42. Kapitel

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Toby's Wut liess ihn schneller gehen. Schnaubend und mit geballten Fäusten hetzte er durch den Sand auf die Dünen zu. Nachdem Danny und Alan mitten in der Nacht verschwunden waren, war Toby wach gelegen und hatte darauf gewartet, dass sie zurück kamen. Doch er blieb allein.
Es war unerträglich heiss gewesen in dem kleinen Zimmer, aber er hatte es nicht gewagt sich zu rühren oder womöglich nach den beiden zu suchen. Doch als die ersten Sonnenstrahlen den Weg durch das mickrige Fenster fanden, hatte er es nicht mehr ausgehalten. Zögerlich war er an den anderen Schlafräumen vorbei und durch die grosse Halle zur Treppe gelaufen. Dabei hatte er immer wieder leise nach Ihnen gerufen. Niemand hatte geantwortet.
Am Strand hatte er dann eine Ewigkeit gewartet und nach ihnen Ausschau gehalten. Während er nervös im Sand sass und wartete, hatten die Ereignisse der letzten Monate sich einen Weg aus seinem Gedächtnis gebahnt. Vor seinem inneren Auge liefen noch einmal all die Erlebnisse ab, die ihn so unerwartet ereilt hatten. So viel hatte sich innerhalb kürzester Zeit ereignet. Er hatte einen merkwürdigen Jungen gerettet zu dem er aus unerfindlichen Gründen eine tiefgreifende Verbundenheit fühlte. Blind ergeben war er ihm seit dem überall hin gefolgt. Doch letzte Nacht war etwas geschehen das sein Vertrauen in den unschuldig wirkenden Jungen erschüttert hatte. Danny's verzweifelte Schreie hallten in seinen Gedanken nach. Seine Schmerzen schienen unerträglich gewesen zu sein.
Er erinnerte sich an all die Momente in denen Danny's Andersartigkeit zum Vorschein gekommen war. Zum ersten Mal fiel ihm auf, wie wenig er in Wahrheit über seinen jungen Freund wusste. Obwohl sie schon so viel zusammen erlebt hatten, hatte Danny nie besonders viel über seine Gedanken und Gefühle preisgegeben. Der Junge indessen schien ihn ganz genau zu durchschauen. Toby kam unvermittelt der Gedanke, dass Danny etwas zu verbergen hatte.
Und dann, war da ja auch noch Alan. Alan, der ihnen ohne zu zögern zur Flucht verholfen hatte. Auch er verbarg ganz offensichtlich etwas. Ansonsten hätte er sie doch sofort ausgeliefert. Und woher kam das Wissen, über das er verfügte.
Langsam begann die Wut sich vor die Angst zu schieben.
Es war eine Frechheit von Alan und Danny, ihn einfach ohne ein Wort allein zu lassen. Wie oft hatten sie ihn nicht schon ausgeschlossen. Als ob er es nicht wert wäre, in ihre Geheimnisse eingehüllt zu werden.
Vielleicht waren sie ja auch ohne ihn weitergezogen, wahrscheinlich überaus froh darüber ihn los zu sein.
Voller Wut hatte er den Stock, mit dem er im Sand herumgestochert hatte, entzwei gebrochen und von sich geworfen. Er zitterte ab der Energie die sich in ihm aufgestaut hatte. Ruckartig hatte er sich erhoben.
Die Dünen waren sein Ziel. Laut Alan befand sich dahinter der Weg der sie zur Mauer führen würde, sowie ein Weg zurück nach Larea.
Hatte er kurz zuvor noch an seiner Entscheidung gezweifelt zurückzukehren, so erschien sie ihm jetzt vollkommen richtig. Er war von Anfang an gegen das Vorhaben gewesen, hinter die Mauer zu gehen. Alan und Danny verband diese verrückte Vorstellung dahinter würde etwas auf sie warten. Toby hingegen fühlte sich beim alleinigen Gedanken daran unwohl.
Die ersten Dünen ragten seitlich von ihm auf und öffneten ihm den Zugang in ein endloses Labyrinth.
