45. Kapitel

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Alan schrieb gedankenverloren in ein kleines Notizbuch. Er sass auf einem wackeligen Klappstuhl, unter dem Vordach eines monströsen Zeltes, gut geschützt vor den unerbittlichen Strahlen der Sonne.
Sie hatten die Wüste nach mehreren Tagen endlich hinter sich gelassen. Danach waren sie noch eine lange Zeit durch eine karge Steppenlandschaft gewandert, auf eine hochaufragende Hügelkette zu. Die Luft um sie herum war drückend und schwül gewesen. Erschöpft waren sie schliesslich zu zu einer kleinen Bucht gelangt, umgeben von den den hochaufragenden Hügeln an deren Hängen sich das satte Grün etlicher Bäume entfaltete.
Doch trotz der Schatten spendenden Bäume kannte die Hitze kein erbarmen.  Auch das Zelt dass Alan aufgestellt hatte, bot nur wenig Schutz.
Als er anfangs all die zu kleinen Päckchen zusammen gelegten Zeltplanen, inklusive einem Klapptisch und drei Klappstühlen aus seinem Rucksack hervor nahm, staunte Toby nicht schlecht.
Nun befanden sich schon seit beinahe zwei Wochen an ihrem Standort über den Klippen, da er es anhand des heissen Wetters und Dannys Zustand für besser Befunden hatte vorerst nicht weiter zu reisen.
Der Junge schien krank zu sein. Er sprach kaum noch und wirkte abwesend. Bei der Ankunft in der Bucht hatte er über starke Bauchschmerzen geklagt.
Was Alan jedoch am meisten beunruhigte war, dass Danny jeglichen Kontakt zu Toby mied. Er achtete penibel darauf, ihm nicht zu nahe zu kommen und versuchte ihm möglichst aus dem Weg zu gehen.
Toby war davon zutiefst verunsichert. Er versuchte es sich nicht anmerken zu lassen, doch Alan sah die Verletztheit in seinen Augen, wann immer Danny ihn ignorierte.
Alan konnte es sich nicht erklären. Er glaubte nicht, dass Danny sich Toby gegenüber deswegen so abweisend verhielt, weil er wütend auf ihn war.
Obwohl er seit dem einen Vorfall nicht mehr nachts geschlafwandelt war, schien er nicht mehr gut schlafen zu können. Oft wälzte er sich nachts unruhig hin und her und tagsüber fielen ihm öfters mal die Augen zu. Alan hatte den Verdacht, dass das Ganze damit zusammenhing.
Währenddessen sah man dem zerbrechlichen Jungen immer mehr an, wie schlecht es ihm in Wirklichkeit ging. Er wurde stetig dünner, dicke Augenringe zierten sein feines Gesicht und körperliche sowie geistige Erschöpfung spiegelten sich in seinem müden Blick.
Das schlimmste daran war für Alan, dass er ihm nicht helfen konnte. Er zerbrach sich den Kopf, um herauszufinden, wo das Problem liegen könnte.
Er verfluchte sich dafür, dass er Azura nicht mehr hatte entlocken können. Wenn sie ihm nur gesagt hätte, was es für eine Kraft war, die Danny innewohnte und vor der sie sich die Meerjungfrauen so schrecklich fürchteten. Vielleicht hätte er ihm dann helfen können.
Konnte es tatsächlich sein, dass der Junge eine Gefahr war? Es war kaum vorstellbar. Alan war es so ziemlich egal, welche Gefahr Danny in sich barg, solange er sich damit nicht selbst verletzte.
Er wünschte sich, er hätte ein paar Bücher eingepackt, die ihm vielleicht hätten Antworten liefern können. Zum Beispiel das Buch über Nächtliche Träumereien, oder der Band der Unbekannten Mächte. Am besten wäre natürlich gleich die ganze Bibliothek gewesen. Doch das einzige Buch, welches er dabei hatte konnte ihm keine Hilfe sein, denn es war komplett leer. Es bestand bloss aus reinen, unbeschriebenen weissen Seiten. Alan war nicht ganz klar gewesen, weshalb er es mitgenommen hatte. Es vermittelte ihm einfach eine Gewisse Sicherheit
Er hatte ihren gesamten Unterstand so gut es ging abgedunkelt, doch der wolkenlose Himmel und die beständig strahlende Sonne machten ihnen allen zu schaffen.
Alan wurde aus seinen Gedanken gerissen, als jemand die Reisverschlüsse öffnete. Schnell tat Alan so, als wäre er eingeschlafen. Dann trat Danny aus dem Zelt hinaus und ging an ihm vorbei zu den Klippen. Seit seinem ersten Traum, war es nicht mehr vorgekommen, dass sich Danny nachts aus seinem Schlafsack begeben hatte. Alan überlegte, dann legte er das Buch nieder,griff sich ein Flasche Wasser und folgte Danny.
Ausserhalb des Zelts war Alan innerhalb kürzester Zeit komplett verschwitzt. Selbst nachts kühlte sich die Temperatur nun nicht mehr richtig ab. Danny hielt zielstrebig auf den Abgrund der Klippen zu. Dort angekommen setzte er sich hin und starrte abwesend aufs Meer hinaus. Alan war sofort klar, dass er nicht schlafwandelte.
Langsam trat er neben ihn und legte ihm fürsorglich das Wasser hin:" Alles in Ordnung?"
