-11- Von fallenden Blättern und SMSen

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Am nächsten Tag ging Lara nicht in die Schule. Ihre Mutter telefonierte mit irgendwelchen Leuten, wegen der Beerdigung. Susi kam vorbei, griff Maike ein wenig unter die Arme. Sophie hockte in ihrem Zimmer und hörte laut Musik. Lara stöpselte sich ihren MP3-Player in die Ohren und lief durch die Straßen. Sie hätte Kyle anrufen können, wollte aber lieber alleine sein. Schließlich stieg sie in den Bus und fuhr an den See.
Donnerstagmorgen.
Kaum einer war unterwegs und Lara konnte ungestört »nothing else matters« mitsingen. Irgendwann fing sie an zu joggen. Der kalte Wind, der ihr entgegen peitschte, riss die Gedanken mit sich fort und Lara war sehr dankbar dafür. Sie joggte hinauf zu der Wiese, unter den Linden vorbei, deren goldene und rote Blätter wie Schnee auf sie niederfielen. In gewisser Weise starben sie auch, die Blätter.

Lara lief so lange, bis ihre Knie einfach nachgaben. Sie hatte ihre Erschöpfung nicht bemerkt, bis sie plötzlich einfach einknickte und auf den Boden landete. Lara legte sich auf die Wiese und schaute in den wolkenverhangenen Himmel. Sie streckte ihre Hand nach einem fallenden Blatt aus. Es kitzelte auf ihrer Handfläche. Sie atmete tief ein und wieder aus. Der Herbst umgab sie mit seiner kühlen Luft, der Erde und den Blättern. Lara dachte an ein Lagerfeuer, an das rotorange Licht und die Funken, die in den Himmel stiegen. Den Himmel - zu ihm.

Als ihr Handy vibrierten, bekam sie es zunächst überhaupt nicht mit. Erst als es ihr in zwei Sekundentakt, Stöße in die Hüfte verpasste, setzte sie sich auf und zog genervt das Ding aus ihrer Jeans. 35 Nachrichten. Was zur Hölle? Sie hätte das Smartphone einfach ausschalten sollen. Lara seufzte, entsperrte den Bildschirm und öffnete die Nachrichten.

Kyle:

Lara, alles klar?

Ich meine, geht's dir gut?

Soll ich vorbeikommen?

Hey antworte!

Jetzt!

Lara?

Lara??

Lara???

.

.

.

Ruf mich an, wenn du die SMSen liest, okay?;)


Unbekannte Nummer:

Hey Lara, ich hab deine Nummer von, ach ist auch egal. Wollte fragen, ob alles in Ordnung ist. Ja, ich weiß, es ist nichts in Ordnung. Wie denn auch ...
Hör mal, es tut mir leid, wie das alles gelaufen ist, wirklich.

Cas.

Lara starrte einen Moment ungläubig auf den Display. Sie hatte nicht erwartet, dass er sich je wieder melden würde. Erst wollte sie nicht antworten, tat es aber dann doch, weil er sich zumindest bemühte.

Lara:

Hat sie überlebt?

Die Antwort kam sofort. Lara fragte sich, ob er jetzt nicht im Unterricht saß. Der Urzeit nach zu urteilen, in Mathe oder Englisch - je nach Kurs. Aber wahrscheinlich war er bei seiner Mutter.
Cas:

Ja.

Lara:
Geht es ihr gut?

Keine Antwort.
Lara wurde aus ihm nicht schlau. Sie hatte überlebt. Das Herz ihres Vaters schlug nun in ihrer Brust.
»Hörst du das?«, fragte sie in den Himmel. »Es schlägt. Du hast Leben geschenkt.« Sie griff mit beiden Armen nach oben, als könnte sie ein Stück Himmel zu sich nach unten ziehen. Ihr Handy vibrierte. Sie drehte sich zur Seite und schaute sofort nach.

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