63. Kapitel

48 3 0
                                    

Toby zuckte zusammen, als etwas mit voller Wucht in sein Gesicht klatschte und ihn unsanft aus dem Schlaf riss. Er öffnete seine Augen und erkannte den Übeltäter in einem blonden Jungen, der unschuldig, einem Engel gleich neben ihm lag. Murrend entledige er sich dessen feingliederiger Hand die auf seinem Gesicht ruhte.
Er stand bedauernd auf und trat hinaus. Durch das dichte Blätterdach des Baumes drang kein  Tageslicht, weshalb sich Toby unsicher war, ob es bereits morgen war. Ohne die hell scheinenden Kugeln, wäre es hier unten kalt und dunkel gewesen.
Er entdeckte Ilan, der etwas in den Händen hielt, das ihm bekannt vorkam.
„Morgen Toby! Sieh mal, was den Weg zu uns gefunden hat", Ilan grinste voller Stolz.
„Aber...unsere Rucksäcke", perplex starrte Toby auf die drei Rucksäcke, die sie in der Herberge hatten zurücklassen müssen.
„Hier, sieh nach ob alles drin ist", Ilan war ihm den blauen Rucksack zu, der Toby's Sachen enthielt.
Er durchforstete den Rucksack und stellte überrascht fest, dass es wahrhaftig sein eigener war:" Aber, wie ist das möglich?", fragte er skeptisch.
Ilan grinste bloss dümmlich.
Toby wollte zu einer weiteren Frage ansetzten, doch Ilan sah an ihm vorbei und meinte:" Guten Morgen, Schlafmütze",
Toby drehte sich um und sah Danny der sich schlaftrunken die Augen rieb.
„Sehr gut, dann können wir ja jetzt endlich frühstücken", Ilan rieb sich freudig die Hände.
Toby stutzte:" Und was bitte? Du hast doch letztens gesagt, dass wir keinerlei Proviant mehr hätten?"
Ilan grinste wieder:" Hab ich das? Na ja, für eine Kleinigkeit wird es schon noch genügen", er trat zur Seite.
Hinter ihm lagen auf einer karierten Decke ausgebreitet, ein Teller mit belegten Brötchen, Gemüsesticks und eine Kanne Tee. Toby lief das Wasser im Mund zusammen. Er merkte, dass er schon länger nichts mehr gegessen hatte.
Doch er war immer noch misstrauisch:"Woher kommt das ganze Essen plötzlich her?"
Ilan wechselte nervös vom einen Fuss zum anderen. Er schien nach Worten zu suchen.
„Also mir ist es ziemlich egal, woher das Essen kommt. Ich hab Hunger!", meldete sich Danny zu Wort. Er schob sich an Toby vorbei und setzte sich gelassen auf die Decke.
Ilan folgte erleichtert seinem Beispiel.
Toby blieb grimmig stehen. Er spürte, dass mehr dahinter steckte. Ilan und Danny verheimlichten wieder einmal etwas vor ihm. Ein altbekanntes Gefühl breitete sich in ihm aus, doch diesmal liess Toby die trüben Gedanken nicht durchkommen. Seufzend sah er auf die zwei Menschen herab, die ihm so viel bedeuteten. Deren Geheimnisse schienen ihm schwer und unergründlich. Doch er wusste inzwischen, dass sich ihre Verschlossenheit nicht gegen ihn richtete. Ilan war voller Begeisterung und schien doch gleichzeitig verwirrt. Vielleicht brauchte er einfach etwas Zeit, um die richtigen Worte zu finden. Toby's Magen knurrte demonstrativ. Lächelnd gab er der Versuchung nach und setzte sich zu seinen zwei Gefährten.

