-13- Von zitternden Händen und wachen Augenblicken

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Um halbeins bekam Lara eine SMS. Das Handy lag auf dem Boden und bei dem Vorhaben es aufzuheben, wäre sie fast aus dem Bett geflogen. Sie lauschte auf Sophies regelmäßige Atemzüge und entsperrte dann den Bildschirm. Eine neue Nachricht.

Unbekannte Nummer:
Wo bist du gerade?

Lara tippte zurück: Im Bett o.O Du nicht?

Unbekannte Nummer:
Nein, ich nicht.

Lara speicherte die Nummer unter »Cas« ab und schrieb zurück:

Lara:
Und wo bist du?

Cas:
Das weiß ich nicht so genau. Es regnet.

Lara richtete sich vorsichtig im Bett auf, um ihre Schwester nicht zu wecken.

Lara:
Cas, bist du betrunken?

Keine Antwort. Sie wartete zehn Minuten, dann zwanzig und legte sich schließlich schlafen, das Handy neben dem Kopfkissen.

Am nächsten Morgen wurden sie mit Frühstück am Bett geweckt.
»Na ihr beiden?«, sagte Susi und lächelte. Lara blinzelte und richtete sich langsam auf. Sophie drehte sich stöhnend auf den Bauch.
»Hey, Susi.« Lara gähnte. »Wie spät ist es?«
»Kurz vor halb zwölf.« Sie legte das Tablett auf ihren Beinen ab. »Wacht erstmal auf und esst etwas.«
»Danke«, murmelte Lara. »Ist Mum schon auf?« Susi blickte zu Boden und schüttelte betreten den Kopf. Lara machte sich Sorgen. Sie hoffte, ihre Mutter fing sich bald wieder. Denn sie trauerten alle. Und im Bett liegen zu bleiben machte es nicht besser.

Nach dem Frühstück klopfte sie an die Schlafzimmertür. Niemand antwortete. Sie drückte die Klinke hinab, aber es war abgeschlossen. Laut fluchend verschwand sie im Badezimmer und stellte sich eine geschlagene halbe Stunde unter die Dusche. Sophie saß mit Susi vor dem Fernseher, als sie wiederkam. Lara schaute auf ihr Handy. Kyle hatte ihr geschrieben.

Kyle:
Hey, ich bin in der Hütte, willst du kommen?
Vielleicht hilft etwas frische Luft.

Lara hatte nichts dagegen. Sie schaute zu Susi.
»Musst du heute noch in den Laden?«
»Ja, in einer ... ähm ... « Sie schaute auf die digitale Uhr, die über dem Fernseher hing. »In dreißig Minuten.« Sie sprang auf. »Tut mir leid, Kinder. Ich hab total die Zeit vergessen.« Die Schlafzimmertür öffnete sich, Laras Mutter kam heraus und wankte ins Badezimmer.
Man hörte ein heftiges Würgen und als sie das Bad wieder verließ, stank es nach Alkohol. Sie sah Lara kurz aus glasigen Augen an.
»Verdammt, Mum!«, rief sie aus. Maike zog die Schultern hoch und verschwand im Schlafzimmer.
»Herrgott, so kann das nicht weitergehen«, sagte Susi und fuhr sich durch die Rastalocken. »Los Kinder, zieht euch an. Ich nehme euch mit in den Laden.« Lara zog sich eine Wollstrumpfhose und ein Jeanskleid über. Sie schnappte sich ihren Eastpak und verließ mit Susi und Sophie kaum zehn Minuten später die Wohnung.

Sie war froh rauszukommen, auch wenn das mit der Hütte wohl nichts werden würde. Natürlich hätte sie Sophie bei Susi im Laden lassen können, aber die Kleine klebte so an ihr, dass sie es nicht übers Herz brachte, also sagte sie ab.

Im Wunderkästchen war kaum etwas los. Die Lichterketten blinkten still vor sich her un der Staub tanzte in der Luft. Sophie telefonierte mit einer Freundin und Susi fuhr sich schließlich zu ihr. Wahrscheinlich war es besser so für Sophie den Tag bei Annalena zu verbringen. Nur an Lara festzukleben, konnte ihr auch nicht gut tun. Für ein paar Stunden abschalten würde heilend für ihre Seele sein. Lara überlegte, ob sie doch noch zur Hütte fahren sollte, aber irgendwie war ihr die Lust vergangen. Sie setzte sich auf den Verkaufstresen und ließ die Beine baumeln. Ihre Gedanken schweiften zu ihrer Mutter, die vermutlich verkatert im Bett lag, alleine. Es tat ihr weh, sie so zu sehen. Jetzt überschattete der Tod sogar schon die Lebenden, dachte sie und war froh, als ihr vibrierendes Handy, sie aus ihren Gedanken riss.

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