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»Du riechst sehr interessant«, flüsterte Lara. Sie saß in Geschichte neben ihm, hinten in der Ecke. Sie hatten den Einzeltisch verbannt und dafür einen Doppeltisch organisiert.

»Das ist der Geruch der Männlichkeit«, murmelte er und verschränkte die Arme vor ihm auf dem Tisch.

Sie lachte leise und küsste ihn auf die Schläfe.

Cas fühlte sich lebendiger denn je, aber diese Lebendigkeit war es auch, die ihn langsam von innen heraus verzerrte. Er sah es auch an ihr, in ihrem Blick, der so häufig auf den Horizont gerichtet war. Die Haut in denen sie steckten, schien einfach nicht mehr zu ihnen gehören zu wollen. Das Bild, welches sie lebten, war nicht ihres. Nicht mehr.
Cas bat Lara, sie mit in die Wohnung ihrer Mutter zu nehmen. Er wusste immer noch nicht, was er ihr zu Weihnachten schenken sollte. Mittlerweile war der 28. November, das hieß er hatte noch genügend Zeit, aber er wollte ihr etwas ganz besonderes schenken. Etwas, was ihr Herz berühren würde ...

»Ich weiß nicht so recht«, murmelte sie und holte Eis aus dem Gefrierschrank.
Ja, sie hatte Lust Ende November Eis zu essen. »Schlagsahne?«, fragte sie.

Cas nickte. »Und Schokostreusel«, ergänzte er.

Also legten sie noch eilig Schlagsahne und Schokostreusel in ihren Einkaufskorb und bezahlten, bevor das Eis schmelzen konnte. Haselnussvanille.

»Ich will wissen, wie du so gelebt hast und dein Zimmer sehen.«

»Wieso?« Sie sah ihn mit gerunzelter Stirn an.

»Du hast meine Wohnung gesehen ... « Er nahm ihr die Einkaufstüte aus der Hand. »Wir müssen auch nicht lange bleiben.«
Lara seufzte und stemmte die Hände in die Hüfte. Sie trug einen weißen Schal zu ihrem schwarzen Mantel und sah mit ihren schönen, roten Lippen einfach nur umwerfend aus.

»Na schön, aber erwarte nicht zu viel.«

Er nickte eifrig. »Und wenn du gehen willst, gehen wir sofort, versprochen!«

Lara riss ihm die Tüte aus der Hand und stapfte aus dem Kaufhaus. Cas lachte leise und folgte ihr. In Lara brannte ein Feuer, ein wunderbares, wildes Feuer, welches ihn in Schach hielt aber auch wärme schenkte. Wärme und Sicherheit. Er eilte vor sie und hielt ihr die Beifahrertür auf.

Wie sich herausstellte, wohnte Lara in einer recht unauffälligen Wohngegend. Hier lebten die durchschnittlich verdienenden Bürger und Bürgerinnen. Er wusste, Lara musste dort bald komplett ausziehen. Ihre Mutter, Maike, konnte sich nicht mehr um die Rechnungen kümmern und Susi konnte nicht alles überbrücken. Das Wunderkästchen ging den Bach hinunter. Lara schien deswegen nicht sonderlich betrübt, viel mehr erleichtert. Cas verstand das Gefühl. Sie wollte einfach nur raus aus ihrer alten Haut. Sie stiegen ein dunkles, doch sauberes Treppenhaus hinauf. Lara brauchte eine Weile, bis sie den Schlüssel in ihrer dunkelgrünen, mehr als ausgefragten, Tasche fand.

