41. Kapitel

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Alan wachte schlaftrunken auf. Es war noch früh am Morgen. Möwen zogen kreischend ihre Kreise über ihm. Sand klebte überall. Er streckte sich und rieb sich die Augen. Eine sanfte Meeresbrise weckte seine trägen Gedanken. Etwas war anders.
Vorsichtig tastete er neben sich nach Danny, doch er fasste ins nichts. Ruckartig drehte er sich um. Die Stelle an der der Junge gelegen hatte, war leer. Erneut wurde Alan von Panik erfasst. Er beschwor sich ruhig zu atmen.
Ihm vielen Spuren im Sand auf, die von der Kuhle in der Danny gelegen hatten, eine steile Düne hinaufführten.
Sogleich machte er sich daran ihnen zu folgen. Bei jedem dritten Schritt sank er ein, oder rutschte wieder an den Ausgangspunkt zurück. Schliesslich krabbelte er auf allen Vieren den Hang hoch. Der Wind blies hier oben stärker. Sand flog ihm ins Gesicht.
Oben angekommen entdeckte er zu seiner Erleichterung Danny. Der Junge stand am Rand der Düne und hatte ihm den Rücken zugewandt. Die hellen blonden Haare vom Wind zerzaust, starrte er aufs Meer hinaus. Am Horizont war gerade die Sonne dabei aufzusteigen und den neuen Tag einzuläuten.
Alan blieb hinter Danny zurück. Es war unverkennbar der schlaksige, feingliedrige Junge den er kannte, der da jetzt vor ihm stand. Doch trotzdem hielt ihn etwas davon ab, neben ihn zu treten. Etwas an Danny war anders.
Aber noch ehe er erkennen konnte was es war, erhob der Junge unvermittelt seine Stimme:" Goldenes Blut wird fliessen, in Rinnsalen durch die Gossen und sich vermischen mit dem Dreck. Ausgelöscht wird die magische Brut, bis auch der letzte Schrei eines jeden Säuglings erstickt. Vorbei ist die Zeit, der goldenen Herrlichkeit und wird auch nie mehr Wiederkehren."
Alans Blut gefror augenblicklich in seinen Adern. Innerhalb von Sekunden erschienen Bilder in seinem Kopf. Die Melodie eines schrecklichen Lieds, voller Spott und Häme drängte sich in seine Gedanken, wurde immer lauter bis Alan das Gefühl hatte sein Kopf würde explodieren. Er hatte das Bedürfnis sich die Ohren zu zuhalten, doch unfähig sich zu bewegen stand er einfach nur da und schnappte nach Luft.
„Woher kennst du diese Worte?", brachte er schliesslich mühsam hervor.
Danny drehte sich langsam zu ihm um. Seine Augen waren glasig. Er nahm Alan gar nicht richtig wahr und sah an ihm vorbei. Es schien als wäre Danny zwar körperlich anwesend, geistig aber ganz woanders:" Und du? Woher kennst du sie?".
Ein heftiger Windstoss erfasste sie. Alan richtete sich auf, um sich dagegen zu stemmen. Als sich der Wind wieder gelegt hatte, stand Danny immer noch am selben Punkt wie zuvor. An seinen dünnen Armen hatte sich ab der Kälte eine Gänsehaut gebildet. Mit seinen eingefallenen Schultern, dem dürren Körper und dem starren, in die Ferne gerichteten Blick, machte er den Eindruck beim nächsten Windstoss davon geweht zu werden.
Alan schluckte" Es ist ein Lied. Ein sehr hässliches Lied von dem ich wünschte ich hätte es vergessen."
„Warum?"
„Weil es diejenige Nacht besingt in der eine ganze Rasse brutal ermordet wurde."
„Dann ist es also wahr. Die Warmblüter wurden verbrannt?", Danny's Stimme war komplett emotionslos, was Alan etwas schockierte. Das war nicht der Danny den er kannte. Doch dann sah er genauer hin und erkannte, in den Augen des Jungen ein flackern, dass die Wand aus Eis durchbrach bis eine Träne über Danny's Wangen rann.
„Ist es das wovon du geträumt hast? Von einem grossen Feuer?", fragte Alan sanft.
Danny nickte stumm. Als er nun den Kopf hob lag ein unendlicher Schmerz in seinen Augen:" Nicht nur das. Ich hab es gespürt, Alan. Wie die Flammen sich in meinen Körper frassen, der Rauch mir den Sauerstoff nahm. Ich habe die Schreie nicht nur gehört sondern ich habe selber geschrien", Die Tränen liefen nun unaufhaltsam über seine Wangen, doch er machte sich nicht die Mühe sie wegzuwischen.
In diesem Moment kam er Alan so verletzlich vor, wie noch nie.
„Ich habe Angst Alan, was wenn es heute Nacht wieder passiert. Ich dachte immer Träume wären etwas wunderschönes, aber dieser Traum war so grausam", angstvoll sah Danny ihn an.
Alan nickte und schob nachdenklich seine verrutschte Brille zurück an ihren Platz. Plötzlich ergab es Sinn, weshalb Danny letzte Nacht beinahe an Überhitzung gestorben wäre. Er sah zu dem Jungen der gedankenverloren an ihm vorbei blickte.
„Möchtest du das ich dir von jener Nacht erzähle?", fragte er sanft, denn er wusste wie er sich damals gefühlt hatte, so verloren und allein ohne jegliche Antworten auf all die Fragen die ihn Beschäftigten.
„Würdest du das tun?", Dannys Tränenfluss war versiegt und er sah ihn nun bittend an.
Er nickte und sie setzten sich nebeneinander an den Rand der Dünen.
