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Es regnete. Lara lag auf dem Sofa, eingewickelt in zahlreiche Wolldecken und starrte aus dem Fenster. Der Fernseher lief leise im Hintergrund, doch sie schenkte dem keine Beachtung. Etwas schweres lag über ihr und sie wollte es loswerden. Susi kam rein, brachte ihr Lutschtabletten gegen die Hals- und Ibuprofen gegen die Ohrenschmerzen. Lara konnte eine Uhr in sich ticken hören. Sie zählte die Sekunden. 3045, 3046, 3047. Jetzt lief ein alter Sissifilm im TV und Sophie setzte sich mit einer Tasse Tee auf die Matratze vor dem grünen Sofa. Lara schloss die Augen. Müdigkeit legte sich sofort schwer auf ihre Lieder, als hätte ihr Körper nur darauf gewartet, endlich zu schlafen.

Sie erwachte, da lief gerade der Abspann von Sissi. Sophie aß Käsekracker. Lara wurde ein wenig übel davon, sie hätte gerne das Fenster geöffnet, fühlte sich aber noch zu träge.

Das hohe »Ding Dong« der Türklingel ertönte. Lara kniff die Augen zusammen und drehte sich auf den Bauch. Sie wollte jetzt keine anderen Leute in Susis kleiner Wohnung. Leises Gemurmel. Schritte ... Sie drückte ihren Kopf ins Kissen. Draußen plätscherte leise der Regen gegen die Fensterscheibe.

»Oh ... «, sagte Sophie und Lara spürte an einem Luftzug, dass sie aufstand.

Ein Kribbeln fuhr durch ihren Körper. Es kam aus dem Nichts und verschwand im Nichts, doch dann legte sich eine kalte Hand, seitlich auf ihre Wange. Lara fröstelte unter der Berührung, doch gleichzeitig schlug ihr Herz höher. Der Geruch von Wald und Lavendel stieg ihr in die Nase und sie drehte den Kopf zur Seite.

»Hi ... « Er drückte seine Stirn gegen ihre.
Lara berührte seine durchnässten Haare. »Was machst du hier?«

»Dich sehen ... «, flüsterte er.

Susi kam ins Zimmer und warf ihm ein Handtuch über den Kopf. »Du tropfst ja mein ganzes Wohnzimmer voll!«, beschwerte sie sich und verschwand wieder.
Lara hörte sie leise mit Sophie in der Küche reden.

Cas lachte. »Du hast es hier gemütlich«, sagte er.
Lara wollte sich aufsetzen, aber er drückte sie wieder auf das Sofa. »Bleib liegen, du siehst aus, als hättest du gerade noch geschlafen.«
»Hm ... «, machte sie.

Dumpfe Schritte. »Werdet ihr jetzt knutschen?« Sophie schwang sich auf die Sofalehne.
Lara stöhnte und legte sich die Hand über die Augen.

»Sophie!«, rief Susi und plötzlich befanden sich vier Personen in dem 7quadtratmeter Zimmer!

Lara setzte sich nun doch auf. Ihr wurde kurz schwindelig, aber dann ging es. Susis Wohnung war einfach nicht für so viele Leute gemacht. Eigentlich nur für eine, höchstens zwei Personen. Und Lara fühlte sich unwohl dabei, dass Wohnzimmer mit Cas zu besetzen. Und, verdammt, er tropfte wirklich alles voll. »Seid ihr durch den Regen gelaufen?«, fragte sie ihn stirnrunzelnd.
»Ein wenig.«

Sophie zupfte an ihren Haaren. »Ist das dein Freund, du hast nie was von ihm erzählt!«
Cas lächelte, seine Wangen wurden ein wenig rot und er hörte einfach nicht auf sie anzusehen.

Susi seufzte. »Komm schon Sophie, nerv die beiden nicht.«

»Aber ... « Sie spielte immer wilder an Laras Haaren und es ziepte schon unangenehm an ihrer Kopfhaut. Lara wusste, warum sie das tat und es machte ihr Angst. Ihre Mutter war nicht mehr da. Sophie wollte sie mit niemanden teilen – nicht mehr. Aber Lara fühlte sich so schwer, so unendlich schwer, sie konnte nicht die sein, die Sophie bräuchte. Eine Mutter – sie konnte nicht. Irgendwas war mit ihr geschehen in der Nacht am See. Da war eine ungewisse Angst in ihr, die ihren Körper zum Zittern brachte.

»Was ist mit dir?« Cas strich ihr über die Arme. »Ist die kalt?«

Lara schüttelte den Kopf, dabei ziepte es an ihrer Kopfhaut noch mehr. »Sophie, hör auf, ich hab schon Kopfschmerzen!«
»Sorry.« Ihre Schwester hörte auf. »Spielen wir Monopoly?«

Cas sah Sophie an und dann zu Lara. »Ich glaube deine Schwester ist müde«, sagte er vorsichtig.

»Bin ich auch«, sagte Sophie und verschränkte die Arme vor der Brust.

Das Zittern in Lara wurde schlimmer. »Cas«, flüsterte sie.
»Ja?« Er zog die Wolldecken über ihre Schultern. »Können wir zu dir ... ?«

Cas schaute noch einmal flüchtig zu ihrer Schwester, dann nickte er. »Ja, ja, natürlich.«
»Susi?« Sie stand auf. Sogar ihre Beine zitterten. »Ich glaube ich ... « Lara schaute zu Boden. »Bei Cas ist etwas mehr Platz.«

Susi nickte und hielt Sophie an den Schultern fest. Sie verstand es, spürte es womöglich selbst, wusste, wie sehr sich alles verändert hatte ...

»Aber ruh dich aus, verstanden!« Sie schaute zu Cas. »Ich kenne dich nicht, ein falsches Wort und du wirst dir wünschen, nie irgendetwas gesagt zu haben.«

Cas drückte Lara sanft an sich. Es half ein wenig gegen das Zittern. »Ich werde sie bei mir aufs Sofa platzieren und mit Tee füttern, bis sie alle zehn Minuten pinkeln muss.«
Susi nickte anerkennend.
»Und was mach ich dann?«, protestierte Sophie.

»Hausaufgaben, was weiß ich?« Susi zog die Brauen hoch. »Am Montag gehst du nämlich wieder zur Schule!«

»Aber ... «

»Keine Widerrede!«

Sophie sprang vom Sofa, stemmte die Hände in die Hüfte und rief: »Du bist nicht meine Mum, also kannst du mir auch nichts sagen!« Sie sah Lara flehend an, als hoffe sie, sie würde ihr den Rücken stärken. Aber Lara sagte nichts und klammerte sich an Cas Arm, als könnte sie jeden Moment in ein verdammtes Loch fallen, oder sich auflösen, oder beides gleichzeitig. Sophie traten Tränen in die grünen Augen – die Augen ihres Vaters. Sie schluchzte laut und stampfte aus dem Wohnzimmer. Lara spürte einen Stich im Herz und als hätte man Gift in ihre Adern gejagt, breitete sich der Schmerz überall in ihrem Körper aus, drohte sie zu ersticken. »Lass uns gehen«, brachte sie nur noch heraus und vertraute darauf, dass Cas sie führte.

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