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Lara könnte jetzt dasitzen und über die Beerdigung nachdenken. Aber Beerdigungen waren Beerdigungen. Sie waren traurig. Ein Körper in einer Kiste, in einem Loch. Also dachte sie nicht darüber nach. Lara wusste auch nicht, was sie verdammt noch mal um Mitternacht auf dem Friedhof wollte, mit ihrer Gitarre in der Hand. Eigentlich wusste sie es doch. Es war Yugis Idee gewesen. Eine Art Totenwache. Mittwoch, 11. November 2015. Cas, Yugi und Lara saßen um das Grab von Nele. Überall standen weiße Kerzen und legten ihr warmes Licht über das frische Kreuz. Eine Eule rief vom Wald zu ihnen hinüber. Yugi hielt sich eine Flöte an den Moment. Cas schaute kurz zu ihr. Lara spürte wie die Nervosität in ihr hochkroch. Und dann fing er an zu singen. Es hörte sich an, als wäre er ... ein Engel. Beim Singen hatte er eine tiefe, rauchige Stimme und er hauchte das Lied einfach nur so dahin. Lara richtete ihre Gitarre und fing an über die Saiten zu streichen. Mordreds Song von Heather Dale.

»Hush, child, the darkness will rise from the deep,

And carry you down into sleep

Child, the darkness will rise from the deep,

And carry you down into sleep. ... Guileless son, each day you grow older

Each moment I'm watching my vengeance unfold
The child of my body, the flesh of my soul

Will die in returning the birthright he stole.«

Ein letztes Schlaflied. Es passte nicht ganz, aber aus Cas Mund hörte es sich wunderschön an und sie war sich sicher, wenn seine Mutter es hören könnte, dann würde sie sich freuen. Lara spielte nicht nur für Nele, sondern auch für ihren Vater. Ihre Finger fingen an, fast wie von selbst zu spielen. Cas Gesang und die Flöte von Yugi lullten sie ein und plötzlich wusste sie es. Sie wusste es einfach. Gott weiß woher. Es war vorbei. Alles war vorbei und nie würde etwas sein, wie zuvor. Gegen Ende des Liedes spielte Lara leiser und auch Cas Stimme senkte sich. »Hush, child, the darkness will rise from the deep
And carry you down into sleep

Child, the darkness will rise from the deep,

And carry you down into sleep.«

Ein sanfter Schauer überkam Lara, als das Spiel stoppte. Es schneite und eine Decke aus weiß, vergrub alles Graue und Dunkle unter sich. Neuanfang.

Die Zeit hörte auf, so schien es zumindest. Sie saßen da, im Kreis – außenstehende würden denken, sie würden irgendein schräges Ritual durchführen -, und fingen an, Yugioh zu spielen. Es mag verrückt klingen - war es auch. Aber irgendwie fühlte es sich nicht falsch an.
Yugi gewann – wer hätte es gedacht. Dad, siehst du das, dachte sie. Ich sitze hier mit dem Jungen, in den ich mich verliebt habe, mit seinem komischen Kumpel, der dringend mal zum Frisör müsste, und spiele Yugioh. Das habe ich zuletzt mit zwölf gemacht! Ist das nicht herrlich, Dad? Wärst du nicht stolz. Wir bleiben einfach ewig jung wie du.

»Der große Yami hat gesprochen«, sagte Yugi und gewann die zweite Party durch Slifer dem Himmelsdrachen. Und das trotz dessen, dass Cas und Lara als Team antraten, da man Yugioh zu zweit spielte. Die Totenwache endete mit der letzten Kerze, die der Wind auspustete.

Cas fuhr Yugi zurück ins Hotel. Dort verabschiedete er sich von seinem alten Kumpel, denn er würde morgenfrüh wieder zurück nach Berlin fahren. Lara wartete im Auto, sie wollte die beiden Jungs nicht stören. Erneut überkam Lara das Gefühl; alles würde enden. Nicht das Leben, sondern nur ein altes Leben. Das, welches sie bisher geführt hatte. Es fühlte sich an, als wäre es eine alte Haut, die sich langsam abpellte. Cas kam wieder und setzte sich in den Wagen. Eine ganze Weile schwiegen sie und starrten hinaus in die dunkle Nacht. »Willst du nach Hause?«, fragte er irgendwann.

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