Es interessierte ihn nicht, ob sich Danny und Alan um ihn sorgten und ihn vielleicht sogar suchen würden. Im Gegenteil, die Vorstellung ein schlechtes Gewissen würde die beiden plagen, befriedigte ihn.
Doch nach einiger Zeit wurden seine Schritte langsamer und seine angespannte Haltung lockerte sich. Die Sonne brannte erbarmungslos auf ihn nieder und er hatte den grössten Teil seiner Wut ausgeschwitzt.
Die Dünen um ihn herum wollten offenbar kein Ende nehmen. Sie zwangen ihn immer wieder Umwege zu nehmen, so dass er sich nicht mehr sicher sein konnte in die richtige Richtung zu gehen. Er atmete schwer. Die Sonnenstrahlen erhitzten den Sand auf dem er sich bewegte innerhalb von Sekunden. Zum Glück trug er Sandalen. Sein Mund war ebenfalls schon ganz ausgetrocknet. Doch er war immer noch entschlossen von seinem Vorhaben.
Kurze Zeit später stiess er sich den grossen Zeh an einem Gegenstand der zur Hälfte im Sand steckte. Fluchend sah er sich nach dem Übeltäter um. Der Gegenstand besass eine abgeflachte Form und sah auf den ersten Blick aus wie ein Stein. Neugierig bückte sich Toby danach und strich zögerlich über die glatte, gelbliche Oberfläche.
Obwohl er ein schlechtes Gefühl dabei hatte, griff er entschlossen nach dem steinartigen Gebilde und begann es aus seiner Verankerung zu lösen. Er war ja schliesslich kein Feigling, obwohl andere anscheinend das Gegenteil von ihm dachten.
Verbissen rüttelte er noch einmal heftig an dem Gegenstand. Sand rieselte herab als er ihn endlich befreit hatte.
Doch als er ihn nun in seiner Hand hielt befühlten seine Finger etliche Löcher und Einkerbungen auf der Unterseite. Mit einer unguten Vorahnung drehte er ihn langsam um.
Leere Augenhöhlen starrten ihn, aus einem zerkratzten, verblichenen Schädel an. Der Unterkiefer war teils abgebrochen. Sofort liess er ihn wieder fallen und strich sich hastig seine Hände an seiner Shorts ab.
Voller Ekel starrte er in das leblose Gesicht. Es war nicht auszumachen von wem der Schädel stammte. Toby fragte sich, ob sich die Person, wie er in den Dünen verlaufen hatte und anschliessend verdurstet war.
Sogleich raffte er sich auf. Er würde nicht so enden, denn er würde den Ausgang finden. Er würde nicht sterben.
So schnell er konnte entfernte er sich von dem Totenschädel. Der Blick aus den leeren Augenhöhlen schien ihn noch lange zu verfolgen.
Als er jetzt weiterlief kreuzten verschiedenste, am Boden verstreute Gegenstände seinen Weg. Er sah vermoderte Stiefel, rostige Messer, verkohlte Büchsendosen, zurückgelassene Revolver und sogar ein altes Holzbein. Auch Hinweise auf weitere Bestandteile anderer Skelette gab es.
Toby versuchte das ungute Gefühl in seinem Bauch zu verdrängen. Doch er wurde den Gedanken nicht los, beobachtet zu werden.
Verbissen trottete er weiter. Seine Haut im Gesicht und an den Armen brannte und kündigte einen zünftigen Sonnenbrand an. Seine Augen reagierten zunehmend empfindlich auf das grelle Sonnenlicht. Seine Trockene Kehle lechzte nach Wasser. Verzweifelt leckte er sich die Lippen.
Erleichterung erfasste ihn, als er vor sich im Sand einen uralten, zerfetzten Hut ausmachen konnte. Die breite Krempe würde ihm wenigstens ein wenig Schutz vor der Sonne bieten.
Zufrieden klopfte Toby den Sand ab, nachdem er den Hut befreit hatte. Die Feder die darauf thronte, war schon arg in Mitleidenschaft gezogen worden, doch das kümmerte ihn keineswegs.
