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Vor der Haustür musste er sich einen Moment sammeln, bevor er die Klingel mit der Aufschrift: Susi Rio betätigte. Ein Surren ertönte und er drückte die Eingangstür auf. Im Treppenhaus war es kühl. Er hörte wie jemand, in einem höheren Stockwerk, einen Schlüssel im Schloss drehte und machte sich daran, die Stufen hochzugehen. Im zweiten Stockwerk angekommen, sah er bereits Lara, die ihm zuwinkte. Sie trug ein weinrotes Kleid und das Amulett ihrer leiblichen Mutter. Er musste lächeln, als er sie so sah und fragte sich, ob Lara wusste, welch unglaubliche Schönheit sie ausstrahlte. Innen und Außen. Cas schluckte, als er vor ihr stehen blieb und auf ihre glänzend schwarzen Haare schaute.

»Du siehst gut aus«, sagten sie beide gleichzeitig und kicherten dann dumm.

Lara machte einen Schritt zur Seite, um ihn durchzulassen. Er roch nach scharfer Soße und frisch gekochtem Reis. Cas Magen knurrte lautstark.
»Hunger?« Lara grinste ihn an. Sie trug eine passend rote Spange, die ihre Haare soweit zurückhielten, dass man ihre hohe Stirn sehen konnte. Er nickte und widerstand dem Drang seine Hände in die Hosentaschen zu schieben. »Hallo, Cas«, sagte eine Frauenstimme. Cas sah auf und schaute zu Susi, die eine schwarze Schürze mit einem roten Teufel darauf über einem ausgefransten Jeanskleid trug.
»Hi.« Er reichte ihr die Hand, doch sie klopfte ihm auf die Schulter. »Junge, sei doch nicht so steif. Du bist ja ein wandelnder Besen.«

»Susi«, sagte Lara mit einem warnenden Unterton und umklammerte Cas Hand.

Kribbelnde Wärme durchströmte ihn bereits bei dieser kleinen Berührung.

»Na dann, ihr Turteltäubchen, setzt euch.« Sie nickte in Richtung eines Raumes, aus dem es nach Essen duftete. Cas befahl seinen Magen in Gedanken still zu sein und folgte Lara in den mittelgroßen Raum, der Küche und Esszimmer miteinander verband. An dem hohen, kreisrunden Tisch standen Barhocker aus den unterschiedlichsten Zeiten und Stilrichtungen. Laras Schwester, Sophie, saß auf einem knall pinken im Discolook. Lara setzte sich auf einem im Cowboystile und wies ihm einen neben ihrem zu, der aussah wie eine festgefrorene Welle aus Holz. Susi kam ihnen nach und servierte kurz darauf Chiliconcarne in kleinen, orangeroten Pfannen. Cas wartete, bis sich alles setzten. Susi schob sich als erste einen Löffel in den Mund und wünscht erst dann einen ›guten Appetit‹.

»Danke, gleichfalls«, sagte sie alle brav. Cas entspannte sich ein wenig und genoss das echt gut abgeschmeckte Essen.

»So Cas«, sagte Susi, nachdem er ungefähr die Hälfte aufgegessen hatte.

»Erzähl mal was von dir? Was machen deine Eltern beruflich, um einen leichten Einstieg zu finden.«

Lara verschluckte sich an ihrem Essen und hustete heftig. Er klopfte ihr auf den Rücken. Sie hatte Susi wohl kaum etwas über ihn erzählt. Aber das konnte er ihr nicht übel nehmen, schließlich waren die Umstände doch recht tragisch.

»Sorry«, murmelte sie ihm zu, als sie sich beruhigt hatte und wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln. »Schon gut«, sagte er und schaute dann zu Susi.

»Meine Mum ist tot, meinen Dad habe ich nie kennengelernt. Aber sie hat eine Weile als Deutsch- und Englischlehrerin gearbeitet.«

Cas sah, wie Susi blass wurde. Sie legte ihren Löffel auf die Pfanne.
»Das tut mir leid. Lara hat nichts ... «

»Das ist schon okay.« Cas hob beschwichtigend die Hände.

»Na ja, da habt ihr ja was gemeinsam.« Sophies Augen betrachteten alle Anwesenden skeptisch. »Wie ist sie gestorben?«, fragte sie.

Lara verschluckte sich erneut, diesmal an ihrem Wasser. Cas befürchtete, sie würde an diesem Abend noch ersticken. »An einer Herzmuskelschwäche«, antwortete er Sophie.

»Oh ... Hätte sie ein Spenderherz gebraucht? Unser Dad hat seins gespendet. Tut mir leid, dass deine Mum gestorben ist.«

Cas schaute zu Lara, in der Angst, sie würde sich gleich wieder verschlucken. Die Hand, die ihr Wasserglas umklammert hielt, zitterte. Dann stellte sie es ab und warf Cas einen fragenden Blick zu. Vielleicht war jetzt der Zeitpunkt der Wahrheit gekommen. Er neigte sich zu ihr und flüsterte an ihr Ohr: »Du kannst ihnen alles erzählen, wenn du willst.«

»Also ... «, sie räusperte sich. »Genau genommen, hat sie auch ein Spenderherz bekommen. Aber sie hat es abgestoßen und ist kurz darauf gestorben.«

»Das ist ... «, setzte Sophie an, schwieg dann aber. Cas hoffte, sie würde nicht fragen, ob es nicht zufällig das Herz ihres Vaters war.

»Am Ende wars Thomas Herz«, scherze Susi und lachte.

Cas schwieg. Lara schwieg auch und kaute auf irgendetwas herum. Vermutlich auf Luft.

»Mo-ment ... « Susi sah ihn konzentriert an. »Ihr wollt mich doch verarschen, oder?«

»Wann ist deine Mum gestorben?«, fragte Sophie leise und rutsche unruhig auf ihrem Hocker hin und her. Cas sah zu Lara, die ganz leicht den Kopf schüttelte. Ganz toll, für einen Rückzieher war es jetzt eindeutig zu spät! Er schaute zu Sophie und antwortete: »Ist schon ne Weile her.«

Susi sprang auf. »Ich brauche jetzt Schnaps und Schokolade, wollt ihr auch?« Alle nickten.

Den restlichen Abend verbrachten sie recht angeschwipst. Sogar Sophie durfte einen mini Schluck probieren, bevorzugte dann aber doch einen heißen Kakao und Nugatschokolade.

Sie sprachen nicht mehr über seine, oder Laras Eltern, sonder unterhielten sich über Zelda, Laras neues Buch NUMBEERS, über dumme Mathelehrer und verheulte Englischlehrerinnen und spielten dann bis in die späte Nacht hinein Monopoly, was dazu führte, dass Susi irgendwann auf ihren Barhocker stieg und rief: »Ich bin reich, BEACHES!!!«
Cas musste herzhaft lachen und küsste Lara darauf hin, bis sie von ihrem Hocker fiel und glucksend am Boden lag. Sophie erlangte in der der dritten Runde die fucking Schlossallee und warf mit dem Spielgeld um sich, als Cas das überteuerte Hotel bezahlen musste! Er kitzelte sie dafür, bis sie damit drohte, sich in die Hose zu machen. Als der Morgen graute, spielten sie eine Runde Mikado mit essbaren Schokstäbchen und irgendwann war ihnen allen einfach nur noch schlecht von dem Süßkram und Schnaps, Sophie vermutlich von den zwei Liter Cola, die sie intus hatte.

Susi beschloss, dass Cas nicht mehr in der Lage war, Auto zu fahren, weshalb sie den Tisch und die Barhocker in die Ecken schoben und Lara und ihm ein Lager zum Schlafen bauten.
Sophie bockte ein wenig, weil sie auch in der Küche schlafen wollte, sah aber bald ein, spätestens als Lara ihn mit Küssen überall im Gesicht bombardierte, dass es wohl für sie angenehmer war, wenn sie im Wohnzimmer schlief. Lara und Cas legten sich schlafen, ohne sich zu waschen, oder die Zähne zu putzen. Eine süße, berauschende Müdigkeit lag über ihm und ließ ihn die ganze Welt, außer Lara vergessen, die neben ihm, halb auf einem großen Kissen lag. »Ich hatte schon lange nicht mehr so viel Spaß«, flüsterte er.

»Ich auch nicht. Susi ist ganz begeistert von dir.« Sie gähnte und rieb sich über die geschlossenen Augen. Cas Herz schlug ein paar Takte höher, als er das sah. »Wirklich?«

»Mhm ... « Sie drehte sich zur Seite. » ... schlafen ... «, murmelte sie nur, also legte Cas einen Arm um ihre Taille und schloss ebenfalls die Augen. Er träumte von einem riesigen Monopolyfeld mit echten Häusern und Hotels. Lara und er hatten weiße Flügel, sie schwebten über die mit Sand oder Kies gefüllten Wege und schauten in jedes Hotel. Sie ärgerten die Angestellten, indem sie ihre Hüte, oder Westen klauten und irgendwo versteckten, bis plötzlich tausende, weiße Tauben auftauchten und er von einer Sekunde auf die nächste mit ihr auf einem Floss inmitten des türkisblauen Meeres stand und auf eine Insel am Horizont blickte.

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