Die Unterkunft der Zentauren

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„Sind alle bezüglich der künftigen Versammlung informiert?", verlangte Fidian zu wissen. Obgleich die Worte diesmal Adias und nicht dem Werwolf galten, bekam Lupin abermals eine Gänsehaut von der bedrohlichen Stimme des Langhaarigen und sämtliche Instinkte schienen ihn geradezu anzuschreien, eine Möglichkeit zu finden, wie er schnell von ihm wegkommen konnte.
„Natürlich", entgegnete Adias, „es ist alles vorbereitet. Ich war gerade im Begriff wieder zurückzukehren." Selbst ihm schien in Fidians Gegenwart ein wenig unbehaglich zumute zu sein.

Der weiße Zentaur schloss sich seinen Gefährten an und schritt neben Aron und hinter Lupin her. Der Braunhaarige spürte, wie seine eisblauen Augen ihn unentwegt beobachteten.

Gemeinsam schritten sie einen steilen, am Fuße lichten Hügel hinauf. Nur vereinzelt wuchsen kleine Sträucher oder Gräser. Ab einer bestimmten Höhe aber schienen auf dem Hügel wieder mehr Bäume zu wachsen. Es wirkte ein wenig unnatürlich. Und war damit hoffentlich ein gutes Thema, um wieder ins Gespräch zu kommen.

„Das ist ein interessanter Anblick", stellte Lupin fest, während er mit klopfendem Herzen auf eine Reaktion der Zentauren wartete.

„Hier haben einst zwei Zauberer gegeneinander ein Duell bestritten", erklärte Adias, Lupin immer noch unentwegt fixierend. „Es ist nicht von Belang, wer sie gewesen sind, sondern entscheidend, dass ein wohl schwarzmagischer Zauber als zusätzlichen Effekt den Boden am Fuße des Hügels weitestgehend unfruchtbar gemacht hat. Wir haben uns dies natürlich zunutze gemacht."

Lupin verstand sofort, wovon er sprach. Allem Anschein nach lag die Unterkunft der Zentauren, oder wie auch immer sie ihren Wohnort nennen mochten, oben auf dem Hügel.
Von einem Felsen auf der Spitze aus konnte man sich zweifelsfrei einen guten Überblick über die unbewachsenen Teile des Hügels verschaffen. So wäre es für Feinde beinahe unmöglich, sich dem Lager der Zentauren unbemerkt zu nähern und außerdem hätten diese die Gelegenheit, in aller Ruhe ihre Pfeile abzuschießen und den Feind so anzugreifen, während ihnen durch die Bäume Deckung zuteil wurde. Und selbstredend waren sie weiter oben natürlich näher bei den Sternen. Nicht außer Acht gelassen werden sollte außerdem, dass Lupin seichtes Wasserrauschen wahrnehmen konnte – in der Nähe schien also ein Fluss zu sein. Es war nicht nur ein idealer Ort für ein Lager, sondern gleichzeitig ein Symbol für die Überlegenheit der Zentauren gegenüber den Menschen, indem sie Vorteile aus dem Kampf zweier Zauberer gezogen hatten. Nie hätten sie einen Zauberer darum gebeten, den schwarzmagischen Zauber zu wirken, aber so schien es fast, als hätten die Zauberer unwissentlich für die Zentauren gearbeitet und sich ihnen so untergeordnet.

„Das ist durchaus verständlich", entgegnete Lupin nickend. „Die ganze Umgebung verschafft ideale Bedingungen. An diesem Ort wird Ihnen wohl nicht nur der Schutz vor Feinden zuteil, es ist auch gleichermaßen ein Platz, um näher bei den Sternen zu sein und außerdem in der Nähe einer Wasserzufuhr. Sie scheinen wirklich einen außerordentlich guten Platz ausgewählt zu haben."

„Wer hat Sie über den Fluss in Kenntnis gesetzt?", fragte Aron misstrauisch und erhob drohend seinen Bogen. „Waren Sie schon einmal hier, um uns auszuspionieren?"

„Gewiss nicht, nein", antwortete Lupin ruhig. Er spürte, wie sein Herzschlag sich noch weiter erhöhte und ihm kalter Schweiß den Rücken herab rann. Wenn die Zentauren ihn jetzt angreifen würden, hätte er wohl keine Chance. Unbewaffnet. In ihrer Mitte. „Ich habe das Glück, dass ich ein ziemlich ausgeprägtes Gehör besitze. Aus diesem Grund war es mir auch möglich, Sie drei vorhin wahrzunehmen, obwohl Sie recht weit weg gewesen sind und ich nicht in der Lage war, Sie zu sehen."

„Ich verstehe", antwortete Aron mit seiner dunklen Stimme und ließ seinen Bogen wieder sinken. Lupin atmete innerlich auf.
Ein wenig überrascht stellte er fest, dass Fidian sich nicht einmal umgedreht hatte, obwohl er immer noch ungeschützt vor Lupin herging und dieser gerade als möglicher Angreifer erschienen war. Dennoch wirkte er auf irgendeine Weise gereizt; seine Körperhaltung war angespannter. Doch dies schien nicht dem Braunhaarigen sondern viel eher seinem eigenen Artgenossen geschuldet zu sein. Es dauerte einen Moment, ehe Lupin den Grund begriff:
Dadurch, dass Aron ihn für einen potentiellen Angreifer gehalten hatte, obwohl er durch das Geschehene hätte darauf kommen können, dass Lupins Gehör äußerst scharf war, hatte er nicht nur seine eigene Intelligenz infrage gestellt, sondern wäre eigentlich sogar in der Situation gewesen, die möglicherweise eine Entschuldigung gefordert hätte, was einer vermeidbaren Unterordnung eines Zentauren gegenüber einem Menschen gleichgekommen wäre. Fidian allerdings wollte Lupin wohl nicht noch zusätzlich auf den Fehler seines Artgenossens aufmerksam machen, weshalb er sich weder umdrehte, noch das Wort erhob.

Eine Weile noch schritten sie den Hügel hinauf, über die kahlen Flächen, zu denen das Sonnenlicht hin reichte, durch die Bäume und immer weiter der Spitze entgegen. Die Stimmung war noch immer angespannt, aber indem Lupin noch einige Fragen zu Rorian und ihrem Wohlbefinden gestellt hatte, war es ihm irgendwie gelungen, eine kleine Vertrauensbasis zu schaffen.

Obwohl Lupin froh war, seinem Ziel Schritt für Schritt näher zu kommen, so spürte er doch weiter zunehmende Angst in sich aufkeimen. Dort oben würde es von Zentauren nur so wimmeln – sollten sie ihn dann als Feind betrachten, hätte er wohl endgültig sein Leben verwirkt. Und Tonks hatte dies die ganzen letzten Tage aushalten müssen. Es kam beinahe einem Wunder gleich, dass sie nicht aufgeflogen war.
Oder – Lupin schluckte. War es möglich, dass ihn die Zentauren in eine Falle lockten? Nur vortäuschten, sie würden ihn zu Rorian lassen, weil sie den Plan durchschaut hatten? War Tonks dort oben vielleicht gefangen oder gar...

Er biss sich unmerklich auf die Lippen. So durfte er nicht denken. Es wäre nicht die Art der Zentauren, ihn so hinterlistig in eine Falle zu locken, oder? Würden sie das ganze Misstrauen, dass sie zunächst gehegt hatten, wirklich vorspielen, um überzeugender zu sein? Wäre das mit ihrem Stolz zu vereinbaren? ‚Nein', antwortete Lupin stumm, aber eher, um sich selbst davon zu überzeugen. Doch das ungute Gefühl blieb.

Je höher sie kamen, desto mehr Zentauren begegneten sie. Sie waren von unterschiedlichstem Aussehen, aber der Blick jedes Einzelnen blieb misstrauisch an Lupin hängen.

Es schien eine Ewigkeit vergangen, als sie die Spitze erreichten. Der Wald lichtete sich zunehmend und einige Meter später konnte Lupin die Unterkunft der Zentauren erkennen. In der Ferne konnte er den Felsen ausmachen, groß und brachial ins gleißende Licht der Sonne getaucht. Daneben lag weiteres felsiges Areal, das teilweise Höhlen formte. Unmittelbar vor ihm lag eine freie, grasbewachsene Fläche, auf der nur vereinzelnd Bäume standen und deren saftiges Grün von unzähligen bunten Blumen verziert wurde. Zur Rechten erstreckte sich der Fluss, der seicht zu beiden Seiten des Hügels hinunterrann. Offenbar befand sich der Quell des Gewässers direkt auf dem Hügel.
Doch der Natur schenkte Lupin in diesem Moment nicht allzu viel Beachtung. Viel überwältigender war die Anzahl der Zentauren, die über die Wiesen schritt, auf dem Gras saß und erwartungsvoll den Himmel beobachtete oder im Bereich der Höhleneingänge unterwegs war. Sie schienen einfach überall zu sein.

Während Lupin Fidian zu den Höhlen folgte und Ausschau nach Rorian hielt, verfolgte ihn ein Gedanke unentwegt: Sollte das hier wirklich eine Falle sein, so gäbe es durch das unterbundene Disapparieren wohl kein Entkommen. Er wäre aussichtslos dem Tode geweiht.
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Es würde mich brennend interessieren, ob ihr glaubt, dass es eine Falle ist oder ob alles (weitestgehend) reibungslos verlaufen wird^^

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