Dann began Alan zu erzählen, was er wusste:"Das was du meinst, ist weithin als „Die Nacht des goldenen Feuers" bekannt. Eine Nacht in der Tausende Menschenleben brutal hingerichtet wurden. Verbrannt auf einem gigantischen Scheiterhaufen. Wer genau dahintersteckt ist nicht vollkommen klar. Fest steht, dass sowohl Vollblüter als auch einige Halbblüter darin involviert waren. Sie sollen sich zusammengeschlossen haben, um ihre grössten Feinde - die Warmblüter - zu vernichten", er räusperte sich. Lange schon hatte er sich nicht mehr mit diesem Thema befasst;"Weisst du Danny, lange Zeit waren die Goldaugen, die Herrscher über diese Welt. Als Warmblüter konnten sie Zaubern und waren somit mächtig genug, um sogar die Schwarzaugen zu unterwerfen. Aber ebenso waren sie auch hochnäsig und gierig. Ihnen ging es immer nur um sich selbst. Es war allgemein bekannt, dass die Vollblüter ihren Titel für sich beanspruchten und in dieser Nacht haben sie es beinahe geschafft, alle Goldaugen zu vernichten."
„Wie?", Danny blickte ihn eindringlich an.
„Indem sie ihnen ihre grösste Waffe genommen haben. Niemand weiss, wie sie es geschafft haben, doch in dieser Nacht war es keinem einzigen Warmblüter möglich zu zaubern. Sie waren vollkommen hilflos."
Danny nickte betreten:" Und die Blauagen? Wurden sie auch in dieser Nacht ausgelöscht?".
Alan schüttelte den Kopf:" Die Kaltblüter verschwanden auf eine andere Weise. Bis heute ist nicht genau klar, was wirklich mit ihnen passierte. Viele sind der Meinung sie wären alle Opfer von einer mysteriösen Krankheit geworden, aber das ist nicht bewiesen. Die Kaltblüter waren schon immer ein kleines Volk von dem es nur wenige gab. Sie waren neutral gegenüber jeder Rasse. Sie haben sich nie auf eine Seite gestellt. Da sie keinerlei spezielle Eigenschaften besitzen, hätten sie keine Möglichkeit gehabt sich gross zu wehren."
Er sah wie sich die Augen des Jungen kurz aufflackerten, doch er schluckte seine Trauer tapfer hinunter:"Aber im Gegensatz zu den Kaltblütern haben sind nicht alle Warmblüter gestorben, oder? Du hast gesagt einige konnten sich auf die andere Seite retten", es war vielmehr eine Feststellung, als eine Frage.
„Ja, trotz der widrigen Umstände ist es einigen gelungen sich mithilfe von Schleppern einen Weg auf die andere Seite zu erkaufen. Viele von ihnen haben sich in Haneyra niedergelassen", ab Danny's neugierigem Blick fuhr er fort;"Haneyra war früher einmal die Stadt der Kaltblüter. Es ist einer der wenigen Orte auf der anderen Seite an denen man vor den Vollblütern sicher ist, da sie ebenfalls von einer, für die Vollblüter undurchdringlichen Mauer umgeben ist. Eine geschützte Insel inmitten des Bösen sozusagen", Alan zuckte mit den Schultern und versuchte die Gedanken an längst vergangene Zeiten zu verdrängen.
„Ist das unser Ziel auf der anderen Seite? Haneyra?"
Alan nickte geistesabwesend:" In Haneyra werden wir vorerst sicher sein und vielleicht finden wir dort auch etwaige Informationen über deine Herkunft."
Daraufhin sagte Danny eine Weile lang nichts, doch Alan sah ihm an, dass er angestrengt nachdachte.
„Und sie? Denkst du, dass sie auch in Haneyra ist?"
Die Frage traf Alan so unvermittelt, dass er zusammen zuckte. Bei der Erwähnung ihrer Person schien sich sein Herz jedes Mal vor Trauer zusammen zu ziehen. Überrascht wandte er seinen Kopf Danny zu, der ihn seinerseits mit festem und durchdringenden Blick ansah.
„Ich weiss es nicht!", meinte Alan schliesslich Hände ringend und blickte nach links in Richtung in der die Mauer lag:" Ich habe wirklich keine Ahnung", flüsterte er niedergeschlagen.
Sanft legte Danny eine Hand auf seine Schulter. Der Junge hob seinen Blick ebenfalls in Richtung Mauer.
„Haneyra", es war bloss ein flüstern doch aus dem Mund des Burschen bekam das Wort einen verheissungsvollen, geradezu magischen Klang. Aus den Augenwinkeln sah Alan die Entschlossenheit und Sehnsucht im Blicks des Jungen, was ihm aus einem unerfindlichen Grund eine befriedigende Zuversicht und innere Ruhe vermittelt.

„Er ist nicht hier.", Danny trat aus dem Schlafraum den er gerade durchsucht hatte, hinaus auf den Gang.
Alan kratzte sich ratlos am Kopf. Auch er hatte den gross gewachsenen Jungen, seit sie zum Karussell zurückgekehrt waren, nirgends entdecken können. Weder draussen am Strand noch unten in der Halle.
„Na ja, weit kann er nicht sein. Am besten du wartest vor dem Eingang, falls er wieder zurück kommt, während ich bei den Dünen nach im suche."
Doch Danny reagierte nicht mehr. Er schien mit einem Mal völlig abwesend zu sein. Wahrscheinlich war er immer noch desillusioniert von den Ereignissen letzter Nacht.
Alan liess ihn allein und machte sich sogleich auf den Weg. Er konnte nur hoffen, dass sich Toby nicht zu weit entfernt hatte. Der unstete Junge hatte keine Ahnung welchen Gefahren er sich aussetzte.

Bloody Legend - ColdbloodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt