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Die hellgraue Säule verwandelte sich schnell in schwarzgrau und am Himmel zogen unnatürliche Wolken. Der Wind wehte den Geruch von verbrannten Holz zu ihnen hinüber.

Kurz darauf ertönten die Sirenen von Feuerwehrwagen in der Ferne. Lara und er hatten sich ein wenig näher an die Quelle herangewagt. Ein ungutes Gefühl überkam ihn, als er in ihr blasses Gesicht schaute. Als würde sie etwas ahnen, nein, als würde sie es fast schon wissen. Cas wusste, in der Richtung aus der der Rauch kam, stand das Wunderkästchen, aber noch hoffte er, es würde ein anderes Gebäude betreffen. Er hoffte es für sie, nicht für die armen Ladenbesitzer. Eine Gruppe von Menschen näherten sich ihnen in hektischen Schritten. »Was ist passiert?«, fragte er einen braunhaarigen Jungen, der keuchend vor ihm stehen blieb. »Da hinten brennt es. Es gab wohl ne kleine Explosion und dann ... «

»Welcher Laden?«, unterbrach ihn Lara und ballte die Hände zu so festen Fäusten, ihre Knöchel traten weiß hervor. »Weiß nicht, glaub dieser Esoterikladen.«

Cas wollte nach Laras Arm greifen, doch sie wich zurück und starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an. »La...« Sie drehte sich um und rannte. Cas folgte ihr und rief dem Jungen noch ein kurzes »danke« zu. »Sophie, Susi!«, brüllte sie, als sie sich dem Wunderkästchen näherten. Cas wurde gleichzeitig heiß und kalt, als ihm mit einem Schlag bewusst wurde, dass die beiden noch da drin waren, um die Adventsfeier vorzubereiten. Scheiße. Er packte Lara grob am Arm und riss sie zurück. Nur zehn Metern vor ihnen stand das brennenden Wunderkästchen. Rotorangene Zungen leckten sich daran. Es sah aus, als wäre die Hölle auf Erden ausgebrochen. Die Einsatzkräfte waren schon vor Ort und versuchten die Lage unter Kontrolle zu bringen.

»Lass mich los!«, schrie Lara und dann brüllte sie: »Das ist noch jemand drin! Da ist noch jemand drin, verdammt!« Sie riss sich mit purer Gewalt los und stolperte zu einer der Feuerwehrmänner. »Sie müssen sie rausholen, meine Schwester und Susi!«

Ein ohrenbetäubendes Klirren ertönte und Cas sah wie Glas zerbarste und scheppernd zu Boden prasselte. Für einen Moment meinte er den Schatten einer kleinen Gestalt zwischen den Flammen zu sehen, er hörte Laras Schreie und etwas in ihm riss sich los. Seine Sicht verdunkelte sich immer mehr, bis er nur noch das Gebäude wahrnahm und dann sah er sie. Sophie, versteckt hinter umgefallenen Schränken, Qualm und Flammen. Die Feuerwehrmänner konnten sie Frontal nicht sehen.

Zwei Frauen, mit Schutzanzug und Helmen kamen aus den Gebäude gestürmt, in der Mitte schleiften sie eine rothaarige Frau, die über und über mit Blut bedeckt und scheinbar ohne Bewusstsein war. Susi, dachte er und dann, »sie müssen da nochmal rein« und »Lara darf ihre Schwester nicht verlieren!«

»Das Kind! Wir brauchen Verstärkung, kommen nicht zu ihr durch!«, schrie jemand. Dann gab es einen Knall und es regnete noch mehr Scherben. Das war der Augenblick indem Cas beschloss in die Hölle auf Erden zu stürmen. Er beschloss es nicht wirklich, sondern machte es einfach. Die Flammen begrüßten ihn mit ihrem knackenden Gekicher, das dunkle, verschmorende Holz grinste ihm finster entgegen. Hinter ihm schrien Menschen, doch er ging weiter. Völlig ohne Verstand tauchte er zwischen den Flammen hindurch. Der Rauch brannte bereits in der Lunge und die Hitze baute sich gegen ihn auf wie eine unsichtbare Wand. »Sophi!«, brüllte er, hustete und ging weiter. »Sophi?!«

Er hielt sich den Ärmel seines Mantels vor Nase und Mund. Der Qualm in seinen Augen versperrte ihm die Sicht, doch er konnte sie laut wimmern hören. Noch ein paar Schritte. Er quälte sich vorwärts, blinzelte die brennenden Tränen fort und sah sie endlich hinter brennenden Regalen sitzen und weinen. »Sophie!« Sie zuckte zusammen, stand auf, sank aber sofort hustend auf die Knie. Cas sah sich verzweifelt nach einem Weg zu ihr um. Aber überall türmten sich Flammenwände auf. Erneut gab es einen Knall. Cas wusste nicht, woher er kam, nur, dass sie hier wegmussten.