„Toby war unglaublich Ilan! Er hat dich beinahe den ganzen Weg getragen und dann hat er sich freiwillig meinem Willen unterworfen, damit ich durch ihn den Weg finden konnte. Ohne ihn hätte ich das nie geschafft", Danny berichtete aufgewühlt von den Vorkommnisse der vergangenen Nacht.
Toby wehrte peinlich berührt ab:"Natürlich hättest du das! Erst durch deine Erinnerungen ist es uns möglich gewesen Ilan zu retten."
„Es war eine ziemlich blöde Idee von mir, hierher zu kommen. Der Baum hätte uns beinahe alle getötet.", Danny legte bestürzt seine Karotte nieder, als er daran dachte.
„Hat er aber nicht, Danny. Er hat Ilan gerettet. Somit war es eine grandiose Idee", meinte Toby beschwichtigend und verschlang genüsslich einen weiteren Bissen seines Brötchens. Zufrieden rieb er sich daraufhin den Bauch.
Ilan der vergnügt ihren Erzählungen gelauscht hatte, nippte nachdenklich an seinem Tee:"Wie bist du eigentlich auf die Idee gekommen, mich hierher zu bringen, Danny?"
Der Junge überlegte:"Alles was ich wollte war dich zu retten. Da hab ich mich plötzlich an diesen Baum erinnert. Es war mehr eine Eingebung. Es war mir nicht klar, was das für ein Baum ist. Alles was ich wusste war, dass er dir helfen kann."
„Dann wisst ihr gar nicht, wie der Baum es geschafft hat mich zu retten?"
Danny schüttelte den Kopf und Toby meinte schulterzuckend:" Ich hab generell nur wenig Ahnung",
„Na, dann lasst es mich euch erklären", Alan's goldene Augen blitzten, ob der Möglichkeit sie beide wieder einmal belehren zu können:" Dieser Baum trägt den Namen „Baum des Lebens". Seit jeher kamen alle Lebewesen sobald sie spürten, dass ihre Zeit zu Ende ging hierher, um dem Baum ihre restliche Lebensenergie zu spenden."
„Warum sollten sie so etwas freiwillig tun?", für Toby ergab das Ganze wenig Sinn.
„Weil sie damit etwas bewirken konnten. Sie selbst brauchten die Energie nicht mehr, aber jemand anderes konnte sie vielleicht dringend benötigen. Säuglinge die nicht lebensfähig geboren wurden, Jugendliche mit einer unheilbaren Krankheit, oder junge Erwachsene die einen Umfall hatten. Sie alle konnten dadurch weiterleben."
„Wie schön!", Danny lächelte freudig.
„Ja, das war es. Aber mit der Zeit wurden die Leute immer geiziger mit ihrem Leben. Sie wollten immer noch älter werden. Statt den Tod, wie einen alten Freund zu begrüssen begannen sie ihn zu fürchten und zu verabscheuen. Der Baum verlor immer mehr an Energie. Während den Krawallen war es besonders schlimm. Der Baum wurde regelrecht ausgebeutet. Alle nahmen von ihm aber waren nicht bereit etwas zurück zu geben. Der Baum war am verenden, aber statt zu sterben hat er sich erholt und strahlt nun stärker als zuvor", Ilan sah sie beide aufmerksam mit seinen goldenen Augen an, als ob er auf eine bestimmte Reaktion ihrerseits wartete.
Toby begriff erstaunt:"Aber wie ist das möglich? Der Baum hätte uns doch aussagen müssen, um zu überleben, nicht?"
„Das hätte nicht genügt, oder?"meldete sich Danny's melodische Stimme zu Wort. Fragend blickte seine kalten Augen zu Ilan auf.
Dieser schüttelte den Kopf:" Nein, nicht mal die Energie von uns allen hätte gereicht um ihn zu retten. Dazu war mehr nötig."
„Aber woher kam die ganze Energie dann?", fragte Toby entwaffnet.
„Das werden wir wohl nie erfahren", meinte Ilan und schob sich die Brille zurecht.
Sein Blick ruhte beständig auf Danny, dem bereits wieder die Augen zufielen. Der Junge schien von den Ereignissen der letzten Nacht immer noch völlig entkräftet.
„Was war das eigentlich für ein Mann mit dem du da geredet hast, Ilan? Der blonde, der euch bedroht hat. Kanntest du ihn?", fragte er Ilan neugierig.
Dieser sah ihn verwundert an:" Nein, das hab ich nicht. Er war ziemlich sonderbar, so undurchschaubar. Seine Augen sie waren...", doch mit einem raschen Blick auf Danny verstummte Ilan und führte dann an:"...nichts besonderes. Er war ein ganz normales Mischblut."
Toby fand das komisch, da Ilan ziemlich vertraut mit dem blonden Mann gewirkt hatte, doch er fragte nicht weiter nach.
Danny indessen, legte sich entkräftet hin und schien sogleich eingeschlafen.
Toby spürte, dass die Müdigkeit ihn ebenfalls überkam. Nach diesem ausgiebigen Festmahl wurde sein Kopf schwer. Die aufreibenden letzten Tage lagen ihm immer noch in den Knochen. Doch er hatte noch etwas auf dem Herzen.
„Als ich euch verlassen habe, bin ich in dicken Nebel geraten. Aber es war nicht einfach normaler Nebel. Er hat mich festgehalten, mich nicht mehr losgelassen und mir schlimme Dinge vorgespielt."
Ilan nickte wissend:"Das was du meinst, ist der „Nebel der Angst". Er tritt immer rund um die Hügel auf und zählt bereits viele Opfer. Er kennt deine schlimmsten Ängste und nutzt diese, um dich zu zerstören. Am einfachsten ist es für ihn, wenn du verwundbar bist. Trauer, Verzweiflung und Angst machen ihn stärker. Vor ihm ist niemand sicher."
Toby schluckte:" Ist er denn tödlich?"
Ilan nickte ernst:" Ja, die meisten Menschen bringe sich am Ende selbst, um weil sie es nicht ertragen können von ihm gequält zu werden."
„Und wie kann man ihn besiegen?"
Ilan lächelte:"Indem man seine Ängste akzeptiert. Oftmals basieren sie nämlichen auf Liebe und Leidenschaft. Diesen Gefühlen hat der Nebel nichts entgegenzusetzen. Es ist doch eigentlich eine schöne Vorstellung, dass etwas so bedeutsam für uns ist, dass wir uns beständig Sorgen deswegen machen."
Toby nickte nachdenklich und gähnte.
„Wie hast du es aus dem Nebel rausgeschafft?", fragte Ilan neugierig.
Toby's Blick glitt zu Danny, der selig schlief.
Ilan lachte:"Verstehe. Ihr beide habt ja einen regelrechten Wettbewerb am Laufen."
Toby kratzte sich verlegen am Kopf.
Ilan lächelte liebevoll:" Danny und du ihr solltet noch etwas schlafen. Wir werden nicht vor morgen aufbrechen, damit ihr beiden euch noch gut ausruhen könnt."
Toby nickte erschöpft und legte sich neben Danny's dünnen Körper.
Bald schon fielen ihm die Augen zu. Sorglos schlief er ein, in der Gewissheit, dass Ilan da war und über sie wachte.

Bloody Legend - ColdbloodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt