Toby's Landung verlief ziemlich holprig. Es war offensichtlich, dass er sich noch nicht daran gewöhnt hatte ohne Hilfe zu fliegen. Unsanft landeten sie auf einer Wiese unweit des Dolruf Waldes, der direkt am Fusse der Hügel begann. Toby hatte sie so weit wie möglich weggebracht, bevor er das Gewicht nicht mehr hatte tragen können.
Er war zwar erschöpft, aber auch überglücklich wieder mit Danny und Ilan vereint zu sein. Freudig richtete er sich auf und sah sich nach den beiden um.
Er entdeckte Danny unweit, wie er besorgt vor Ilan kniete. Ilan's Körper zuckte merkwürdig.
Toby's Lächeln verging. Reglos sass er da und starrte auf die unwirkliche Szene.
„Toby!", Danny's angstvolle Stimme riss ihn aus seiner Trance.
Hastig erhob er sich und stolperte zu den beiden hin.
„Was ist mit ihm?"", Dannys Stimme zitterte. Er war ganz bleich.
Toby besah sich die Situation. Aus einer Wund an Ilan's Brust trat Blut aus. Sein Atem ging rasselnd.
„Er wurde angeschossen", Toby's Herz pochte angstvoll.
„Was können wir tun? Wie können wir ihm helfen?", hilflos fasst Danny seinen Arm.
Toby war überfordert. Er sah ratlos von Danny, zu dem vor Schmerz stöhnenden Ilan und erkannte, dass er etwas tun musste. Ilan verblutete.
Toby atmete tief durch und erinnerte sich daran, was ihm seine Mutter über Heilkunde beigebracht hatte. Seine Hände hörten auf zu zittern, als er ihre Stimme vernahm, die ihm sanft Anweisungen gab. Er wurde ganz ruhig.
Toby schob Ilans T-Shirt vorsichtig nach oben und besah sich die Wunde aus der beständig Blut austrat. Hastig zog er sein Hemd aus und fertigte daraus geschickt einen Druckverband. Mit aller Kraft drückte er auf die Wunde. Nach einiger Zeit vermochte er zwar den Blutfluss zu stoppen, doch Ilan schnappte verzweifelt nach Luft.
Toby erfasste eine ungute Vorahnung. Die Kugel musste den rechten Lungenflügel taxiert haben. Ilan würde kollabieren.
„Warum hört es nicht auf zu bluten?", Danny schien komplett verzweifelt.
Toby schluckte. Tränen traten in seine Augen:" Danny ich...Er wird sterben."
Danny hielt kurz inne, dann fragte er:" Aber du kannst ihm doch helfen."
„Ich kann ihm nicht helfen. Ilan wird sterben, Danny", es zerriss ihm das Herz dies zu sagen.
Danny erstarrte. Seine Augen wurden glasig.
„Es tut mir leid, Danny", flüsterte Toby, während ihm Tränen über die Wangen liefen, doch es war ihm ausnahmsweise egal. Er hatte sich Ilan gegenüber so oft bockig und aufmüpfig verhalten, doch in Wirklichkeit bedeutete er ihm viel. Toby hatte von diesem besonnenen jungen Mann gelernt einiges gelernt. Er konnte diesen Verlust einfach nicht ertragen.
Toby spürte, wie ihn die Kraft verliess. Niedergeschlagen nahm er die Hände von Ilans Brustkorb.
Doch unwillkürlich hielt Danny ihn zurück. Toby sah ihn verwundert an.
Die Augen des Jungen waren zu Eis gefroren. Das hilfsbedürftige, unwissende Kind war einem unabhängigen, aufgeklärten Jungen gewichen.
„Nein, wird er nicht!", sagte dieser ruhig aber bestimmt.
„Wie bitte?", Toby blinzelte perplex.
„Ilan wird nicht sterben. Das lasse ich nicht zu." unumstössliche Entschlossenheit lag im Blick des zarten Junge.
„Danny du kannst nichts dagegen tun, er wird..."
„Nein, wird er nicht!", Dannys Augen sahen ihn durchdringend an, fuhren wie eiskalte Blitze durch seinen Körper.
Toby war skeptisch:" Was hast du vor?"
„Kannst du ihn tragen?"fragte Danny nüchtern.
Toby stutzte:" Ich? Ilan tragen? Wohin?"
„Kannst du ihn tragen?", wiederholte Danny seine Frage.
Toby sah auf den verletzten Ilan hinab:" Ich denke schon, aber warum..."
„Gut. Dann los", Danny erhob sich.
Toby zögerte. Dann beschloss er ausnahmsweise einfach mal die Klappe zu halten und zu tun, was man ihm sagte.
Unter stöhnen wuchtete er den erschlafften Ilan auf seine Schultern:" Und wohin jetzt?"
„Da lang", Danny lief vor, auf den dicht bewachsenen Wald zu, der sich zu beiden Seiten vor ihnen erstreckte.
„Ich hab's geahnt", seufzte Toby.
Er dachte daran, dass er sich geschworen hatte, Danny und Ilan spätestens beim Eintritt in den Dolruf Wald zu verlassen. Das Schicksal schien ihn wirklich zu hassen.
Er schickte eine kurzes Stossgebet zu Himmel, bevor er Danny schwankend nachsetzte.„Danny, jetzt warte doch mal", erschöpft hetzte Toby hinter dem blonden Jungen her. Das Gewicht des verwundeten Ilans lastete schwer auf ihm.
