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Cas kam alles furchtbar weit weg vor. Jemand packte ihm grob am Arm und zog ihn hoch.

»Sind Sie verletzt?«, fragte eine blonde Sanitäterin neben ihm. Er schüttelte den Kopf, sah Richtung Lara und Kyle – die beiden waren nicht mehr da. Er taumelte leicht und als ihn die Sanitäterin genau dort anfasste, wo seine Haut versenkt war, konnte er nur schwer ein Zucken unterdrücken. Er wollte in kein Krankenhaus. Noch nicht mal in die Nähe eines.

»Mir geht es gut«, sagte er abwesend, suchte den Platz vor dem, nun mehr verkohlten, Wunderkästchen nach Lara ab. Nichts, er fand sie nicht. Er wandte sich von der Sanitäterin ab und wollte sie weitersuchen gehen. Neben ihm ragten die geschwärzten Wände des Ladens empor, in dem er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Nun blieb nicht viel mehr als Schutt und eine Menge Rauch, der den Himmel verdunkelte. Es stank entsetzlich und noch immer brannte der ganze Qualm und die Asche in seinen Lungen. Hustend rannte er zwischen den Krankenwagen hin und her. Sie war nicht mehr da. Er blieb neben einer Straßenlaterne stehen, um wieder zu Atem zu kommen. Jemand legte eine Hand auf seine Schulter. »Komm mit mir.«

Cas sah auf. »Hime?«

Sie knickte knapp, nahm ihm am Handgelenk und zog ihn mit sich. Cas war viel zu perplex um sich dagegen zu wehren. »Was machen Sie hier?«, fragte er nur. Hime schwieg und führte ihn zu einem alten Minivan. 

Sie fuhr in Richtung des Sees und irgendwo im Hinterkopf, fragte er sich, warum Hime ein solch großes Auto besaß. Was sie eigentlich von ihm wollte und wohin sie ihn brachte, erschien ihm unwichtig. Er wollte zu Lara, fühlte sich aber wie gelähmt. Hime parkte vor dem kleinen Hafen. Vereinzelte Motorbote schaukelten an den Stegen im Wasser, doch ganz hinten prangte ein größeres Segelschiff. Hime steuerte darauf zu.

»Was haben Sie vor?«, fragte Cas. »Ich muss zurück, ich muss ins Krankenhaus, zu Lara ... «
Hime blieb mitten auf dem Steg stehen und schaute in den hellgrauen Himmel. Cas konnte nicht sagen, wann sich der Himmel so grau gefärbt hatte.
»Wieso bist du ins Feuer gegangen?«

»Um Sophie zu retten«, antwortete Cas, ohne darüber nachzudenken. Er rieb sich über die verbrannte Stelle des Mantels.

Hime seufzte. »Warum bist du da wirklich reingegangen?«

»Habe ich doch gerade ge...«

»Das ist nicht die ganze Wahrheit«, unterbrach Hime ihn.

»Nicht?« Er hob die Brauen hoch. Die kalte Luft eines kommenden Winters drang durch die kleinen Löcher in seinem Mantel, die das Feuer hinterlassen hatte. Hime blickte in Richtung des Segelbootes. Es war weiß lackiert und in schwarzer, geschwungener Schrift stand dort: »Ledion.«

Ein kleiner Mann, ebenfalls Japaner, in weiten Hosen und einem langen Regenmantel kletterte gerade von Bord und winkte Hime stürmisch zu.
»Yamamoto«, sagte diese lächelnd. »Na komm, Cas.«

Dieser Yamamoto blieb neben seinem Segelboot stehen und half Hime beim einsteigen. Cas stand unschlüssig da und betrachtete die zwei hohen Segelmasten. »Komm, Junge«, sagte Yamamoto und fuhr sich über das lange, schwarze Haar, welches es er hinten zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden trug. »Du lernst segeln.« Er grinste breit und strich über die Planke seines Boots.

Cas fühlte sich verarscht. Das Wunderkästchen war gerade abgebrannt. Susi und Sophie lagen vermutlich verletzt im Krankenhaus. Er musste zu Lara. »Verzichte«, sagte er. »Ich werde jetzt gehen.« Er wandte sich schon zum Gehen, als Hime rief: »Gib ihr Zeit. Sie hat gesehen, wie du dich in deinen Fast-Tod gestürzt hast. Glaube mir, wenn ich dir sage, sie ist nicht gut auf dich zu sprechen.« Cas hielt inne und drehte sich um. »Ich wollte Sophie helfen. Das wird sie ja wohl verstehen.«
»Und du hast wirklich geglaubt, du könntest ihr helfen? Du, Cas, wo doch die Spezialisten bereits vor Ort waren? Denkst du nicht, das ganze war mehr ein Selbstmordkommando?«
Cas schluckte die Galle hinab, die ihm hochkam. Er stierte Hime wütend an. »Ich würde mir niemals selbst das Leben nehmen.«

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