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Lara stand vor dem Krankenhaus und rauchte eine. Die erste seit Tagen. Kyle war ihr bisher nicht von der Seite gewichen. Ein wahrer Freund. Aber sie hatte ihn darum gebeten, ihr kurz etwas Zeit für sich allein zu geben. Und was tat sie? Sie rief Cas an und sprach ihm auf die Mailbox:

Hey Cas, ich stehe vor dem Krankenhaus und ich weiß, ich habs angedroht ... aber nein, ich werde dir nicht auflauern. Weißt du, ich trage gerade den verdammten Schal meiner Mutter.

Er ist quichgelb. Überhaupt nicht meine Farbe. Sie lachte bitter. Ich verstehs nicht. Die Welt geht den Bach runter. Zumindest unsere Welt. Cas, wo bist du nur? Meine Mum hat sich die verdammten Pulsadern aufgeschnitten. Und ich kann es einfach nicht fassen. Ich will es nicht glauben, dass das Leben so schnell verschwindet. Es macht mir Angst und manchmal glaube ich, ich glaube ...

Sie legte auf, rauchte noch eine und ging dann wieder zu Kyle ins Krankenhaus. Ihre Schwester saß noch bei ihrer Mutter. Total verstört die Kleine, brauchte jetzt selbst einen Therapeuten. Wie konnte ihre Mum das nur tun? Wut vermischte sich mit Trauer und Schmerz. Ein total unwirkliches Gefühl, als würde man über Trümmer steigen, nur waren die Trümmer das eigene Leben.

Kyle und Lara gingen an diesem Abend nicht mehr in die Hütte. Sie saßen bei Susi und tranken Zitronentee. 

Und dann wurde Sophie sehr krank. Von einer Stunde zur nächsten fing sie an zu glühen, wie ein verdammtes Kohlestück. Susi und Lara packten sie in ein Duzend Decken und legten sie aufs Sofa. Sie gaben ihr Ibuprofen, maßen regelmäßig das Fieber – 39,4; 39,6; 39,9. Bei 40,1 hörte es auf zu steigen. Kyle schlief bei Lara auf der Matratze. 

Er musste wohl spüren, wie zerstört es in ihr aussah.

Am nächsten Tag, Samstag, aß Sophie nichts. 

Sie hustete sich die Lunge aus dem Leib und konnte kaum aufstehen. 

Susi blieb Zuhause – das Schicksal um das Wunderkästchen rückte sowieso in weite Ferne. 

Eigentlich wunderte es niemanden, dass es Sophie so schlecht ging. Sie musste so viel mitmachen, wer würde da nicht krank werden?

Lara las ihr aus ihrem Lieblingsbuch vor, während Susi mit Kyle zum Einkaufen ging. Erneut überkam Lara das Gefühl, Sophie wäre wieder fünf Jahre alt. Die Zeit zog sich wie Kaugummi. 

Als es ihr am Nachmittag nicht besserging, fuhren sie sie zum Notfalldienst. Der Arzt, ein alter Kautz mit Halbglatze, verschrieb ihr Antibiotika und einen Hustensaft. Den restlichen Tag verschlief Sophie eigentlich die meiste Zeit. 

Lara spürte eine große Unruhe in sich hochkommen. Rumzusitzen tat ihr nicht gut, brachte nur die trüben Gedanken zum Vorschein. Also ging sie am Abend mit Kyle zur Hütte. Es waren auch ein paar andere da. Vor allem Leute von Kyle. 

Einen kannte sie. Dominik, eigentlich total in Ordnung und seine Schwester Bella, beide schwarz mit tiefen Augen und schönen, vollen Lippen. 

Sie tranken ein wenig und unterhielten sich. Ja, auch Lara trank. Sie kam sich vor, als würde sie zu ihrer Mutter werden und zuerst hatte sie ein schlechtes Gewissen und dachte an ihre Schwester, die krank Zuhause lag, doch nach drei Bier wurde es ihr allmählich egal. 

Noch ein bisschen Jägermeister mit Cola und sie gab einen Scheiß drauf, was gerade in ihrem Leben passierte. 

Das Hier und Jetzt zählte und zum ersten Mal seit langer Zeit konnte sie einfach lachen. 

Sie gingen raus und machten ein Feuer. Noch mehr Leute kamen. Jemand brachte Boxen mit und schloss sie an sein Handy. Tanzmusik dröhnte in die Dunkelheit, in die Sterne hinaus. 

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