»Du?«, flüsterte Lara. Sie lagen mittlerweile in seinem Bett und sie strich ihm zärtlich über den Bauch.
»Hm?«
»Sorry, will dich nicht am Schlafen hindern.«
»Du hinderst mich nicht daran.« Er drehte seinen Kopf zu ihr und küsste sie auf den Scheitel.
»Bist du nicht müde?«
»Nicht wirklich.« Cas Magen grummelte.
»Hast du Magenschmerzen?«
»Nur ein wenig.«
»Kann ich dich was fragen?«
»Alles.«
»Hattest du vor mir schon mal ne Freundin?« Sie spürte wie seine Bauchmuskeln unter ihren Händen vibrierten.
»Nicht so richtig. Ich war auf ein paar Dates, aber, es hat nie gepasst. Und dann wurde meine Mum immer kränker und ich hatte andere Dinge im Kopf. Ich hab auch in der Schule total verkackt, weswegen ich die zwölf auf der Gesamtschule wiederholen muss. Tja, und dann bin ich dir begegnet ... «
»Zum Glück.«
In seinem Bauch gluckste es. »Ja, zum Glück.« Er atmete warme Luft über ihrem Scheitel aus und Lara durchzog ein wohliger Schauer. Cas drehte sich zur Seite und winkelte die Beine ein wenig an. Er nahm eine ihrer Haarsträhnen und begann sie zu flechten, wieder zu entknoten und dann wieder zu flechten. »Soll ich das Märchen weitererzählen?«
»Unbedingt.«
»Also, der Junge sank tiefer, über ihm Tonnen von Wasser und der Grund unter ihm kam immer näher. Die Kraft wich schnell aus seinen Gliedern und er stellte sich darauf ein, zu sterben. Auf einmal fürchtete er sich nicht mehr davor, denn er glaubte ganz fest daran, dass der Tod nicht das Ende war. Vielleicht das Ende des Lebens von dem Jungen, der von der Welt verschwinden wollte, aber definitiv ein Neuanfang, egal wie es aussehen würde. Dieser Gedanke gab ihm Frieden und er wollte schon die Augen schließen, als sich das Wasser um ihn herum bewegte. Eine blasse Hand streckte sich nach ihm aus, gefolgt von einem Arm, einem Kopf, mit schwarzen, schönem Haar. Der Junge dachte, der Tod würde ihn holen. Ein wunderschöner Tod, ging es ihm durch den Kopf. Aber es war nicht der Tod, sondern der Neuanfang. Das schwarzhaarige Mädchen griff nach seiner Hand und zog ihn kraftvoll nach oben. Erstes Sonnenlicht des aufgehenden Morgens brach durch die Wasseroberfläche und berührte die Haut der beiden Gestalten. Da erwachte der Junge zu neuem Leben und schaffte es allein zurück an die Oberfläche. Die beiden kletterten an Land und als der Junge in die blauen Augen des Mädchens sah, verliebte er sich unsterblich in sie. Doch das Mädchen war eine Prinzessin.
Prinzessin Nala vom großen Land am Meer. König Heinz Bernhardt Benedikt Wurst vom Land am großen Meer ... « Lara musste bei dem Namen kichern. »Lach nicht, meine Mum lag im Fieber, als sie das erzählt hat.« Er lachte selbst, ehe er weitererzählte. »Jedenfalls wollte König Heinz nicht, dass sich seine Tochter mit einem schmuddeligen Jungen aus dem Meer traf. Aber der Junge war nicht irgendein schmuddeliger Junge. Nein, er war sehr mächtig und sehr, sehr alt. Er hätte überall hingehen können. Doch er blieb bei Prinzessin Nala und sie trafen sich heimlich. Irgendwann fragte sie ihn nach seinen Namen. Sie hätte ihn schon früher fragen können, aber irgendwie erschien es belanglos. Der Junge war einfach da und das genügte. Dennoch siegte die Neugierde. Doch als sie ihn fragte, konnte der Junge nur den Kopf schütteln. »Du kannst meinen wahren Namen nicht verstehen«, sagte er. »Also gib mir einen, den du gerne hast.«Prinzessin Nala überlegte eine ganze Weile und betrachtete den schönen Jungen, der genauso schwarzes Haar hatte wie sie selbst. Der einzige Unterschied waren die schwach goldenen Strähnen, die das Schwarz durchzogen und in der Sonne glitzerten. Sie dachte an ihren Vater und wie zornig er auf den Jungen war und wie oft er drohte, ihn mit Gottes Hilfe zu töten. »Du sollst ›Gott ist mein Schutz‹ heißen«, sagte sie schließlich. Der Junge zog die Brauen hoch. Er kannte diesen Namen. Es war die Übersetzung seines eigenen, in eine menschliche Sprache, so gut es eben ging. Prinzessin Nala lächelte und nannte ihn bei seinem neuen Namen: »Cassiel.« Cas gähnte. »Und so hatte die Prinzessin einen Namen, bei dem sie ihm rufen konnte. Und wenn sie Briefe an ihn schrieb, konnte sie ›Mein Lieber Cassiel schreiben‹« Sie trafen sich weiter, lernten sich lieben und zu vertrauen. Zumindest vertraute Nala ihm, doch Cassiel hütete weiterhin sein Geheimnis. Eines Tages würde er gehen müssen, denn eigentlich gehörter er nicht in das Land, in dem die Prinzessin lebte. Und eines Tages verschwand er einfach und Nala suchte vergeblich nach ihm.
Viele Jahre zogen ins Land und aus der Prinzessin wurde eine junge, wunderschöne Frau, die schon bald einen Prinzen heiraten würde. Sie mochte den jungen Mann, mit dem blonden Haar und den haselnussbraunen Augen, aber sie konnte ihn nicht lieben, nicht so, wie sie Cassiel liebte. Aus Kummer wurde Nala sehr krank. Sie heiratete den Prinzen nicht. Sie aß und trank auch kaum etwas. Etwas stimmte mit ihrem Blut nicht. Es fühlte sich viel zu heiß an und die Prinzessin litt unter furchtbaren Schmerzen. Der Tod lauerte ihr auf, war sehr nahe und schon bald würde sie von dieser Welt weichen. Aber dann, eines Tages, eines wunderbaren, sonnenreichen Tages, sah sie ihn wieder ...« Cas hielt inne, um erneut zu gähnen. Er strich Lara sanft über die Wange. »Bist du noch wach?«
»Mhm ... «, murmelte sie. Seine sanften Worte hatten sie in einen Zustand zwischen Wachen und Schlafen versetzt. »Ich erzähle wann anders weiter.« Cas legte sein Kinn auf ihren Kopf und zog sie sanft an seine Brust. »Gute Nacht.«
»Gute Nacht ... «, murmelte Lara. Dann wurde es dunkel um sie herum. Sie fiel und fiel und fiel ... in einen wunderbaren Traum. Ein Floß auf dem sie und Cas standen und ein Himmel voller weißer Tauben. In der Ferne sahen sie den Vulkan einer Insel hoch in die Wolken ragen und die Musik von Flöten und Trommeln wehten zu ihnen hinüber, lockten sie an, die Ferne zu erkunden.
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Scherbenbild
General FictionLara verliert ihren Vater, der nach einem Unfall hirntot ist. Cas(♂) Mutter bekommt sein Herz und eine neue Chance, doch sie scheint schon lange dem Tod zu gehören. Laras und Cas Liebesgeschichte beginnt an einem Ort der Hoffnung und der Verzweif...