-01- Von der Zeit und Tagträumen

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Lara lag auf ihrem Bett und dachte über die Zeit nach. Ihr Blick war auf die kleinen Leuchtsterne gerichtet, die an der Dachschräge klebten.

Zeit, dachte sie. Wenn sie mehr davon hätte, würde sie die Sterne abnehmen, mit Wandfabre Planenten auf die Schräge malen und die Sterne anschließend wieder daraufkleben.

Wenn sie mehr Zeit hätte, würde sie mit Kyle um die Häuser ziehen, solange sie wollten und sich von der Musik treiben lassen. Einfach ins Auto steigen, scheiß auf den Führerschein, losfahren, und irgendwo ankommen.

Zeit.

Zeit war nicht unbedingt das Problem, nur wie man sie nutzt, oder nutzen musste. Es gab so etwas wie eine geheime Ordnung, wann was zu geschehen hatte. Aufstehen, essen, lernen, arbeiten, essen aufräumen, Termine wahrnehmen, essen, schlafen ... Lara störte das nicht unbedingt, sie dachte eben nur darüber nach, wie es wäre, wenn man sich die Zeit einteilen konnte, wie man es selbst wollte und nicht wie die Gesellschaft es einem vorschrieb.

Der Wecker klingelte. Ein altmodisches Ding, das tatsächlich, rund und fett, ausasah wie ein stinknormaler Wecker. Nur gab es kein nervtötendes Piepen von sich, sondern spielte ›Morning has broken‹.

Lara streckte sich unter der Bettdecke. Sie hatte keine Lust aufzustehen, oder in die Schule zu gehen. Aber wer hatte das schon? Sie war sich sicher, den Menschen fielen tausende Dinge ein, die sie lieber taten, als zur Schule, oder zur Arbeit zu gehen. Tausend Dinge, die am Ende doch nicht taten, da Worte immer leichter fielen als Taten. Liara überlegte, was sie wirklich machen würde, wenn die Schule heute ausfiele. Vermutlich noch ein bisschen weiterschlafen, ihren aktuellen Mangaband fertiglesen und anschließend ins Dojo gehen, um ein wenig Jiu Jitsu zu trainieren.

Lara stand trotz allem auf, suchte mit dem nackten Fuß nach dem Schalter für die Lichterketten und betätigte ihn. Hunderte Lämpchen glühten in rot und violett um die zwei Holzpfeiler, die die Dachschräge stützen, auf. Der Boden, auf den das Licht fiel, sah nun aus wie Sand unter Wasser - okay, recht violettes Wasser. Sie tanzte darüber hinweg, stellte den Wecker aus, der auf ihrem Schreibtisch stand und fischte rasch eine Jeans und einen grauen Sweatshirtpulli aus ihrem Kleiderschrank. Als sie die Treppe vom Dachboden in die kleine Wohnung hinunterstieg, drang ihr bereits der Geruch von frisch gebrühten Kaffee in die Nase.
»Dad?«, fragte sie und rieb sich den Sand aus den Augen.



»Guten Morgen.« Ihr Vater lächelte. Seine grünen Augen strahlten dabei, als hätte er sich Kontaktlinsen aus Smaragd eingesetzt. Er saß am runden Küchentisch, schob sich einen großen Löffel Haferflocken mit Erdbeeren in den Mund und wies kauend auf den Platz neben ihm. Dort stand bereits eine Schüssel bereit - die mit den schwarzen Henkeln an jeder Seite -, die Lara am liebsten mochte. Sie streckte sich und ließ sich dann seufzend neben ihren Vater sinken.
»Schläft Sophie noch?« Er nickte. »Ist Mum schon im Laden?«
»Ja, sie hat nicht viel geschlafen und wollte schon mal die Herbstdeko aufhängen.«
»Hat sie wieder über den Rechnungen gebrütet?« Lara nahm sich die Packung mit dem Schokomüsli, ein Geheimnis zwischen ihrem Vater und ihr. Ihre Mutter, Maike, achtete penibel auf eine gesunde Ernährung und da kam Schokomüsli aus dem Supermarkt normalerweise nicht auf den Tisch.
»Ja.« Ihr Vater fuhr sich durch das dunkelblonde Haar und hob einen Mundwinkel zu einem schiefen Lächeln an. »Aber mach dir keine Sorgen, little Fighter, wir kriegen das schon wieder hin.«

Ihr Vater nannte sie little Fighter, weil sie seit sie drei Jahre alt war, Kampfsport betrieb. Das lag wohl daran, weil sie in diesem zarten Alter das erste Mal von einem älteren, Kevin - fünf Jahre, geschlagen wurde. Sie wusste nicht mehr wieso, musste so eine eine Art an sich haben. Erst in der Grundschule wurde es richtig schlimm, vor allem mit den Jungs. Zugegeben, sie scheute den Konflikt auch nicht sonderlich und irgendwann konnte sie sich wehren. Wenn die Leute das erst verstanden, ließen sie sie in Ruhe. Aber links liegen gelassen zu werden, war nicht unbedingt besser. Entweder fühlte sie sich wie ein gottverdammter Geist oder eine Hexe vom Pluto!
»Wir habens bisher immer geschafft«, sagte Lara schulterzuckend und schaufelte sich einen Löffel Müsli in den Mund.
»Hilfst du heute Abend aus?« Ihr Vater kratzte sich hinten im Nacken. Er wollte sie eigentlich nicht darum bitten, das sah Lara. Aber das kleine Café in ihrem Laden musste ja irgendwie laufen und Geld für eine Aushilfe hatten sie nicht.
»Klar, kann ich machen.« Sie würde Kyle einfach versetzten. Das musste sie öfters, er wars gewohnt, außerdem war Montag und lange abhängen konnten sie sowie so nicht.

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