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Ein Mann mit Glatze saß am Empfangstresen, in einem Raum, dekoriert mit Zitaten aus der Bibel, nickte ihnen zu. Er musste Cas bereits kennen. Er führte sie in einen Raum, indem ein einziger aus Eichenholz bestehender Sarg in der Mitte auf einem schwarzen Sockel, auf dem ein Lebensbaum eingraviert war, stand. Außenherum leuchteten weiße Kerzen auf mit Goldfäden verzierten Untersetzern in unterschiedlichen Größen, wie bei einer Orgel angeordnet. Der Sarg stand offen. Lara schluckte und drückte Cas Hand. Sie durchquerte den Raum mit bedächtigen Schritten und blieben schließlich vor dem Sarg stehen. Lara spähte hinein und erblickte eine wunderschöne Frau, die so friedlich aussah, als würde sie schlafen. Das schwarze Haar umsäumte ihr blasses Gesicht in schweren Locken. Sie trug ein weißes Kleid mit kleinen, schwarzen Rosen an den Säumen.

»Sie ist wunderschön, Cas«, sagte sie. »Fast wie eine Elfe.«

»Weil sie so sehr abgemagert ist«, sagte Cas trocken. Lara sah zu ihm auf. Er presste die Lippen fest aufeinander. »Sie ist trotzdem schön«, sagte Lara.

»Sie sieht friedlich aus.« Cas seufzte schwer und berührte die Stirn seiner toten Mutter. Lara musste daran denken, wie in ihr immer noch das Herz ihres Vaters lag und vor einem Tag noch geschlagen hatte. Cas Hand zitterte in ihrer. »Als ich mich solange nicht gemeldet habe«, sagte er leise, »da hab ich es schon gewusst. Ich wusste, sie würde gehen. Und dann habe ich es erkannt.« Er atmete tief ein und wieder aus. Den Blick auf die flackernden Flammen der Kerzen gerichtet. »Sie war schon lange soweit zu gehen. Der Tod hatte auf sie gewartet und ich glaube, sie hat solange überlebt, weil ich nicht loslassen konnte. An dem Tag ... nachdem ich dich am See gefunden habe und bevor ich dich zu der Bootsfahrt abgeholt habe, da hab ich sie losgelassen.«

»Du hast ihr gesagt, sie darf gehen, es ist in Ordnung ... « Lara erinnerte sich an dieses Gespräch und auch wie er plötzlich meinte, er glaube, sie wäre gestorben.

»Ja ... « Cas bohrte seine Fingernägel in ihre Hand. »Es tut mir leid ... «, flüsterte er sehr leise.
»Was?«, flüsterte Lara zurück.

»Wenn es sowie so schon die ganze Zeit, Zeit war, für sie zu gehen, dann hätte das Herz deines Vaters vielleicht ein anders Leben retten können.«

Lara schaute zu seiner Mutter, Nele. »Vielleicht«, murmelte sie. »Er wäre so oder so gestorben.«
»Ja, aber womöglich hätte er ein anderes Leben retten können.« Lara sah, wie sein Unterkiefer zitterte. »Ich denke ... « Sie blinzelte die Tränen weg, die sich viel zu aufdringlich vor ihre Augen schoben, »es hat dir Zeit gegeben. Das Herz meines Vaters, hat dir Zeit gegeben, um ... Cas ...«, sie nahm auch seine andere Hand und drehte ihn zu sich. »Hat er nicht irgendwie ein Leben gerettet? Du konntest loslassen ... Vielleicht wurdest du auf diese Art wiedergeboren.«

Cas atmete zitternd ein und sah sie aus großen Augen an, die sich langsam mit Tränen füllten. Er blinzelte und eine davon fiel hinab, tropfte auf sein Hemd.
»Du bist ... «, sagte er. »Wundervoll.« Cas beugte sich zu ihr hinab und küsste sie hauchzart. Lara spürte wie sein warmer Atem über ihren Lippen strich, während er ganz dich bei ihr stand und mit der Nasenspitze über ihre linke Wange und der Stelle über ihrer Oberlippe streifte. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn ganz sanft - nur eine kurze Berührung. Cas stöhnte leise. Warme Wellen der Erregung durchströmten Brustabwärts Laras Körper.

