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Lara bekam eine Menge Besuch. Von Susi, Sophie, der es wieder etwas besserging und Kyle.

Sie brachten ihr Cola und Salzstangen für ihren angeschlagenen Magen mit. Von der Cola trank sie ein paar Schlucke, die Salzstangen rührte sie nicht an. 

Sogar Hime kam vorbei, brachte buddhistische Gebetsflacken, die sie im Zimmer aufhing. Lara freute sich, alle zu sehen, aber eigentlich wollte sie nur noch raus. 

Hier sah sie überall den Tod ihres Vaters. In den weißen Wänden, in dem Geruch nach Desinfektionsmittel, in den Ärzten und Pflegern, in Susi, Kyle und Sophie, die sie sorgenvoll musterten. 

Die ganzen Stimmen, die auf sie einredeten, sie tadelten, ihr gute Besserung wünschten, wurden ihr viel zu viel und sie wünschte sich Novoicekopfhörer. Sie wollte alle aus ihrem Zimmer haben, nur für ein paar Stunden. »Ich bin müde, Leute«, sagte sie irgendwann und gähnte übertrieben.

»Kein Wunder, du Saufnase«, lachte Kyle und pfiff durch seine Zahnlücke.

»Das sagt der Richtige!« Sie lächelte und rieb sich über die Augen.

»Wir lassen dich schlafen, Kleine«, sagte Susi und drückte Sophie an sich. »Kommt schon, sie braucht Ruhe, das sagt auch der Arzt, der Süße mit den braunen Augen.«

»Susi«, stöhnte Sophie und winkte Lara noch einmal zu.

»Wir kommen später nochmal«, drohte Kyle, sie verschwanden aus der Tür und endlich wurde es still. Lara wollte nicht gemein sein. Aber ihr Kopf fühlte sich an, als würde eine ganze Mannschaft darauf Fußball spielen und ein Irrer mit einer Eisenstange ihren Schädel kahl hauen wollen! 

Dennoch blieb sie nicht liegen, sie schlief auch nicht. Nein, sie zog sich die Nadel, über die eine Salzlösung aus einem Beutel in ihren Körper lief, aus dem Arm, stand auf und schleppte sich irgendwie in den Aufzug. 

Dabei wurde ihr regelmäßig schwarz vor Augen und sie musste sich zusammenreißen, um nicht auf der Stelle auf den Boden zu sinken und nicht mehr aufzustehen. 

Im Aufzug hing ein Plan mit den Stockwerken. Lara wusste, wo sie hinwollte. 

Herzstation. Dritter Stock. Sie drückte auf die Drei, die schon die ganze Zeit vor ihren Augen verschwamm. Lara lehnte sich gegen die metallene Wand und atmete tief durch. 

Im dritten Stock angekommen, musste sie sich an die Wand klammern und vorwärts ziehen. 

Sie konnte spüren wie ihr Herz das Blut durch ihren Körper pumpte. Ein hohes Piepsen erklang in ihren Ohren. Fuck, ihr Kreislauf würde gleich nachgeben. 

Lara blieb stehen, um wieder zu Atem zu kommen. Der Gang schien sich endlos zu ziehen. Eine Krankenpflegerin lief an ihr vorbei und musterte sie mit gerunzelter Stirn. 

Zu ihrem Glück schien sie sehr beschäftigt zu sein und ging weiter. Lara stieß beinahe einen Wagen mit Op Kleidung um, aber dann sah sie endlich das Licht am Ende des Tunnels. 

Cas kauerte auf einer der ausladenden Sitzgelegenheiten und hielt einen dampfenden Plastikbecher in den Händen. 

»Cas«, keuchte sie, hielt sich an dem Wagen fest und presste die Augen zu Schlitzen zusammen, um ihn besser erkennen zu können.

»Lara?« Cas stand auf, stellte den Becher auf den Boden, lief auf sie zu und hielt sie an den Schultern fest. »Was machst du hier? Du solltest im Bett liegen.«

»Ich hasse dieses Krankenhaus und ich ... ich wollte dich sehen.« Ihre Beine zitterten bereits vor Anstrengung und die Welt schwankte bedrohlich. Cas legte seine Arme um ihren Rücken.

»Du kannst ja kaum stehen.«

Lara ließ ihren Kopf auf seine Schulter fallen. »Ich will hier weg.«

»Du musst schlafen.«

»Sagt der, der niemals schläft ... « Lara ließ sich tiefer in seine Umarmung sinken.

Cas seufzte. Löste sie sanft aus der Umarmung, schob seinen Arm über ihre Schulterblätter und legte ihren, um seinen Nacken. »Ich bring sich zurück in dein Zimmer.«

Lara schaute auf und sah zu der Tür, vor der er gesessen hatte. »Liegt da deine Mum?«

»Ja ... « Cas drehte sie Richtung Aufzug und ging mit ihr langsam den Gang entlang.

»Wieso hast du dann nicht bei ihr gesessen?«

»Sie liegt im Koma.«

Lara schwankte zur Seite und zog ihn ein Stück mit. Er verstärkte den Griff um ihre Rippen und zog sie wieder zu sich heran. »Koma ... «, wiederholte sie. Ihr Kopf fühlte sich an wie kurz vor dem Platzen. »Tut mir leid ... «

»Mir auch ... Soll ich dich tragen?«

Lara schüttelte den Kopf. »Ich schaff das schon.« Sie erreichten den Aufzug und Lara wäre vor Erleichterung fast zusammengebrochen. 

Die letzten Meter bis zu ihrem Zimmer, musste Cas sie tatsächlich tragen. Es war ihr nicht peinlich, dafür fühlte sie sich viel zu müde. Er legte sie ins Bett und deckte sie zu. »Soll ich bleiben?«

Lara nickte und er setzte sich auf die Bettkante. »Wie geht es jetzt weiter? Mit deiner Mum, meine ich?«, wollte sie wissen und sah zu ihm auf.
Er streichelte ihr durch die Haare. »Sie wird sterben.«

»Warum bist du so sicher?« Die Lider fielen ihr zu, doch sie zwang sich, sie wieder zu öffnen.

»Ihre Nieren arbeiten nicht mehr richtig und die anderen Organe fangen auch an, auszusetzen. Ihr Herz ... die Abstoßungsreaktionen hat es geschwächt, es pumpt nicht genug Blut und ... die Medikamente, die sie gegen die Abstoßung nehmen musste, haben ihre Nieren zerstört.«

»Wieso hast du nichts gesagt ... ?«

»Es ist das Herz deines Vaters.« Cas hörte auf ihre Haare zu streicheln und drehte sich mit dem Rücken zu ihr.

»Das ist nicht deine Schuld. Vielleicht treffen sie sich ja, wo immer mein Dad jetzt sein mag.«

Eine einzelne Träne rollte über Laras Wange und sie wischte sie schnell weg. Er sollte nicht sehen, wie sehr es sie traf.

»Ja, vielleicht«, sagte er. »Darf ich mich vielleicht nochmal neben dich legen?«

Lara rückte zur Seite, um ihm Platz zu machen. »Ja, darfst du.«
Er zog seine Vans aus und legte sich neben sie. »Kannst du dich umdrehen?«

Lara betrachtete einen Moment sein feines Gesicht. 

Dann nickte sie und drehte sich um. Cas kuschelte sich an ihren Rücken und flüsterte an ihr Ohr: »Schlaf jetzt. Ich bleibe bei dir, bist du träumst.«

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