-03- Von blauen Augen und Winterpunsch

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Lara konnte den Blick kaum von seinen Augen wenden. So blau und tief wie der Ozean. Sie schluckte einen schweren Kloß hinab und stellte den Verbandskasten auf den Tisch. Ihr Blick fiel auf seine Hände. Die Knöchel waren aufgerissen und bluteten. Ihre Mutter setzte sich zu ihm.
»Zeig mal her«, sagte sie und wollte nach seinen Händen greifen, doch er zog sie weg.
»Das geht schon, danke.« Er stand wieder auf, schaute sich kurz im Raum um, ohne Lara auch nur anzusehen. Sein dunkelbraunes Haar fiel ihm dabei in die Stirn und er wischte es sich hastig beiseite. »Ich denke, ich nehme so ein Mond...«
»Kommt nicht in Frage!«, sagte Maike, stand ebenfalls auf und stemmte die Hände in die Hüfte. »So wie du aussiehst, kannst du nicht auf die Straße. Das muss doch weh tun!« Sie wies auf den Stuhl und schaute ihn wie ein Racheengel mit zusammengezogenen Brauen an.
Laras Mutter konnte echt gruselig sein und wenn sie in diesem autoritären Ton sprach, gab es einfach keine Widerrede. Der Junge schien das registriert zu haben.
»Kurz«, sagte er, setzte sich hin und fuhr sich durch das blasse Gesicht. Er sah echt fertig aus, mit blassen Wangen und dunklen Ringen unter den Augen.
»Lara«, sagte Maike und riss sie aus ihrer starre.
»Ja?«
»Hol unserem Gast etwas zu Trinken. Den Winterpunsch am Besten.« Der Junge öffnete den Mund, um zu widersprechen, doch er kam nicht weit. »Geht aufs Haus!« Maike zwinkerte.
»Mum«, flüsterte Lara und schaute sie stirnrunzelnd an. Sie hatten sowie so kaum Geld und jetzt fing sie an, Getränke frei Haus zu verkaufen? Hallo?!
»Lara«, sagte ihre Mutter mit erhobener Augenbraue. Sie seufzte in sich hinein. Mutter Theresa halt.
»Willst du Zimt mit rein?«, fragte Lara den Jungen. Er schaute zu ihr hoch. Seine Augen glänzten und in seinem Gesicht stand ein Fragezeichen geschrieben. Gott, er sah aus, als hätte er drei Tage nicht geschlafen. Die Haut spannte straff über seinem Kiefer und den markanten Wangenknochen. »Für den Tee, schmeckt gut«, ergänzte sie und setzte ihr Verkäuferlächeln auf. Er nickte knapp und schaute dann auf die Tischplatte.

Lara eilte erneut in die Küche, machte den Tee und schmeckte ihn mit einer Brise Zimt ab. Als sie wiederkam, wickelte ihre Mutter gerade einen Verband um seine Knöchel. Seine Hände zitterten und er biss sich auf die Unterlippe. Er wirkte gequält. Lara stellte die dampfende, dunkelblaue Tasse vor ihm ab und blieb unschlüssig stehen. Sie schaute ihrer Mutter beim Verarzten zu und überlegte, ob sie etwas sagen sollte - ließ es dann aber. Lara war nicht auf den Mund gefallen, hatte aber, bis auf Kyle oder den Leuten aus ihrem Verein, eher weniger Umgang mit Gleichaltrigen, zumindest privat.
»So fertig«, sagte ihre Mutter und packte das Verbandszeug zusammen.
»Danke«, murmelte der Junge. Er hörte sich plötzlich heiser an.
»Willst du noch was essen?« Er schüttelte den Kopf und legte die verbundenen Hände um die Tasse. Wie er so an dem Tisch kauerte und in kostenlosen Winterpunsch stierte, wirkte er wie ein Landstreicher. Seine Haare sahen nicht fettig aus, aber auf seiner Sweatshirtjacke klebte etwas, das aussah wie Zuckerguss und die Jeans war ihm ein bisschen zu kurz, so dass man die Knöchel über seinen unechten Vans sehen konnte.

Er räusperte sich und sie schaute schnell zu ihm hoch.
»Du ... hast echt große Augen«, meinte er und trank einen Schluck. Lara verzog keine Mine. Ja, sie hatte große, runde Rehaugen.
»Warum müssen mich alle auf meine Augen reduzieren?!« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. Seine Mundwinkel hoben sich zu einem leichten Lächeln. Doch er sah dabei so müde aus - Lara zerriss es fast das Herz.
»Wäre es dir lieber, wenn ich auf deine Brüste starre?«
»Nein.« Lara grinste. »Ich sollte mich nicht beschweren, was? «
»Nein. Eher nicht.« Er klang plötzlich ernst und Lara ging sich unsicher durch die Haare.
»Wie heißt du eigentlich, wenn ich fragen darf?«
»Cas«, antwortete er und unterdrückte ein Gähnen.
»Cas«, echote sie. »Wie bei Supernatural.«

Die Tür schwang auf. Kühler Wind wehte in den Raum.
»Lara!«, rief jemand. »Ich verhungere!« Kyle stolperte ins Café, die Hand waagerecht ausgestreckt, als suche er in der Ferne nach dem rettenden Licht der Erlösung - in diesem Fall; die Küche. Lara seufzte.
»Entschuldige mich«, sagte sie zu Cas, lief zu Kyle und boxte ihm grob in den Oberarm. »Man Kyle, du vertreibst die Kundschaft!«
»Kundschaft?« Kyle sah sich mit großen Augen um. Dann lachte er und legte einen Arm um ihre Schultern. »Siehst du, es geschehen noch Zeichen und Wunder!« Lara schlüpfte unter seinen Arm hinweg.
»Sag das nicht so laut.« Sie warf einen raschen Blick zu Cas hinüber, aber der schaute in seine Tasse als könnte er darin die Zukunft sehen.
»Komm, Susi hat Kürbissuppe gemacht.« Sie packte Kyle am Ärmel seines Parkas und zog ihn in die Küche.

»Also, wer ist der Kerl im Café?« , fragte er, während er sich an der Kürbissuppe bediente, die auf dem Herd stand. Lara zog die Schulter hoch.
»Keine Ahnung. Hab ihn noch nie hier in Konstanz gesehen.«
»Hm.« Kyle schob sich einen Löffel in den Mund. »Ich auch nicht. Sieht ziemlich fertig aus.«
»Ja, wie du. Wie war die Hospitation? Haben sie dich gleich wieder rausgeschmissen?«
»Nope.« Er grinste breit und Lara konnte die kleine Zahnlücke zwischen seinen Schneidezähnen sehen, durch die er manchmal pfiff. »Nächsten Montag kann ich da anfangen.«
»Wow, Kyle. Herzlichen Glückwunsch.« Sie klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. »Das wars dann wohl mit der Hartz-4 Karriere.«
»Kannste Gift drauf nehmen. Meine Mutter kann ihren komischen Tratschtanten jetzt auch erzählen, dass ihr Sohn doch nicht so ein hoffnungsloser Fall ist.«
»Warst du nie!« Lara holte sich ein Stück trockene Seele und tunkte sie in Kyles Kürbissuppe.

Sie saßen noch eine Weile beisammen und redeten über den neuen Kindergarten, in dem Kyle arbeiten würde und über die Schule und Laras Abitur. Als sie wieder aus der Küche kamen, war Cas nicht mehr da, aber auf dem Tisch lagen neben der flachen Kakaokerze drei Euro. Den Tee hatte er nicht mal zur Hälfte leer getrunken.


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