Samstag 5. Dezember. Es schneite leicht als Cas mit Lara durch den Weihnachtsmarkt schlenderte. Am frühen Vormittag war noch nicht viel los und er genoss den Geruch von gebrannten Mandeln, Crêpes und Grillgut. Laras Hand fühlte sich kühl in seiner an. Die Temperaturen waren zum Wochenende hin stark abgefallen. »Lust auf einen Glühwein?«, fragte er.
Sie nickte und zog ihn sofort in Richtung eines Holzstandes auf dessen Dach künstlicher Schnee in Form von Glitter prangte.
»Hallo, Lara«, begrüßte sie ein alter Mann mit erstaunlich vollem Haar.»Hall, Herr Gruber.« Sie lächelte. Der Mann beugte sich vor, musterte Cas einen Augenblick lang und schaute dann wieder zu Lara. »Ist Susi hier irgendwo?«
»Tut mir leid, Herr Gruber. Sie wollte heute Abend noch vorbeikommen. Solange müssen Sie sich wohl gedulden.« Herr Gruber fuhr sich durch die dichten, weißen Haare und seufzte tief. »Na gut. Und ihr beiden, Kinderpunsch, was?« Er lachte leise. Ein angenehmes Lachen. Herr Gruber könnte gut Hörbücher aufnehmen, dachte Cas.
»Klar, Herr Gruber. Sie kennen mich ja.« Er lachte und zog sich kurz zurück. Als er wiederkam hielt er zwei dampfende Tassen mit Glühwein in der Hand. »Und wer ist das?« Er nickte in Cas Richtung. »Dein Freund?« Er zog die Brauen verschwörerisch in die Höhe.
»Ja«, sagte Lara und drückte seine Hand. »Können sie Sahne draufhaun?«Herr Gruber nickte und begutachtete Cas einmal von oben nach unten. »Als ich jung war, sah ich auch mal so gut aus. Vielleicht sollte ich mit die Haare schwarz färben, denkst du Susi würde das gefallen?«
Lara lachte. Das Geräusch hallte laut über den Platz und machte alles so viel lebendiger.»Da müssen Sie sie wohl selbst fragen.«
Der alte Mann kratzte sich an der Oberlippe und machte dann ihre Glühweine feritg.
Cas ließ es sich nicht nehmen zu zahlen, und Herr Gruber nickte ihm anerkennend zu. Er musste ein wenig grinsen und als sie, mit Glühwein in den Händen, weiter an den zahlreichen Ständen vorbeischlenderten, fragte er sie, wer der Mann gewesen war. »Johannis Gruber«, antwortete sie ihm sofort. »Ein Stammgast vom Wunderkästchen. Er steht auf Susi.«
»Ja, das habe ich gemerkt.« Cas trank einen Schluck von dem schön heißen Getränk. »Dann kommt er sicher heute Abend zu der Adventsfeier?« Susi hatte beschlossen eine kleine Weihnachtsaktion zu veranstalten, mit Musik, Tanz und Buffet. Cas konnte nicht genau sagen, ob sie es machte, um das Wunderkästchen zu retten, oder eher um es zu verabschieden. Jedenfalls hatten sie beide versprochen am Abend auszuhelfen.»Das lässt er sich sicher nicht entgehen.« Sie grinste. »Hime wird auch kommen, die musst du unbedingt näher kennenlernen. Sie ist Japanerin und wenn sie dein Katana im Flur sehen würde, würde sie wahrscheinlich laut kreischen wie ein hyperaktiver Teenager aus Amerika.«
»Das will ich sehen!« Cas nahm noch einen Schluck. Sie liefen an einem Stand mit Anhängern vorbei. Lara blieb stehen und betrachtete einen kleinen, schlangenartigen Drachen, mit den Beinen von einer Raubkatze an einer Lederschnur. Seine eines Auge glitzerte rot und das andere grün. Sie fuhr mit dem Finger darüber. »Gefällt es dir?«, fragte Cas.
»Brauchst du einen Wächter, Kleine?« Cas drehte sich zu der Stimme um und sah eine kleine Japanerin in einem knallroten Kimono und dazu passenden Mantel.
»Hime! Wir haben gerade von dir geredet«, sagte Lara und deutete eine Verbeugung an.Cas machte es ihr sicherheitshalber nach. »Konichiwa Cas-san«, sagte sie und verzog ihre dunklen Lippen zu einem Lächeln. »Hallo Hime-sama«, antwortete er etwas perplex und schaute stirnrunzelnd zu Lara. Sie zog nur die Schultern hoch und fragte Hime direkt: »Woher kennst du seinen Namen?«
»Die Engel haben ihn mir geflüstert«, antwortete sie.
