Kapitel 1

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Der Anfang

"So jetzt strecke deinen Arm etwas weiter aus." Krampfhaft versucht Eren seinen Arm auszustrecken, es gelingt ihm jedoch nicht ganz. "Das machst du toll, Eren. Super!", lobt ihn Frau Schmidt, seine Therapeutin. Eren schaut zu mir und lächelt mich an, was ich erwidere.

"So für heute haben wir genug getan, bis zum nächsten Mal Eren. Auf Wiedersehen, Frau Kaya", sagt Frau Schmidt an uns gewandt und schüttelt meine Hand. "Danke nochmal, bis nächste Woche", antworte ich, hake mich bei meinem Bruder ein und helfe ihm bei seinen Schritten.

Eine angenehme warme Luft kommt uns entgegen, als wir langsam zum Auto laufen. Ich setze Eren langsam auf dem Beifahrersitz ab und begebe mich auf meinen Platz. "Abla, abla (Schwester, Schwester)", sagt Eren und bewegt sich auf seinem Sitz herum. "Efendim canım (Ja, mein Schatz)", antworte ich ihm lächelnd und gebe ihm einen Kuss auf seine Handfläche. Ich bekomme keine Antwort, was klar ist doch dass heißt noch lange nicht, dass ich ihm nicht antworte, oder?

Zuhause angekommen schließe ich die Haustür auf und schon kommt meine Mutter angelaufen. "Geldiniz'mi kızım? Ah Eren gel canım (Seid ihr gekommen, meine Tochter? Komm her)."

Das ist meine Mutter. Ich liebe sie über alles, sie ist einfach die beste Mutter die es gibt. Bei allem  versucht sie uns zu helfen und ist immer für uns da. Sie vernachlässigt Eren nicht, nur weil er eben nicht so wie ich oder Semih ist. Mein Vater genauso. Beide sind perfekte Eltern, die ihre Kinder gut erzogen haben. "Aleyna, du kannst in dein Zimmer, kızım. Ich kümmer mich um Eren", sagt sie lächelnd und gibt mir einen Kuss auf die Wange. Ich nicke, gebe Eren einen Kuss und gehe in mein Zimmer.

Gerade als mein Zimmer betrete, stürmt Semih in mein Zimmer rein. Semih, mein gut aussehender, gutmütiger Zwillingsbruder. Wir sehen uns auf keine Weise ähnlich, kein Wunder, wir sind zweieiige Zwillinge. Semih ist immer gut drauf, steckt jeden mit seiner Laune an, und bringt uns so gut wie immer zum Lachen.

Er und Eren sind einfach die besten Brüder, die man sich wünschen kann. Semih fährt durch seine pechschwarzen Haare, kratzt sich am Nacken und schaut zu mir. Okay, das ist der Ich-habe-ein-Problem-weiß-aber-nicht-wie-ich-es-sagen-soll-Blick.

"Okay was willst du?", frage ich ihn grinsend.

"Ehm du musst Baba überreden, dass ich heute Abend raus darf", gibt er mit einem verzweifelten Blick zu. Ich fange an zu lachen.

"Deshalb schaust du so ängstlich? Was ist denn daran so schlimm, geh halt raus", sage ich lachend.

"Oh man Aleyna. Du weißt, wie Baba bei dem Thema ist."

Ja, das weiß ich. Heute ist Freitag und freitags möchte mein Vater immer, dass die ganze Familie zumindest beim Essen daheim ist. Klar lässt er Semih oder mich rausgehen, aber eben erst nach dem Essen. Er mag es nicht sonderlich, wenn alle im Haus getrennt essen, da in der Regel er selber die ganze Woche später heim kommt von der Arbeit und wir ihn nicht lange genug sehen können.

Naja, zurück zu Semih der mich immer noch mit dem Blick anstarrt. "Semih! Schau nicht so, geh einfach. Anne und ich sagen ihm das schon!"

"Aber wenn er sauer wird, rufst du an und gibst mir Bescheid, ok?", fragt er mich. "Ja ja, mach ich!", antworte ich genervt.

"Du kleine Zicke!", sagt er grinsend, gibt mir einen Kuss auf die Stirn und geht raus.

Klein.

Er ist 13 Minuten älter und damit zieht er mich immer wieder auf.

Ich gehe ins Wohnzimmer, wo meine Mutter und Eren auf der Couch sitzen und Fernseher schauen.

"Lan, yakışıklı (Hübscher)", schreit Semih zu Eren und wuschelt ihm durch sein Haar. Eren schaut lächelnd in Semihs Richtung und auch meine Mutter lacht. Noch ein Punkt, was ich an Semih liebe. Er macht immer Späße mit Eren, redet mit ihm, bringt ihn zum Lachen. Ab und zu nimmt er ihn sogar mit zu seinen Freunden, was ich so toll von ihm finde! Wir haben Eren nie das Gefühl gegeben, dass er anders ist und uns allen ist es wichtig, dass er das sieht.

"Wieso gehst du nicht morgen raus?", fragt meine Mutter Semih vorwurfsvoll.

Ich merke, dass Semih die passenden Wörter finden wollte, also sage ich einfach "Anne, heute ist ein Geburtstag von seinem Freund. Er kann doch nichts dafür wenn es heute gefeiert wird?" Jetzt grinst Semih breit, kommt zu mir und gab mir einen dicken Kuss auf die Wange. Ich hasse das. Ich hasse das so sehr, wenn er schleimt. "Semih, bırak beni (Lass mich)", bringe ich lachend raus.

Meine Mutter schaut zu uns, steht auf und wirft eine Pantoffel auf Semihs Rücken.

Semihs Gesichtsausdruck sieht so lustig aus, dass ich laut los lache. "Anne für was war das denn jetzt ?!", fragt Semih empört.

"Geh sofort, bevor dein Vater kommt", gibt meine Mutter zurück, doch ich sehe, dass sie sich ihr Lachen verkneifen muss.

"Okay, bin weg."

Und somit ist Semih weg und ich begebe mich mit meiner Mutter in die Küche, um das Essen vorzubereiten.

Am Abend nach dem Essen gehe ich in mein Zimmer und schreibe mit Hilal, meiner Cousine. Sie ist 18 und somit ein Jahr jünger als ich. Wir machen aus, dass wir uns morgen treffen. Mit der Vorfreude auf morgen schlafe ich endlich ein.

Für immer und ewig.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt