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Der Mann vom Jugendamt, Lars, setzte sich mit ihnen an den Esstisch. Laras Mutter trug wieder Jogginghose, aber diesmal saubere. Lars fragte sie, wie es ihnen ging und wie sie den Alltag bewältigten. Er hatte eine angenehme Stimme und dunkle Augen schauten sie alle fürsorglich an, aber auch mit einer gewissen Stränge, die alles zu durchleuchten versuchten. Er redete auch mit Lara und Sophie alleine. »Wie ist das so mit eurer Mutter, kümmert sie sich gut um euch?«

Sophie nickte nur, aber Lara wollte ehrlich sein. Sonst würde sich nie etwas ändern und keiner konnte ihrer Mutter dann noch helfen. »Sie trauert. Und ihre Trauer ertränkte sie in Alkohol.«

Lars zog sorgenvoll die Brauen zusammen. Lara hatte bereits alles gesagt, was nötig war.

»Sie braucht einen Psychiater«, sagte Sophie dann noch gerade heraus.

Lars nickte und fuhr sich über einen nicht vorhandenen Bart. »Lebt ihr denn gerade gerne mit eurer Mutter zusammen?« Die Fragen aller Fragen. Lara schaute zu Sophie, die betreten auf den Tisch starrte. »Ich will bei ihr bleiben«, sagte sie. Der Mann vom Jugendamt schaute zu Lara. Erwartung stand in seinen braunen Augen geschrieben. Sie war die Ältere, auf sie kam es an, ein seltsames, ungeschriebenes Gesetzt.

»Ich denke, es wäre besser, wenn zumindest Sophie irgendwo anders untergebracht werden könnte.«

Wieder nickte Lars. »Und was ist mit dir?«

Lara wollte, sie wollte ... »Ich weiß nicht.« Sie schaute zu ihrer Schwester. »Ich gehe dorthin, wo Sophie hingeht.«

»Ich verstehe.« Lars notierte sich etwas in sein Notizbuch. »Gibt es denn jemanden, bei dem ihr bleiben könnt?«

»Bei Susi«, sagte Sophie.

»Die beste Freundin unserer Mutter«, ergänzte Lara. »Sie gehört quasi zur Familie.«

»Gut. Und wie kann ich diese Susi erreichen? Vielleicht kann sie herkommen und wir können alles Weitere besprechen.« Lara gab dem Mann vom Jugendamt die Handynummer von Susi.

Eine Stunde später saßen sie alle wieder an dem runden Tisch in der Küche. Die Küche, die tot aussah, seit ihr Vater sie nicht mehr betrat. Ihre Mutter heulte Rotz und Wasser. Irgendwie konnte Lara nicht hinsehen, wollte es nicht sehen. Maikes Trauer erinnerte sie an ihre eigne und sie wollte ihre Mutter anschreien, ihr sagen, dass sie sich zusammenreißen musste. Aber das war nicht fair. Maike liebte ihn, liebte ihn immer noch so sehr. Und ihr Bewusstsein entglitt ihr, schweifte immer wieder davon in den Schlaf. Flucht. Flucht in eine Traumwelt, eine bessere Welt. Lara wollte auch fliehen. Doch das durfte sie nicht. Wenn sie jetzt nachgab, wäre Sophie ganz alleine und das konnte sie ihrer kleinen Schwester nicht antun. 

Sie würden ein paar Wochen bei Susi leben. Lars würde dafür sorgen, dass ihre Mum Unterstützung bekam. Dann würde alles besser werden. Ihre Mutter würde aufhören zu weinen, aufhören zu trinken und zu kotzen. Sie würden eine Familie sein. Verwundet, aber zusammen, heilend. Irgendwie ... So hoffte es Lara zumindest, aber es kam ihr unrealistisch vor. Sie sah nicht, dass sie je wieder eine Familie sein würden. Aber vielleicht war sie auch nur sehr pessimistisch, nicht neutral genug – aber wie konnte sie das auch sein? 

Laras Mutter flehte ihre beiden Kinder an, zu bleiben und Lara sah, wie Sophie nachgeben wollte. 

»Wir müssen zusammenhalten. Ich werde es besser machen. Ab jetzt mach ich es besser.«

Man sagt, betrunkene würden nicht lügen und vielleicht meinten sie sogar, was sie sagten, aber Lara wusste, man konnte niemanden in diesem Zustand vertrauen. Leere Worte, wie die ganzen Flaschen, die unter der Spüle standen und nach Restalkohol stanken. Lars schickte sie beide weg, um ein paar Sachen zu packen und Lara war dankbar dafür. Sie würde ihre Mutter besuchen kommen. So wäre es sicher besser. Und alle konnten sich auf ihre Genesung konzentrieren.

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