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Lara schaute zu Cas, der sich mit den Händen auf den Knien abstützte. »Bist du okay?«

Er richtete sich auf. Ein breites Grinsen huschte über sein Gesicht. »Das war der Wahnsinn! Wo hast du so kämpfen gelernt?«

»Hab den ersten Meistergrad in Jiu Jitsu.« Sie lächelte stolz und schaute den Gehweg hinab. Nur wenige Menschen liefen zwischen den Kleider- und Drogerieläden hin und her. Eine Mutter schob gerade ihren Kinderwagen in eine Bäckerei. Sie standen nicht weit vom Wunderkästchen entfernt.

»Hast du dich irgendwo verletzt?« Sie begutachtete sein Gesicht, konnte aber bis auf eine angeschwollene Wange nichts feststellen. Er zuckte mit den Schultern.

»Vielleicht sollten wir die Wange kühlen. Wir könnten ins Wunderkästchen, da finden wir auch was zu essen.«

Cas nickte. »Okay. Bringst du mir das bei?«

»Was?«

»Jiu Jitsu.«

Sie grinste. »Wenn du das aushälst.«

Cas lachte, während sie über den Kopfsteinpflaster liefen. »Ich verbringe gerne Zeit mit dir.«

Lara spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss. Als sie vorsichtig zu Cas schielte, sah sie, dass seine Ohrenspitzen, die leicht hinter seinen Haaren hervorschauten, dunkelrot anliefen.

Lara konnte die deckenhohen Rundbogenfenster des Wunderkästchens schon von weitem sehen. Drinnen begegneten sie Susi, die hin und her wuselte und Bücher aus Kisten verräumte. »Ah, Lara«, sagte sie. »Gut, dass du schon da bist. Ich muss zu einem Arzttermin, du weißt doch mein Rücken. Wollte früher Mittagspause machen. Kannst du vielleicht übernehmen?« Sie schaute Cas an und zog ihre roten Brauen hoch. »Wer ist das?«

»Das ist Cas«, stellte Lara ihn vor.

»Hi«, sagte Cas und reichte ihr die Hand. Susi begutachtete sie argwöhnisch und fragte dann: »Cas wie Castiel bei Supernatural?«

»Ja. Meine Mum kannte den R...«

»Interessant.« Susi nahm nun endlich seine Hand entgegen. »Ich muss los. Lara, wenn du hierbleibst kann ich später auch Sophie abholen. Es ist eh nicht viel los.«

Lara nickte. »Ich übernehme bis heute Nachmittag.«

Susi lächelte wissend und fuhr sich über eine Rastalocke. Dann packte sie ihr Zeug zusammen und verschwand aus dem Laden.

»Allein«, murmelte Lara. Cas gähnte herzhaft und fing an zwischen den Regalen hin und her zu wandern und sich alles anzusehen. »Es riecht gut hier drin«, stellte er fest. Lara setzte sich auf den Tresen. »Ja. Das sind die Duftkerzen und Kräuter. Und das alte Holz der Bücherregale.«

Cas kam zu ihr. »Du siehst müde aus.« Er setzte sich neben sie.

»Ich bin müde.«

Cas sprang vom Tresen und lief die Stufen ins Café hinunter. »Willst du schlafen?«

Lara folgte ihm. »Hier?«

»Ja.« Er nahm ein Polster von einem der Korbsessel und legte es auf den Boden.

»Hierrauf? Und wenn Kundschaft kommt?«

Cas schaute sich um und fuhr sich durch das schwarze Haar. »Wir könnten den Laden für ne Stunde oder zwei schließen.«

Lara überlegte kurz. Vor 15:00 würde wahrscheinlich sowie so keiner kommen. Aber trotzdem konnte sie nicht einfach schlafen. Im Laden. Mit Cas.

Cas rieb sich über die Augen. Eine kleine Ader war in seinem rechtem geplatzt. »Du bist wohl genauso müde«, stellte sie fest. Als Antwort zog er noch eines der Polster von den Sesseln. Lara ließ ihn. Ne Stunde die Augen ausruhen konnte ja nicht schaden. Sie drehte bei beiden Eingängen das Schild auf Close und half Cas dann, zwei Schlaflager aus Polstern zu bauen. Sie schoben die Tische und Sessel ein wenig zur Seite, damit sie Platz hatten. »Kann man es hier irgendwie dunkel machen?«, fragte Cas und wischte sich ein paar Schweißtropfen von der Stirn. Lara deutete auf die blauseidenen Vorhänge, die seit Jahren an einem Haken zusammengebunden waren. Er wollte gerade hingehen, doch Lara hielt ihn zurück. »Cas, hast du Fieber?« Er drehte sich zu ihr und zog die Schultern nach oben. »Vielleicht ein wenig. Aber ist nicht schlimm.«

Lara seufzte. »Mach es dunkel.Ich mach die Lichterketten oben an und uns einen Tee.« »Winterpunsch?« Erlächelte. »Der war lecker.«

Lara lächelte zurück, schaltete die orangenen Lichterketten an und ging in dieKüche um den Tee zu kochen. Als sie wiederkam, lag alles in einem angenehmrotorangenem Licht, als würden oben im Laden hunderte Kerzen scheinen und aufsie herab leuchten. Cas saß im Schneidersitz auf den Polstern und spielte aneinem kleinen Lederarmband. Lara erkannte den Mondstein wieder, den er dorteingefädelt haben musste. Sie setzt sich ihm gegenüber und stellte den Tee indie Mitte. Während sie tranken, redeten sie kaum miteinander. Dafür fühlten siesich beide wohl zu müde. Aber das war okay. Lara mochte diese Art von Stille,denn in ihr war sie nicht allein. Cas saß bei ihr. Sie konnte seine Nähe undWärme spüren. Er hustete hin und wieder und sie war froh, dass er sich endlichein wenig Ruhe gönnte und tatsächlich nur aufstand, um pinkeln zu gehen.Irgendwann legte sich Cas einfach hin und Lara machte es ihm gleich. Eine Weileschauten sie sich an, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Es genügte Lara voll undganz in seine meerblauen Augen zu schauen, die ihren Blick so voller Wärmeerwiederten und seinem Atem zu lauschen. Sie schlief ein, ohne es zu bemerken.

Irgendetwas weckte sie. Sie wusste nicht, was es war, ein Gefühl als wäre etwasnicht in Ordnung. Lara setzte sich auf und blinzelte zu Cas hinüber. Er saßaufrecht da, sein Handy in der Hand und zitterte am ganze Körper. »Cas?« Sieberührte ihn an der Schulter. »Was ist los?« Er zuckte zusammen wie ein scheuesReh. »Ich ... «, er stand auf. Eine einzelne Träne lief über seine Wange, wieein Tropfen aus silbernem Wasser. »Ich muss gehn.«

Lara sprang auf. »Cas, was ist passiert?«

Er schaute sie nicht an, hob seine Jacke vom Boden auf, steckte das Handy einund ging zur Tür. »Cas.« Er blieb stehen. Seine Schultern zitterten leicht.»Ist etwas mit deiner Mum?«

Sie konnte ihn zitternd ausatmen hören. »Bitte, komm mir nicht nach«, sagte er,riss die Tür auf und verschwand auf die Straße, hinaus in die Stadt. Weg vonihr. Allein, mit seiner silbernen Träne.


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