Doch als er sich den Hut aufsetzten wollte, wurde er ihm von einem plötzlichen Windstoss entrissen. Toby stutze. Bis jetzt, war es die ganze Zeit absolut Windstill gewesen und auch gerade eben war es ihm nicht so vorgekommen als ob der Wind auf einmal aufgefrischt hätte. Doch anders konnte er sich das Ganze nicht erklären.
Erneut wollte er nach dem Hut greifen, doch auch diesmal schwebte er, wie von Zauberhand davon. Toby wurde nervös. Er fühlte sich zum Narren gehalten. Entschlossen ging er zum Hut hin und hob ihn rasch vom Boden auf. Triumphierend wollte er ihn aufsetzten, da begann der Hut sich unvermittelt gegen seinen Griff zu wehren. Sogleich griff Toby fester zu, doch der Hut zog mit ungeahnter Kraft in die andere Richtung. Toby versuchte sich dagegen zu stemmen doch der Hut entschlüpfte ihm und flog ein Stück weiter, bevor er scheinbar leblos am Boden liegen blieb.
Mit zusammengekniffenen Augen nährte sich Toby erneut. Misstrauisch sah er auf seinen Gegner hinab. Der Hut lag unbewegt vor ihm und Toby fragte sich unwillkürlich, ob er von der Hitze so durcheinander war, dass er fantasierte.
Kopfschüttelnd bückte er sich und erfasste die Krempe. Doch als er den Hut anheben wollte, regte sich Widerstand. Er zog fester, aber der Hut bewegte sich kein Stück. Fast war es so, als ob jemand von unten dagegenhalten würde. Toby versuchte es erneut. Schweissperlen bildeten sich auf seiner Stirn und er war versucht aufzugeben, als der Hut ihm auf einmal von selbst entgegen kam.
Perplex starrte er auf das Gebilde das sich vor ihm aus dem Sand erhob. Aus all den wirbelnden Sandkörnern formte sich eine Gestalt. Mit zitternden Beinen erhob Toby sich.
Er konnte ein raues, ausgemergeltes Gesicht ausmachen, das von langen Haaren umspielt wurde. In der Hand hielt die Gestalt aus Sand den Hut, den sie sich nun beinahe genüsslich aufsetzt. Ein zufriedener Seufzer drang aus ihrem zahnlosen Mund. Sogleich flog von anderswo ein Stock herbei, vor dem Toby sich gerade noch bücken konnte. Kleiderfetzen, ein Gürtel, ein Revolver und ein Schwert folgten. Ein zufriedenes Seufzen drang aus dem zahnlosen Mund der Person, die sich nun auf ihren Stock vorbeugte und Toby tief in die Augen blickte.
„Mischblut, du bist in unser Revier eingedrungen. Dich erwartet der Tod!", seine Stimme klang als würde seine Zunge aus Schmirgelpapier bestehen und er auf Sand herum kauen, was er ja offensichtlich auch tat. Wie er ihn so ansah sah er erschreckend lebendig aus und erinnerte Toby sehr an einen der Piraten auf den bemalten Gläsern beim Karussell.
Die Panik bahnte sich einen Weg durch Toby's Körper und verhalf ihm aus seiner Erstarrung.
In dem Moment, als die Gestalt nach dem Schwert in ihrem Gürtel griff, machte er kehrt und rannte um sein Leben.

Doch er hatte nicht damit gerechnet, dass es noch mehr von diesen Monstern gab. Aber als er blindlings davon rannte, erhob sich direkt vor ihm ein weiterer Pirat aus Sand. Toby gelang es gerade noch ihm auszuweichen.
Um ihn herum, erwachten weitere hässliche Fratzen aus Sand zum Leben. Die verstreuten Gegenstände flogen Toby um die Ohren, auf dem Weg zu ihrem Besitzer.
Panisch flüchtete Toby vor seinen Verfolgern die ihm  mit lautstarken Gebrüll nachkamen und dabei ihre Waffen schwangen.
Er war überzeugt davon, dass die Drohung ernst gemeint war und keiner dieser Monster zögern würde ihn zu töten.
Er lief so schnell er konnte, doch immer wieder schnitt ihm ein neue sandige Gestalt den Weg ab. Sie kamen immer näher.
