Ich hatte keine Ahnung, wieviel Stunden vergangen waren, in denen ich im Bett neben Emir lag und ihn keine Sekunde aus den Augen ließ.
Ich hatte Angst. Angst, dass er aufwachte und ich nicht bei ihm war. Angst, das Szenario von gerade eben nochmal zu erleben. Angst, wieder den zerbrechlichen, verletzten Mann vor mir zu sehen.
Ich konnte es immer noch nicht verarbeiten, was vor wenigen Stunden noch passiert war. Es kam mir nicht real vor. Als ich hergekommen war, hatte ich sowas ganz sicher nicht erwartet.
Aber andererseits war ich natürlich froh, dass er alles rausgelassen hatte. Auch wenn mit Nachdruck.
Seufzend strich ich leicht über Emirs Wange. Nicht mal beim Schlafen konnte er von seinen Problemen befreit sein. Diese Alpträume machten ihn seit Jahren zu schaffen. Aber wie verdammt hören sie auf?
Wie lange sollte das noch weitergehen? Für mich war das Schlimmste, dass ich nichts dagegen machen konnte. Klar, ein paar Ablenkungen und gute Worte zum Beruhigen konnte ich sagen - und würde ich auch! Jedoch half ihm das nicht weiter und das wiederum brachte mich zum Verzweifeln.
Ich war so unheimlich wütend auf mich selbst, dass ich mir nachdem Emir damals über seine Kindheit erzählte, keine weiteren Gedanken darüber gemacht hatte.
Wie konnte ich nur?
Ich hatte mich nie gefragt, wie es wirklich war, auf der Straße zu leben. Wie es wirklich war, ohne Liebe von anderen aufzuwachsen und generell keine familiäre Liebe gespürt zu haben.
Nie hatte ich einen Gedanken daran verschwendet, wie es wäre, ohne meine Eltern zu sein.
Nie hätte ich gedacht, dass Andere über Emirs Vater Bescheid wussten und er seit Jahren darunter litt.
Und jetzt, nachdem ich sah, wie Emir vor mir zerbrach, wie verzweifelt er war, wie er sich nach Zuneigung sehnte und wie sehr er mich brauchte, kreisten meine Gedanken ununterbrochen um ihn.
Wie sollte es auch anders sein?
Ich war fest davon überzeugt, dass ich was ändern würde - musste! Doch da stellte sich natürlich die Frage, was um Himmelswillen ich tun sollte.
Ich zog meine Hand zurück, als Emir sich bewegte und hoffte insgeheim, er würde nicht aufwachen und weiterschlafen. Ich war froh, dass er die letzten zwei Stunden in Ruhe schlief und sich somit zumindest etwas ausruhen konnte.
Emir runzelte seine Stirn, hatte seine Augen noch immer geschlossen und änderte seine Position und lag jetzt auf seinem Bauch. Seine Haare waren zersaust und standen in allen Richtungen ab. Manche Strähnen verblieben auf seiner Stirn. Sein Gesicht war noch immer in meine Richtung gewandt und ich hatte die perfekte Sicht auf seiner Narbe, die die linke Seite seines Halses bedeckte.
Ich hatte das Gefühl, dass diese nicht die einzige Narbe war, die für immer auf seiner Haut bleiben würden.
Langsam strich ich die losen Haarsträhnen auf seiner Stirn weg und bewunderte mal wieder den Mann vor mir.
Ihn beim Schlafen zuzusehen würde ich wohl gegen nichts auf dieser Welt eintauschen. Es reichte mir, wenn ich nur seine Existenz wahrnahm.
Das war also das Gefühl von Verliebtsein.
Wer hätte auch gedacht, dass ich Aleyna Kaya, ein schüchternes, ruhiges und bis vor ein paar Monaten noch jungsscheues Mädchen sich mal verlieben würde.
Tja, nicht alles blieb wohl, wie es war.
Ich zog so langsam wie es ging die Bettdecke über Emirs Körper und erhob mich lautlos vom Bett. Mit leisen Schritten verließ ich Emirs Zimmer und lehnte die Tür zur Hälfte hinter mir zu.
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Für immer und ewig.
Teen FictionAleyna hat es nicht leicht in ihrem Leben. Gerade als sie denkt, dass sie mit einem Neuanfang ihr Leben genießen kann, wird sie von Tag zu Tag immer mehr in ihre schreckliche Vergangenheit zurückgeschleudert. Personen werden sich gegen sie stellen...