»Cas«, wisperte sie und sog seinen Duft ein. »Wir sind in einem Bestattungsinstitut.«

Er grinste und legte seine Hände auf ihren Rücken. »Ist mir egal.«
Cas öffnete die Lippen und wollte sie küssen, aber Lara legte einen Finger darauf und schüttelte kaum merklich den Kopf. Nicht, dass sie ihn nicht küssen wollte, sie wollte es so sehr, es tat weh. Nur nicht hier ...
Cas fing an, jeden einzelnen ihrer Finger zu küssen. Lara wurde schwindelig vor Wärme. Er strich ihr sanft über die Backen und Stirn, dort blieb er verharren und sah sie einen Moment aufmerksam an. »Liegt es an mir, oder hast du immer noch Fieber?« Lara zog die Schultern hoch, ihre Beine wackelten und in ihren Ohren surrte ein einziger, hoher Ton.

»Cas?«, ertönte eine männliche Stimme hinter ihnen. Cas verzog das Gesicht und schloss die Augen. Widerspenstig ließ er sie los, als würde es ihm unendlich schwerfallen. Dann huschte ein Grinsen über seine kantigen Gesichtszüge und er wandte sich um. »Yugi«, sagte er.

Lara horchte auf. Yugi? Sie drehte sich zu dem Fremden um.

Ein schlaksiger Kerl mit durchlöcherten Jeans, einem schwarzen T-shirt und schulterlangen Haaren. Er trug doch tatsächlich einen Milleniumsschlüsse nur in klein um den Hals und Ohringe in Form von dem Milleniumspuzzle aus der Animeserie Yugioh. Yugi – falls er denn wirklich so hieß – klopfte Cas auf die Schulter und umarmte ihn dann kurz. »Mein Beileid, alter ... Mein Gott ... «

»Bist du mit deinen Eltern hier?«, fragte Cas.

Yugi nickte. »Ja, in nem Hotel hier in der Nähe. Na ja, sie kommen zur Beerdigung.«

»Verstehe. Danke fürs kommen.«
»Kein Problem.« Yugi schaute an ihm vorbei zu Lara. »Wer ist deine Freundin?«
Cas sah auf und lächelte. »Das ist Lara.«

»Hi«, sagte sie. »Coole Ohrringe, Yugi

»Thanks.« Er kratzte sich am Hinterkopf und wandte sich wieder zu Cas. »Dachte wir könnten was trinken gehen. Es ist ein bisschen früh, ich weiß, aber in diesen Zeiten.«
Cas kaute auf Luft herum und schaute zu Lara. Yugi schien sein Kumpel zu sein. Seine blauen Augen suchten die ihren. Lara nickte einfach nur. Sie wusste, er wollte mit seinem Kumpel was unternehmen und tja sie, wie Susi es schon richtig ausgedrückt hatte, gehörte ins Bett.
»Ich bringe sie nach Hause und hole dich dann ab, ok?«

»Alles klar.« Yugi nickte und warf einen musternden Blick auf Lara.

Cas fuhr sie nach Hause, beziehungsweise zu Susi. Sie redeten auf der Fahrt kaum miteinander. Lara hätte gerne noch etwas mehr Zeit mit ihm verbracht.
»Ich melde mich bei dir«, sagte Cas, als sie vor Susis Wohnung parkten.

»Okay.« Lara konnte nur schwer ein Seufzen unterdrücken. Als sie aussteigen wollte hielt er sie am Handgelenk fest und sah sie eindringlich an. »Tut mir leid«, sagte er. »Yugi ist ein guter Freund, aus einem altem Leben.«

»Ist schon gut, Cas.« Lara zwang sich zu lächeln. »Ich möchte mich sowieso hinlegen.«

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