Immer wieder schnellten Hände aus dem Boden, packten seine Beine und brachten ihn damit zu Fall. Blindlings stolperte er immer weiter, völlig ausgelaugt von der Hetzjagd. Als er erneut stürzte versuchte er sich wieder aufzurappeln, doch ihm fehlte die Kraft. Hinter ihm kamen die Piraten immer näher. Angsterfüllt versuchte er vor ihnen wegzukriechen. Doch als er erneut aufsah, war er rundum von Piraten umgeben. Es gab kein entrinnen.
Hinter sich hörte er ein wahnwitziges Lachen. Er drehte sich auf den Rücken und sah sich einer Schwertspitze gegenüber. In schockstarre verfallen wagte Toby es kaum zu atmen. Der Pirat indessen kicherte albern und fuhr ihm damit beinahe zärtlich über die Wange. Toby spürte ein brennen. Sogleich rann Blut über sein Gesicht. Die anderen lachten.
Der Pirat hob das Schwert an und Toby, wusste dass er es ihm gleich ins Herz rammen würde. Er hielt den Atem an.
Doch als das Metall, angeschienen von der Sonne aufblitzte, schob sich etwas anderes in sein Blickfeld. Eine kleine Gestalt mit blondem Haarschopf.
„Halt!", befahl die Gestalt, die sich tollkühn vor ihn gestellt hatte, mit fester Stimme.
Danny, dachte Toby mit einer ungeheuren Erleichterung. Doch dann kam die Angst zurück. Der Pirat würde Danny ebenfalls aufspiessen.
Für einen Moment war es ganz still, dann schob sich der Pirat, der Toby ganz zu Anfang bedroht hatte vor. Doch statt Danny anzugreifen, sah er ihm bloss für eine unendlich scheinende Zeit in die Augen. „Ein Blauauge", flüsterte er schliesslich andächtig;"Ich hab schon ewig kein Kaltblut mehr in der Gegend gesehen. Leider seid ihr Kaltblüter nicht unsere Feinde, schade. Hast Glück gehabt, Mischblut", er lachte schallend. Noch während er lachte zerfiel er wieder zu Staub.  Sein Gürtel mit seinen Waffen und sein Hut segelten zu Boden, fast als hätte es ihn nie gegeben. Seine Kameraden taten es ihm nach, bis kein einziger mehr übrig war.
Danny drehte sich daraufhin zu Toby um, seine Augen eine einzige Wand aus Eis. Ohne ein Wort reichte er ihm seine Hand. Toby ergriff sie peinlich berührt. Ihm kam sein Verhalten nun sehr kindisch vor.
„Alles in Ordnung?", fragte Danny schliesslich als Toby wieder auf den Beinen stand.
„Ja", antwortete er knapp, da ihm nichts besseres einfiel. Er hätte sich gern bei Danny bedankt, doch der Junge kam ihm seltsam distanziert vor.
„Gut. Am besten machen wir uns gleich auf den Weg. Alan wird sich deine Wunde ansehen. Er macht sich sicher schon Sorgen um uns", Danny ging los, ohne auf eine Antwort seinerseits zu warten.
„Danny?", hielt Toby ihn auf.
„Was?", zerstreut blickte der Junge auf.
„Wie hast du mich gefunden?", Toby wusste nicht genau, weshalb er ihm ausgerechnet diese Frage stellte. Es war ja eigentlich auch nicht relevant.
„Ich denke ich hatte einfach Glück", die Frage schien den sonst so schlagfertigen Jungen aus dem Konzept gebracht zu haben.
„Und was meinst du, warum sie dich nicht angegriffen haben?", fragte Toby weiter und blickte dabei auf die Haufen aus Sand und nun unnütz gewordenen Gegenständen, die überall verstreut lagen.
Danny zuckte ungeduldig mit den Schultern;" Ich weiss nicht. Lass uns jetzt besser gehen".
Danny trottete ohne weiteres Wort davon und Toby folgte ihm. Doch nicht ohne noch einmal einen Blick zurück zu werfen.

Bloody Legend - ColdbloodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt