Kapitel 66

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Die folgenden Tage verliefen relativ schnell. Ich hatte endlich Semesterferien und konnte mich zumindest vom Unistress ausruhen.

Eren durfte eine Nacht später nach Hause, musste jedoch öfters zu Ärzten, um regelmäßig kontrolliert zu werden - was normal war.

Meine Familie und ich standen nach wie vor unter Schock. Irgendwie war es wie ein schlechter Witz. Ich konnte es immer noch nicht realisieren, dass mein Bruder nie mehr wieder laufen können wird. Es war zu surreal.

Dennoch mussten wir uns alle zusammenreißen und für ihn da sein. Wie bisher auch.

Schließlich war Eren nicht dumm. Er merkte selber, dass etwas nicht stimmte und spätestens nach den ganzen Arztterminen hatte auch er verstanden, was los war.

Es lief zuhause also stressig zu. Eren würde ein Rollstuhl brauchen und je nachdem musste mein Vater prüfen, ob die Türen im Haus dazu passend wären. Meine Mutter arbeitete wieder mehr als die Wochen zuvor, da sowohl ich als auch Semih zuhause waren und auf Eren aufpassen konnten.

Es war wirklich schwierig, sich daran zu gewöhnen, denn jedes mal wenn ich Eren helfen wollte, von der Couch aufzustehen, fiel mir ein, dass es nicht mehr wie früher war.

Vorletzte Nacht hatte ich meine Mutter weinen gehört. Anfangs dachte ich wirklich, dass ich mich verhört hatte aber nein, es war so. Ich verstand sie, als Mutter war so eine harte Erkenntnis einfach ein Tick schwieriger.

Meine Semesterferien kamen also sehr passend, was Eren betraf. Ich wollte nämlich in dieser Zeit so oft für ihn da sein, wie möglich. Semih und ich unternahmen jeden Tag was mit ihm, ganz einfach, damit er sich sicher war, dass wir für ihn da waren.

Seine Therapeutin bat uns nämlich bei jedem Termin darum, ihn in dieser Zeit nicht alleine zu lassen. Was wir aber auch vorher nie getan hatten.

Nun zu Emir. Seit unserem letzten Gespräch im Krankenhaus hatte ich ihn nicht gesehen. Wir telefonierten und schrieben uns jeden Tag und er wusste von Erens Situation Bescheid.

Demnach verstand er es, dass es für mich zur Zeit wichtiger war, bei meiner Familie zu bleiben.

Natürlich fand ich es gut, dass er verständnisvoll reagierte, andererseits hatte ich auch Schuldgefühle, weil ich ihn auch alleine ließ.

Sein Arm war gebrochen, er konnte kaum laufen und Schmerzen hatte er immer noch - was normal war. Zu meinem Glück ließ ihn Kerim nicht alleine und sah jeden Tag nach ihm, was mir Emir immer berichtete.

Er tat mir einfach furchtbar Leid. Ich wollte die letzte Woche trotzdem nicht zu ihm, da ich meine Eltern nicht denken lassen wollte, Emir wäre wichtiger als mein Bruder.

Zwar liebte ich Emir, das war nicht mal in Worte zu fassen. Er hatte einen besonderen Platz für mich. Aber mein Bruder war nunmal erste Priorität.

"Seid ihr fertig?", hörte ich meine Mutter schreien, die meine Gedanken unterbrach. Genervt lief ich ins Wohnzimmer und sah Semih, der sich seine Jacke anzog.

"Ja", murmelte ich nur.

Meine Mutter zwang mich allen Ernstes dazu, Hilal besuchen zu gehen. Oh nein, stop. Nicht Hilal, sondern ihr Baby. Ich sollte es für meine Tante tun, meinte sie. Was auch immer das nutzen sollte.

Ich war seit der Geburt ihres Kindes noch nicht bei ihr und ehrlich gesagt dachte ich nicht mal daran. Aber das wir immer noch in derselben Familie waren, hinderte so manches.

Es war also Samstagabend, meine Tante hatte uns alle zum Essen eingeladen. Früher wäre ich vor Freude ausgetickt und wäre schon morgens bei Hilal gewesen.

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