Kapitel 62

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Tränenüberströmt kam ich zuhause an. Ich wollte niemanden sehen, einfach nur alleine bleiben, nachdenken.

Als ich meine Schuhe auszog, kam sofort meine Mutter und lächelte mich warm an, als sie mein wohl inzwischen nasses Gesicht sah.

"Was ist passiert?", rief sie gleich hysterisch und nahm mein Gesicht in ihre Hände. Ich schüttelte nur meinen Kopf - da ich nicht in der Lage war zu reden.

"Aleyna, delirtme beni. Ne oldu ? (Mach mich nicht verrückt, was ist passiert?)."

"Mama, bitte. Ich will etwas alleine bleiben", brachte ich heraus und ging an ihr vorbei.

Ich spürte ihre Blicke hinter meinem Rücken und doch lief ich in mein Zimmer und knallte die Tür zu. Ich konnte nicht mit ihr reden. Was sollte ich auch schon sagen?

Verzweifelt schmiss ich mich regelrecht in mein Bett, ohne meine Jacke auszuziehen und starrte die Decke an.

Was zur Hölle hatte ich nur getan?

Wie konnte ich es riskieren, Emir zu verletzen? Sein Vertrauen zu mir zu missbrauchen? Wie?

Es ging hier nicht mal so sehr darum, dass ich bei seinem Vater war. Nein. Es ging darum, dass er mir alles anvertraut hatte. Alles, was seine Eltern anging, was er erlebt hatte, seine Trauer, seine Wut.

Und ich? Ich hatte es ausgenutzt und ihn damit maßlos verletzt.

Wie soll ich dir wieder vertrauen? Wieso sollte ich?

Seine Wörter hallten in meinem Kopf herum. Es nahm kein Ende. Dauernd sah ich seinen enttäuschten Gesichtsausdruck vor mir. Wie kalt er wieder zu mir war - genau wie damals.

Seine Augen, die ich jedes Mal so schön fand, wenn sie mich anblickten, waren nicht mehr umgeben von seiner Wärme. Und es war meine Schuld.

Es war meine Schuld, dass er womöglich jetzt gerade zuhause ausrastete. Wer weiß, wie es ihm ging.

Ich strich meine Tränen weg und griff nach meinem Handy. Mir fiel nur eine Person ein, die mir gerade helfen konnte und das war Kerim.

"Kerim?"

"Hey Aleyna, alles klar?"

"Eh ja, nein nicht so", plapperte ich. "Hör zu, du...kannst du mir einen Gefallen tun?"

"Ja klar, was gibts?", fragte er jetzt besorgt.

"Kannst du bitte nachher bei Emir vorbeischauen? Ihm geht es nicht gut und ich möchte nicht, dass er alleine bleibt", sprach ich leise.

"Kann ich machen aber was ist passiert? Und wieso gehst du nicht?", wollte er verwirrt wissen. Ich wusste aber, dass er das nicht böse meinte.

Ich seufzte. "Emir soll es dir erzählen, wenn er das möchte", sagte ich leise. Ich wollte nichts erzählen, bevor er es von Emir hörte.

"Wir haben uns gestritten. Auf jeden Fall will ich nicht, dass er alleine ist. Er wird zwar niemanden bei sich haben wollen, aber bitte bleib trotzdem."

Kerim atmete hörbar laut aus. "Du machst mir gerade ehrlich Sorgen", sagte er und lachte leicht. "Aber klar, ich lasse ihn sicher nicht alleine, mach dir kein Kopf. Ich kann dich danach anrufen und dir sagen, wie es ihm geht, wenn du-"

"Ja! Das wäre toll", unterbrach ich ihn schnell.

Kerim lachte schwach. Ich merkte, dass er sich sofort Gedanken machte. Schließlich war Emir für ihn wie ein Bruder.

"Alles klar, wir hören uns."

Nach dem kurzen Gespräch lag ich noch eine ganze Weile im Bett und tat nichts. Absolut nichts. Es war komisch, denn einerseits fühlte ich mich leer und andererseits war mein Kopf voll mit Gedanken.

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