»Halte durch!«, rief er und hustete krampfhaft. »Zieh deinen Pulli aus und drück ihn dir vor deinen Mund und die Nase!« Sophies Schultern bebten und sie hustete immer schlimmer.

Verdammt, er musste zu ihr, unbedingt! »Zieh deinen Pulli aus«, rief er erneut.
Seine Sicht verschwamm unter Tränen. Mit zitternden Armen zog sie den Pullover aus und drückte ihn auf ihren Mund. Sophie sah ihn flehend an, dann kippte sie nach vorne.

»Sophie!« Cas spürte plötzlich einen zwickend heißen Schmerz in seinem linken Oberarm. Er taumelte zurück, sein Mantel hatte Feuer gefangen. Panisch versuchte er es mit seiner freien Hand zu löschen. Plötzlich riss ihn jemand nach hinten und erstickte das Feuer auf seinem Arm mit dicken Handschuhen. Winter, dachte Cas. Der Winter musste hierherkommen und das Feuer einfrieren.

»Sophie«, murmelte er. Tropfen von Wasser fielen auf seine Wange. »Wir holen sie daraus, Junge«, schrie ihn jemand direkt ins Ohr. Cas schaute sich um, sah aber nichts außer ein Meer aus verschwommenem Rot und Orange. »Sie muss, Sie müssen sie ... « Er hustete. Seine Lunge verkrampfte sich und er bekam nicht genug Luft. Der Mann verstärkte seinen Griff und zog ihn mit sich. Für einen Moment dachte Cas, er wäre bereits in den Flammen gestorben. Der Tunnel aus Rauch und Flammen erschien ihm endlos. Nur der erlösende Ruf hinter ihm: »Wir sind durch!«, trieb seine Füße an weiter zu gehen.

Als ihm das helle Licht der Außenwelt entgegenkam und die Luft kühl und rein wurde, schlug ihn jemand wieder und wieder gegen die Schultern und schrie: »Wieso bist du da rein?! Wieso bist du da rein, verdammt!?!?« Er lief unbeirrt weiter, die Feuerwehrmänner waren nicht mehr neben ihm und er spürte, wie er wankte. Hände krallten sich in seine Oberarme, auch dort, wo seine Haut ein wenig verbrannt sein musste. Er zuckte zusammen, hörte sie schreien, doch konnte sie nicht sehen. Das Licht, das helle Licht des Tages brannte sich in seine Netzhaut und verwandelte die Welt in eine Welt aus Schnee. Kraftlos sank er auf die Knie. Er hörte wie sie neben ihn sank und weinte. »Lara«, keuchte er. Cas streckte seinen Arm nach ihr aus, fand die Rundung ihrer Schulter, doch sie schlug seinen Arm weg. »Lass mich!«

Er blinzelte und dann sah er sie. Dicke Tränen rollten über ihr karmellfarbenes Gesicht.

Sie war das schönste Wesen auf dieser Welt.

»Lara ... «, wiederholte er. Seine Stimme hörte sich rau und kratzig an. Erneut versuchte er sie zu berühren, doch sie schüttelte wild den Kopf. Sie sah auf und blickte an ihm vorbei. Cas konnte beobachten, wie sich ihre Pupillen weiteten. »Sophie!«, rief sie, rappelte sich auf und rannte zu den Feuerwehrmännern, die das blasse Mädchen in Richtung eines Krankenwagens trugen. Seit wann waren die Sanitäter da?, fragte er sich. Sein Kopf fühlte sich benommen an.

»Lara!«, brüllte jemand so laut, die ganze Stadt musste es hören. Ein Typ mit kurzen, goldblondem Haar lief auf sie zu. Kyle. Sie fiel ihm in die Arme, sobald er den Krankenwagen erreichte. Cas vernahm einen seltsamen Stich im Herzen. In seinem Bauch brodelte Angst und verwandelte sich in tiefe Sehnsucht, als das Gefühl seine Brust erreichte. Er blinzelte, dann wurde ihm schwarz vor Augen.

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