Lara seufzte neben ihm. »Du hast mit Susi getratscht, oder?«
Himes Lächeln verschwand und sie setzte einen Schmollmund auf. »Was unterstellst du mir da?« Dann lachte sie herzlich und nahm Lara den Drachen aus den Händen.
»Wie viel?«, fragte sie den Verkäufer, ein Mann mit langen Haaren.»Zwanzig Euro.«
Hime fluchte etwas auf japanisch, zog zwei zehn Euro scheine unter ihrem Kimono hervor und reichte sie dem freundlich lächelnden Verkäufer. Dann gab sie die Kette an Lara weiter. »Für euch«, sagte sie. »Mein vorzeitiges Weihnachtsgeschenk.«»Aber du feierst doch gar kein Weihnachten.« Lara nahm die Kette entgegen und murmelte »arrigato (danke auf japanisch).«
»Nein, aber ich glaube an die Symbolkraft von Drachen und an Engel.« Sie knöpfte ihren Mantel zu. »Wenn ihr mich jetzt entschuldigt, ich muss noch ein paar Besorgungen machen und treffe mich dann mit Yamamoto, er bringt mir Segeln bei.« Sie lächelte über beide Ohren und warf sich die glatten, schwarzen Haare nach hinten. »Wir sehen uns ja heute Abend.«Cas sah ihr nach, bis sie hinter einem Zuckerwattestand verschwand. »Segeln im Dezember?«
»So ist Hime«, antwortete Lara mit einer abfälligen Handbewegung.
»Irgendwie cool.«
»Mhm.« Lara legte den Glühwein auf die kleine Ablage des Standes, stellte sich auf die Zehenspitzen und hängte ihm die Drachenkette um den Hals. »Da passt sie hin«, stellte sie zufrieden fest und setzte dann noch nach, »willst du irgendwann mit mir segeln?« Cas drehte den kleinen Drachen in den Fingern hin und her. Er fühlte sich seltsam warm an, als käme er direkt aus ihrem Herzen. »Nichts lieber als das«, flüsterte er, beugte sich zu ihr hinab und küsste sie.Mit den verstreichenden Stunden kamen immer mehr Menschen. Cas und Lara zogen sich in ein Krippenspiel für Kinder in einer kleinen Hütte zurück. Es roch nach Stroh, Schnee und Zimt. Das Spiel hatte noch nicht angefangen und die Schauspieler probten noch. Cas zog Lara zu einer der hinteren Sitzbänke. Er legte seinen Arm um ihre Taille und drückte ihren Kopf sanft auf seine Schulter. »Es ist schön hier mit dir.« Wärme durchflutete seinen Körper und tauchte alles in seeligen Nebel. Sie spielte an seinem neuen Drachen herum und murmelte etwas, was er nicht verstehen konnte. Cas schaute zu der jungen Maria, die sich gerade ein Stofftuch um den Kopf wickelte. Ein Joseph mit umgeschnallten Bart bettete eine Babyborn oder ähnliches in die Futterkrippe. Hinter den Darstellern lag ein großer Haufen Heu auf dem ein Ochse aus Holz und ein Esel ruhte. Cas stellte sich vor, Lara und er wären Maria und Joseph, doch dass Lara in seiner Vorstellung nicht schwanger war. Er würde vermutlich ganz andere Dinge in dem Heu mit ihr anstellen als ein Krippenspiel für Kinder zu präsentieren.
Er spürte wie ihm das Blut in die Wangen schoss und noch woanders hin. Leise seufzend strich er über Laras schwarze Haare. Sie blieben noch ein wenig sitzen, genossen den stillen Raum zwischen ihnen, doch als die ersten Besucher kamen, verschwanden sie wie zwei Geister, die von einem Ort zum nächsten trieben. Lara zeigte ihm den Weihnachtsbaum im Zentrum des Marktes. Leider musste sie seufzend feststellen, dass er nur nachts wirklich spektakulär wirkte. Cas musste über ihre gespielte Enttäuschung schmunzeln. Er betrachtete, wie sich ihre schön geschwungenen Augenbrauen zusammenzogen und sich ihr Haar wie ein Fächer auseinander bewegte, als sie den Kopf schüttelte und ihn weiterzog. Sie liefen gerade an einem Süßigkeitenstand vorbei, als Cas den Rauch bemerkte. Eine hellgraue, in sich verdrehte Säule, die sich vom stahlblauen Himmel kaum abhob, aber dennoch erkennbar war.
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Scherbenbild
General FictionLara verliert ihren Vater, der nach einem Unfall hirntot ist. Cas(♂) Mutter bekommt sein Herz und eine neue Chance, doch sie scheint schon lange dem Tod zu gehören. Laras und Cas Liebesgeschichte beginnt an einem Ort der Hoffnung und der Verzweif...