»Hab ich dich«, sagte sie und steckten den Schlüssel ins Schloss. Sie hielt kurz inne und schaute zu ihm hoch. Cas legte seine Hand auf ihre und lächelte ihr zu. Egal was er jetzt sehen würde, egal welche Geheimnisse hinter dieser Tür lauerten, er würde für sie da sein. Lara seufzte und öffnete die Tür. Der Geruch von Staub, Alkohol und abgestanden Essen strömte ihm entgegen, als er über die Schwelle trat. Lara verstaute das Eis in der Gefrierschublade ihrer kleinen Küche und führte ihn ohne Umwege durch den schmalen Flur zu einer Holztreppe, die in den Dachboden führen musste.
Sie stiegen hinauf, Lara öffnete eine Luke, und sie betraten ihr Zimmer. Lara riss sofort sämtliche Fenster auf und ließ die kalte Luft hereinströmen. Sie setzte sich auf ihr großes Bett mit schwarzer Bettwäsche. Cas zog seine mittlerweile verblichenen Vans aus und setzte sich neben sie. Sein Blick wanderte zu der Dachschräge, an denen kleine Plastiksterne klebten. »So hast du immer den Sternenhimmel vor dir«, sagte er. Lara sah ihn mit ihren großen Augen an und lächelte dann verlegen. »Meine Mum sagt immer, ich wäre zu alt dafür.«

»Zu alt für Sterne?« Er lachte und sah sich weiter im Zimmer um. Überall hingen Poster von Mangafiguren. Einige erkannte er, wie zum Beispiel das Mädchen von Shineskai Yori, oder Yato von Noragami. Er entdeckte ein selbstgezeichnetes Bild, direkt über ihren Schreibtisch. Es war eine Bleistiftzeichnung und zeigte einen Mann, mit wachen, gütigen Augen der zwei Mädchen in den Armen hielt. Ein großes, eindeutig östlicher Herkunft und ein kleineres, welches dem Mann sehr ähnlich sah. »Ist das dein Dad?«, fragte er und deutete auf das Bild.
Lara nickte. »Ja, mein Dad, Sophie und ich.«
»Hast du das gezeichnet?«

Sie schüttelte den Kopf. »Maike. Sie kann wirklich gut zeichnen.«

»Hm ... « Cas betrachtete die Lichterketten um die Stützpfeiler und entdeckte an einer die Westerngitarre lehnen, auf der sie bei der Totenwache gespielt hatte. »Spielst du für mich?«
Lara grinste ihn an. »Singst du für mich?«

Cas zog die Schultern hoch. »Okay.« Er hatte früher mit Yugi, Julia und ein paar anderen Kumpels in einer flüchtigen Band gespielt, mit ihm als Sänger. Lara stand auf holte, die Gitarrte und legte sie sich auf den Schoß. »Welches Lied?«
»Welche kannst du denn spielen?«

Lara kaute auf ihrer Unterlippe herum und schien zu überlegen. Dann grinste sie. »Metallica – the Unforgiven.«
»Du magst Metallica?« Cas zog die Brauen hoch.

»Ich liebe Metallica, vor allem, wenn ich dazu Gitarre spiele.« Sie legte die Gitarre auf ihr Bett, bückte sich und zog einen zusammengeklappten Notenständer unter ihrem Bett hervor. »Dafür brauch ich allerdings Noten und du bestimmt den Songtext.«
Cas nickte. »Wäre ganz gut.« Er kannte das Lied, hatte es sogar schon öfters gesungen, aber auswendig konnte er den Text nicht. Während Lara den Notenständer aufbaute und aus einem Schrank, in denen unzählige Mangas standen einen Ordner mit Songtexten zog, ging Cas in Gedanken schon mal die Melodie durch.

Lara positionierte Noten und Songtext auf dem Ständer und setzte sich wieder zu ihm. Sie stimmte ihre Gitarre und sah ihn schließlich mit erhobener Augenbraue an. »Bereit?«

»Bereit.« Er räusperte sich, atmete tief ein und aus und wartete auf das Intro.

Sie fing an zu spielen und Cas war sofort hin und weg. Lara konnte wirklich sehr gut Gitarre spielen. Ihre Fingen huschten nur so über die Saiten. Ein wundervoller Anblick, vor allem bei Tageslicht. Er ließ sich von der Melodie mitziehen und fing an zu singen.
Lara wirbelte ihre Haare hin und her. Cas stand auf, schnappte sich die leere Wasserflasche neben ihrem Bett und missbrauchte sie als Mikrophon. Lara hängte sich die Gitarre mit dem Lederband um die Schulter, gesellte sich neben ihn und dann rockten sie »Metallica - the Unfogiven« rauf und runter, rauf und runter, bis Cas so heiser war, dass er das Lied nur noch raunen konnte.

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