-09- Von Nadelbäumen und schweren Steinenart

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Cas streifte durch den nächtlichen Nadelwald. Lauter hohe Schatten, die sich dünn wie Pinselstriche in den Himmel erhoben und mit den Sternen sprachen. Er dachte an Lara und ihre Worte. Ihr Vater war hirntot und seine Mutter – der Arzt meinte, sie hätten vielleicht einen Spender für sie. Wenn seine Mutter leben wollte, musste jemand sterben. Das hatte Cas gewusst und es blieb immer unfair, egal wie man es drehte oder wendete. Er hoffte nur, es würde nicht Laras Vater werden, sondern jemand anderes. Aber auch das erschien ihm falsch.Wie konnte er überhaupt hoffen, dass jemand starb?

Cas duckte sich durch zwei besonders tiefliegende Äste hindurch und trat auf eine kleine Lichtung. Wenn er nach oben schaute, konnte er einen klaren Sternenhimmel sehen. Es roch süßlich, nach Nadeln und verwelkendem Gestrüpp. Er fuhr mit den Finger über den Verband, den ihm diese Verkäuferin umgelegt hatte. Cas wünschte sich, es wäre seine Mutter gewesen, aber sie war ja kaum in der Lage zu atmen, wie könnte sie ihm dann Knöchel verbinden, die er in blinder Wut gegen die Wände des Krankenhauses donnerte? Manchmal konnte er es einfach nicht mehr ertragen. Ihr blasses Gesicht, die Atemmaske, das EKG-Gerät, der Geruch von Angst in der Luft ... Sie waren hier hergezogen, weil die Herzklinik gut sein sollte. Die letzte Hoffnung sozusagen.

Ihr Zustand hatte sich in der letzten Woche rapide verschlechtert und jetzt - nur noch eine Operation, dachte er. Dann ging es ihr wieder gut, dann konnte sie sich erholen, wieder zu seiner Mum werden und nicht nur ein stummes Gebilde an einer Maschine sein. Sie würde mit ihm in seine Wohnung ziehen, bis es ihr besser ging und sie allein leben konnte. An sonnigen Tagen würden sie zum See fahren, Eis essen, schwimmen gehen ... All die Dinge tun, die sie nie machen konnten, weil es ihr immer schlecht ging und weil ihr Herz nie viel Aufregung aushielt. Bald, sehr bald würde der Kampf endlich ein Ende finden.

Cas eilte durch die Äste mit dichten Nadelgestrüpp zurück zu seinem Auto und fuhr ins Krankenhaus. Während der Fahrt dachte er aber nicht an seine Mum, sondern an Lara, die gerade auf ein Wunder hoffte, die im Moment verstand, wie es sich anfühlte, um das Leben eines geliebten Menschen zu bangen. Er betete im Stillen für ihren Vater, aber gleichzeitig auch für seine Mutter. Am Ende löste sich das Gebet einfach auf. Cas wollte nicht bestimmen, wer leben durfte und wer nicht, aber wenn das Spenderherz von Laras Vater kam, würde er es nicht ablehnen. Seine Mum würde er davon überhaupt nichts erzählen, denn wenn sie das Herz deswegen abstieß, dann wäre das wie Mord. Dann würde er seine Mutter umbringen.

Cas fühlte einen starken Druck auf der Brust, als würde dort ein Stein liegen, ein großer schwerer Stein aus Schuldgefühlen und Hoffnung. 

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