„Beeil dich, Toby"
Danny legte ein beachtliches Tempo an den Tag. Der Junge führte ihn seit längerem unentwegt weiter in den Wald hinein, ohne ihn auch nur im geringsten über seine Absichten aufzuklären. Genau genommen war Danny ziemlich wortkarg und schien tief in Gedanken versunken.
Toby machte sich grosse Sorgen um Ilan. Es war viel zu viel Zeit vergangen seit sie losgezogen waren.
Inzwischen hatte bereits die Dämmerung eingesetzt.
Toby's Meinung nach war dieses Unterfangen äusserst sinnlos. Doch er hatte auch erkannt, dass er für den Jungen mit den eisblauen Augen alles tun würde, egal wie abwegig es sein mochte. Ausserdem wollte er selbst gerne glauben, dass für Ilan, den er selbst nicht verlieren wollte, noch Hoffnung bestand.
Danny hielt abrupt inne und Toby konnte seinen Rückstand schnaubend einholen:" Und wohin jetzt?"
Danny schien unsicher. Verzweifelt drehte er sich, um die eigene Achse.
„Sag bloss du hast den Weg verloren?"
Danny bedeutete ihm ruhig zu sein, doch Toby ignorierte es geflissentlich.
„Weisst du überhaupt, wohin du uns führst?"
Danny lief nervös herum.
Toby konnte nicht mehr an sich halten:" Hör zu, Danny! Deine fragwürdigen Fähigkeiten in Ehren, aber wir sind definitiv nicht für eine Expedition im Wald ausgerüstet. Wir haben weder Wasser, noch Essen, oder sonst etwas dabei. Meine Beine werden jeden Moment einknicken, weil ich schon den ganzen Tag hinter, mir einem Erwachsenen auf dem Rücken, hinter dir herlaufe. Das wäre mir ehrlich gesagt auch alles egal, solange ich wüsste, dass Ilan überleben wird, aber so wie es aussieht wird er trotz allem sterben."
Danny sah ihn an. Die eiserne Entschlossenheit des Jungen bröckelte. Er hielt sich die Hände an den Kopf, als hätte er Schmerzen:"Ich weiss es nicht", meinte er erschöpft.
Toby's Augen wurden gross:" Was soll das denn heissen, Danny? Willst du etwa sagen, wir haben uns verlaufen."
Danny schlug den Blick nieder:" Ich weiss es nicht genau. Ich...war schon hier, Toby. Aber es ist nicht so einfach den Weg wieder zu finden. Er ist jedes Mal anders und ich kann die Erinnerungen nicht filtern", Danny verzog vor Schmerz das zarte Gesicht.
Toby konnte es nicht wirklich begreifen. Er legte Ilan behutsam ab und lehnte sich an einen Baumstamm, um sich für einen Moment zu erholen.
Er sah zu wie Danny weiter verbissen nachdenkend hin und her lief auf der Suche nach der offensichtlichen Erleuchtung, in einem Wald in dem alles gleich aussah.
Er seufzte.
„Und was, wenn du es mit mir versuchst?"
Danny hielt inne:" Mit dir? Ich verstehe nicht...?"
„Du kannst doch mit meinen Augen sehen, wenn ich fliege. Als Falke bin ich viel schneller und könnte, hoch über die Baumwipfel fliegen, von da aus würdest du den Weg vielleicht eher finden", sein Körper spannte sich an, als er sich diese Worte abrang, doch er ignorierte es.
Danny schien verwirrt:" Aber das würde bedeuten..,"
„Das ein frecher, kleiner Bengel in meine Gedanken eindringt und mich ausknockt? Schätze, damit muss ich leben", gleichgültig zuckte er mit den Schultern.
„Das würdest du tun?", fragte Danny bewegt.
Toby konnte nicht mehr an sich halten. Er stiess sich ab und begegnete Dannys Blick:" Damals, kurz nachdem ich dich gerettet habe, hattest du eines Nachts einen ziemlich schlimmen Traum. Dein knochiger, kleiner Körper hat so stark gezittert und du hast immer wieder voller Angst gerufen, dass du fallen würdest. Du warst so unschuldig und hilflos. Ich wusste da, noch nicht was es mit deinen Träumen auf sich hat, aber in diesem Moment habe ich für mich beschlossen dich niemals fallen zu lassen und dich immer aufzufangen. Das war absurd, weil ich total unfähig bin, was das fliegen angeht aber..."
Toby kam nicht weiter weil sich Danny unvermutet in seine Arme warf.
Toby wurde von der stürmischen Umarmung des Kleinen vollkommen überrascht. Er stolperte zurück. Verwirrt stand er da und rang um Fassung, während sich der kleine, knochige Danny an ihn schmiegte.
Danke", flüsterte der Junge in sein Ohr.
Toby wurde plötzlich ganz ruhig. Ein Lächeln schlich sich auf sein Gesicht:" Wenigstens werden meine Beine jetzt nicht mehr von irgendwelchem Gestrüpp zerkratzt", meinte er und erwiderte die innige Umamung.
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Bloody Legend - Coldblood
FantasyDanny, der intelligente Junge mit den Eisblauen Augen. Toby, der Junge der fliegen könnte, wenn er wollte. Ilan, der mit jedem Pinselstrich vergangenes verarbeitet. Ihre Begegnung wird alles verändern. Der neunjährige Danny wächst abgeschottet von d...