter ihm ganz klein. Es war, als wollte er den Betrachter in das Bild mit hineinziehen.
Noch nie hatte Toby so etwas prachtvolles gesehen. Wie von selbst, bewegten sich seine Beine vorwärts. Er verspürte den Drang dem mächtigen Vogel zu folgen. Sich von ihm mitziehen zu lassen. Er wollte den Wind spüren, der durch sein Gefieder strich, die gute Luft riechen die man nur hoch oben fand und seine steifen Glieder endlich ausstrecken können.
Was hielt ihn noch hier unten. In der Luft war er frei und unbeschwert und die Welt nur ein winziger Fleck.
Vorsichtig berührten Tobys Hände, die Federn des Adlers. Sie waren ganz weich. Verträumt schloss er die Augen und konnte den Wind rauschen hören, zusammen mit dem beständigen auf und ab schlagen, der imposanten Schwingen.
Für einen Moment fühlte Toby sich vollkommen. Doch dann, war dieser Moment auch schon vorbei und Toby besann sich.
Bestürzt wich er sogleich zurück. Er umschloss seine Hand, als hätte er sich verbrannt. Sein Atem ging rasselnd.
Sein Blick blieb noch kurz an dem Bild hängen, dann wandte er sich angewidert ab. Seine Hände ballten sich zu Fäusten.
Schnellen Schrittes lief er zur Tür. Doch als er beinahe durch den Türbogen war, erspähten seine Augen etwas, das Toby den Atem raubte. Augenblicklich blieb er stehen, unfähig auch nur einen Schritt zu gehen. Seine Knie wurden weich. In Zeitlupe, drehte er sich zur Kommode, mit den verschiedenen Bilderrahmen.
Seine Hände zitterten als er ,wie ferngesteuert, nach einem ganz bestimmten griff.
Er blinzelte, weil sich ein Schleier vor seinen Augen gebildet hatte. Mit dem Ärmel wischte er den Staub vom Glas.
Auf dem Bild, waren zwei erwachsene Männer abgebildet. Frech grinsenden standen sie da, den Arm um den jeweils anderen gelegt. Wie zwei alte Freunde, die sich schon ewig kannten, sahen sie aus. Der eine war kleiner und hatte schwarzes Haar, während der andere gross, dunkelblond und mit einer etwas zu lang geratenen Nase daherkam.
Tobys Hände zitterten, als er aus seiner Jackentasche ein zusammengefaltetes Foto fischte und es neben das andere hielt.
Beide Fotos, waren absolut identisch.
Toby schluckte. Das konnte nicht sein. Warum befand sich ein Bild seines Vaters hier. Hilfesuchend sah er sich im Zimmer um und blieb schliesslich beim Bild des Adlers hängen.
Der Adler, Herr der Lüfte, sein Vater war einer gewesen.
Ein rasseln und knarzen erfüllte das Haus. Der Lift setzte sich in Bewegung, sie fuhren also wieder nach oben.
Zerstreut verstaute Toby eilig wieder alles an seinem Platz und hechtete die Treppe hinunter in sein Zimmer.
Sein Herz raste, als er die Tür hinter sich schloss. Fassungslos liess er sich auf die Knie fallen und vergrub den Kopf in seinem Schoss.

Bloody Legend - ColdbloodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt