Cas schlug die Augen auf und es fühlte sich an, als würde er aus einem langen Traum erwachen. Ein Alptraum. Seine Kehle brannte wie Feuer und er griff nach der Bierflasche, die neben dem Sofa auf dem Boden stand. Koma, dachte er. Irgendwie klammerte sich seine Mum an den Tod, doch das Leben gab ihnen immer neue Hoffnung, um sie dann in der Luft zu zerreißen.
Nierenversagen, Dialysegerät, Multiorganversagen, Koma. Ein Körper, viel zu schwach um zu überleben ... und immernoch schlug das Herz. Das geliehene Herz. Cas kam sich vor wie ein verdammter Dieb und wenn sie starb, wenn alles endete, dann war er umsonst gestorben. Laras Vater. Cas stand auf. Sein Handy lag auf der Fensterbank. Den wievielten hatten sie heute? Wie viele Tage waren verstrichen? Sonntag, das wusste er. Es war Sonntagmorgen. Cas schloss sein Handy an das Ladegerät an und gönnte sich eine kurze Dusche. Auch heute würde er wieder ins Krankenhaus gehen. Er wusste bereist, was ihn erwarten würde, sah es klar vor seinen Augen. Seine Mum, blass, die schwarzen Haare verstreut auf dem Kopfkissen, die Augen geschlossen, überall Geräte. Koma.
Cas zog sich eine schwarze Cargohose und ein schlichtes T-shirt an, dann kniete er sich im Wohnzimmer hin und schaute auf das Handy.
Wie lange hatte er schon nicht mehr drauf geschaut? Zwei Tage? Drei? Er wusste es nicht mehr.
Aber es brachte nichts, es länger zu ignorieren. Er wusste, Lara hatte ihn angerufen.
Und irgendetwas musste er ihr sagen.
Vielleicht würde er lügen und schreiben, sein Handy wäre kaputtgegangen oder er hätte das Ladekabel verlegt. Er brachte es einfach nicht über sich, ihr die Wahrheit zu sagen. Er schaute auf das Armband mit dem Mondstein und seufzte. Es erinnerte ihn an ihre erste Begegnung und ihre großen, schönen Augen.
Cas schaltete sein Handy an und ignorierte alle Nachrichten, bis auf ihre. Er las sie alle und sein Herz pochte dabei so schnell, wie der Flügelschlag eines Schmetterlings. Die letzte Nachricht irritierte ihn:
Lara:
Ich habe mich in deine Augen verliebt. Daran werde ich denken. Der See ist tief und blau wie deine Augen, sich darin versinken zu lassen ist schön, wunderschön und wirklich ... atemberaubend.Er schrieb zurück:
Cas:
Lara, was meinst du damit? Wo bist du??????
Ein ungutes Gefühl breitete sich in seinem Magen aus. Er hörte seine Mailbox ab. Kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn, als er ihre Stimme hörte und ihre Nachricht vernahm. Als er verstand, was sie da sagte, sprang er auf und fuhr auf dem schnellsten Weg zum See. Er rief sie immer und immer wieder an, doch ihr Handy war abgeschaltet.
»Verdammt!«, rief er, als er am Straßenrand parkte, sprang raus und rannte zum Steinstrand hinab. »Lara!«, rief er und dann rannte er.
Er rannte über die Steine am Ufer entlang und rief immer wieder ihren Namen.
Sie konnte doch nicht wirklich ... Nein! Er wollte das noch nicht mal denken.
»Lara!« Der Strand zog sich endlos vor ihm hinab, der See wiegte sich leicht im Wind und er konnte wage die Gebäude auf der anderen Seite sehen. Nebel legte sich um ihn, schwebte über den See wie ein Geist.
»Lara?!« Seine Stimme hallte über die Weiten, hallte wieder und wieder, ein verzweifelter Schrei.
»Großer Gott!« Er blieb stehen, fuhr sich über die Haare und sah sich hektisch um. Wo konnte sie sein? Sein Blick fiel auf den See und ein tiefer Schmerz bohrte sich direkt durch sein Herz.
»Nein, nein, nein!« Er rannte weiter, dabei wusste er noch nicht Mal, ob er in die richtige Richtung hetzte.
Der Nebel wurde immer dichter, als würde Gott ihn verhöhnen wollen, als wollte er nicht, dass er Lara fand.
Und dann sah er sie.
Eine schwache Silhouette am Ufer. Es hätte alles sein können. Ein großes Stück Holz, ein Boot oder die Überreste einer Wolldecke.
Doch Cas wusste es. Er spürte es in jeder Faser seines Körpers.
»Lara!« Er stolperte zu ihr, warf sich vor ihr auf die Knie und zog sie zu sich. »Hey, Lara ... « Cas strich ihr das nasse Haar aus dem Gesicht, drückte sie näher an sich. Sie fühlte sich kalt an. Eiskalt. »Ich bin da, okay? Kannst du mich hören?« Seine Finger tasteten über ihr blasses Gesicht. »Lara ... « Er küsste ihre Stirn, ihre Wangen und dann schlug sie ihre Augen auf.
Diese wunderschönen, großen, tiefbraunen Augen.
»Hallo«, flüsterte er.
»Cas«, murmelte sie. Ihre Lieder flackerten und fielen wieder zu.
»Lara, hey, bleib bei mir ... « Er nahm sie auf die Arme, trug sie zu seinem Ford, legte sie vorsichtig auf die Rückbank und fuhr zum Krankenhaus.
Cas trug sie auch in die Notaufnahme und als Ärzte und Krankenpfleger kamen, um sie ihm abzunehmen, drückte er sie fest an sich.
Er wollte sie einfach nie mehr loslassen. Cas konnte ihren Herzschlag an seiner Brust fühlen. Langsam und holprig. »Holt eine Trage!«, rief ein Arzt und dann musste er sie hergeben, musste er sie loslassen. Aber in Gedanken hielt er sie immer noch fest. Ganz fest. Sein Herz verkrampfte sich. Es war seine Schuld. Er war nicht da gewesen, als sie ihn brauchte und jetzt. Jetzt ...
Vor seinen Augen färbte sich alles in ein glühendes Rot. Er rammte seine Hände in die Wand, immer und immer wieder, bis ihn ein Krankenpfleger an den Schultern packte und mit sich zog. In einen hellen, kahlen Raum, mit einer Liege. Er verband seine Hände.
»Ich will zu ihr«, sagte Cas immer wieder.
»Ich werde gleich nach ihr sehen und sage Ihnen dann Bescheid«, sagte der Pfleger immer wieder, aber Cas hörte ihn nicht. »Jetzt«, sagte er und sprang von der Liege. »Ich will jetzt, sofort zu ihr!«
Der Pfleger schüttelte den Kopf. Er sah traurig aus, die grünen Augen tief in den Höhlen versunken. Cas bekam Angst und diese Angst verschlug ihm den Atem. »Ich will zu ihr!« Er rannte aus dem Zimmer in einen Gang. Das Licht brannte viel zu hell in seinen Augen. »Wo ist sie?!«, rief er. »Wo ist sie?!«
»Beruhigen Sie sich«, versuchte es der Pfleger.
»Wo wurde sie hingebracht?!«Cas starrte ihn an. Er hätte sie nicht loslassen dürfen, niemals loslassendürfen.
»Die Ärzte kümmern sich um sie«, sagte der Pfleger ruhig und Cas hätte ihm amliebsten eine reingehauen. Ein Piepsen ertönte. Cas kannte dieses Geräusch.Herzalarm. Bewegung kam in den Gang. Männer und Frauen mit wehendem Kittelnrannten an ihm vorbei. Es wurde schwarz vor seinen Augen und er musste sich ander kahlen Wand abstützen. Ein paar Sekunden stand er einfach nur regungslosda. Er sah eine Scheibe Glas vor seinen geistigen Augen. Sie zersprangklirrend, setzte sich zusammen, zersprang wieder ...
Der Tod schien zu seinem Schatten geworden zu sein.
Er spürte eine Hand auf seiner Schulter und für einen Moment dachte er, einEngel hätte ihn berührt. Er wünschte sich, er wäre wirklich ein Engel. Castiel.Er könnte alle retten. Oder auch nicht ... Vielleicht gab es ein kosmischesGesetzt, wer sterben musste und wer weiterleben durfte. Ein schrecklichesGesetzt. Das Universum durfte ihm nicht alles nehmen, denn wie konnte er sonstweiterleben? »Ich bringe Sie zu ihr«, sagte der Krankenpfleger und Cas konntesich selbst einatmen hören.
Hoffnung.
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Scherbenbild
General FictionLara verliert ihren Vater, der nach einem Unfall hirntot ist. Cas(♂) Mutter bekommt sein Herz und eine neue Chance, doch sie scheint schon lange dem Tod zu gehören. Laras und Cas Liebesgeschichte beginnt an einem Ort der Hoffnung und der Verzweif...