Danny sah erschrocken auf, als er ihn bemerkte:" Geh wieder schlafen, Alan."
Alan ignorierte ihn und setzte sich:" Was machst du hier draussen mitten in der Nacht?"
Danny blickte betreten zu Boden. Seine dünnen Finger schlossen sich fest um die Wasserflasche:" Ich konnte nicht schlafen."
„Warum nicht?"
Danny warf ihm einen scheuen Seitenblick zu, dann blickte er aufs mehr hinaus und meinte:" Ich kann nicht mehr schlafen, Ilan. Stattdessen wache ich auf und bin plötzlich woanders. Ich bin nicht mehr ich selbst sondern ich bin völlig verschmolzen mit dem Körper von jemand anderem. Ich gehe wie diese Person, ich rede wie diese Person und ich kann fühlen, was sie fühlt. Aber wenn ich am nächsten morgen wieder aufwache, befinde ich mich immer noch in meinem Bett, scheinbar ohne dieses je verlassen zu haben? Das ist doch verrückt, oder?"
Danny redete ziemlich hastig, was ungewöhnlich für ihn war.
„Du träumst bloss, Danny", versuchte Alan ihn zu beruhigen obwohl er wusste, dass das nicht stimmte. Dies waren keine normalen Träume.
„Nein Ilan, das kann nicht sein. Glaub mir, ich habe versucht dagegen anzukämpfen, aber es geht nicht. Ich sehe eure Erinnerungen und...", Danny brach abrupt ab. Dann führte er schnell die Flasche an seinen Mund und trank gierig. Etwas an dieser Geste liess Alan stutzig werden. Danny schien sich zwar schuldig für etwas zu fühlen, klang jedoch nicht traurig darüber, dass es nicht funktioniert hatte die Träume zu verdrängen.
„Warum?"
„Wie bitte?," verwundert blickte der Junge ihn an.
„Warum versuchst du so verzweifelt dich dagegen zu wehren. Du erzählst mir von alldem, als wäre es eine unglaublich schlimme Sache. Aber ich habe das Gefühl, der kleine Junge, der damals ohne Skrupel in mein Haus spaziert ist würde das ganz anders sehen", er musste unwillkürlich Lächeln, als er an ihre erste Begegnung dachte. Sie schien Jahre zurück zu liegen.
Dannys Blick blieb kurz an ihm hängen und Alan konnte in seinen Augen sehen, dass er richtig gelegen hatte. Eine seltsame Ruhe und Zufriedenheit beherrschte für einen kurzen Augenblick den Ausdruck des Jungen, mochte sein Körper noch so übermüdet sein. Doch dann kehrte die Erschöpfung zurück in seinen Blick.
Erneut richtete Danny seinen Blick wieder in die Ferne und starrte verloren aufs Wasser hinaus:" Dieser Junge wusste ja auch noch nichts von den Dingen, die ich heute weiss. Ich habe gelernt, wie wunderbar diese Welt ist und das ich eine Gefahr für sie darstelle. Du, Azura, die Meerjungfrauen und alle andern die mich jagen und tot sehen wollen haben mir gezeigt, dass ich eine Bedrohung bin. Was wenn meine Träume teil dieser Bedrohung sind?"
„Was wenn, die grösste Gefahr darin besteht deine Träume zu bekämpfen? Ich wollte dir nie das Gefühl geben du seiest gefährlich und Azura bestimmt auch nicht. Du glaubst aufgrund dessen, was dir andere erzählen, dass deine Träume etwas Böses wären und du sie bekämpfen musst, aber glaubst du das auch selbst? Was denkst du, Danny?"
Ein Lächeln schlich sich auf das ausdruckslose Gesicht des Jungen:" Ich glaube ich habe mich noch nie so lebendig gefühlt", Dannys Augen fingen an zu leuchten und liessen alles, um sie herum weniger bedrohlich wirken;" Es ist als hätte ich einen Teil von mir gefunden, der mir lange gefehlt hat."
„Dann lass es zu! Vergiss was du gehört hast und folge deinem Gefühl", Alan lächelte den Jungen an, dessen übermächtige Ausstrahlung ihn berauschte. Alles was er wollte, war diesen Jungen glücklich zu sehen. Und er wollte hinter sein Geheimnis kommen. Danny's Macht schien in seinen Augen nicht bedrohlich sondern faszinierend.
Auf einmal schlich sich erneute Trauer in die Augen des Jungen. Er sah unsicher zu Ilan auf:" Du und Toby ihr seid nicht nur meine Freunde. Ihr seid die wichtigsten Menschen in meinem Leben. Ihr seid meine Familie, oder?
„Natürlich sind wir das!", Ilan lächelte breit. Danny's Worte erfreuten ihn.
„Und wenn ich etwas schlimmes getan hätte? Wärt ihr das dann immer noch?"
„Du wirst deine Macht nie für etwas Böses verwenden."
„Warum bist dir da so sicher?", Dannys Blick durchbohrte ihn geradezu.
„Weil wir da sein werden, um dich davon abzuhalten. Das tun Familien immer!", Ilan legte dem Jungen liebevoll seinen Arm um die Schultern.
Danny schien, als wollte er noch etwas hinzufügen. Er wirkte nicht vollständig überzeugt. Doch dann lehnte er stattdessen seinen Kopf an Alans Schulter und gemeinsam sahen sie aufs Meer, auf dem sich die Sterne glitzernd spiegelten.

Bloody Legend - ColdbloodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt