Tot. Tot. Tot.
Das Wort hallte in Lupins Kopf wider wie ein nie endendes Echo der Verzweiflung.
Tot.
So jäh, so plötzlich.
Tot.
Für immer.
Tot, wie seine Mutter, tot, wie sein Vater, tot, wie Lily, tot, wie James, tot, wie wahrscheinlich auch bald Tonks, tot, wie alle, die ihm etwas bedeuteten -
Nur er war noch übrig, als erbärmlicher, letzter Rumtreiber. Wie unbesonnen waren sie damals übers Schulgelände getollt, wie sorglos hatten sie gelacht, wie spitzbübisch gelächelt, wenn sie ihre Streiche in die Tat umgesetzt hatten...
Doch dann war alles ganz anders gekommen. Jahrelang hatte er geglaubt, Sirius hätte sie verraten, hätte für Lilys und James' Tod gesorgt, hätte Peter und fast ein Dutzend Muggel getötet. Er war in ein Loch gefallen, eine Schlucht, ohne Boden und es hatte ihm absolut alles abverlangt, sich langsam wieder aufrichten und ein ansatzweise normales Leben führen zu können. Drei Freunde, verloren binnen eines Tages, einer Nacht.
Dann hatte sich herausgestellt, dass Sirius unschuldig war. Nach dreizehn endlosen Jahren hatte er einen seiner Freunde zurückgewonnen. Für kaum zwei Jahre.
Jetzt war er schon wieder fort, doch diesmal endgültig, ohne Wiederkehr. Erneut war er ihm genommen worden, und er hatte nichts unternommen, nur ohnmächtig zugeschaut. Wie schwach konnte ein einzelner Mensch eigentlich sein?
Tot.
Auch er war tot. Zu oft war er über seine Grenze hinausgegangen. Zu oft hatte er seine Energie verbraucht.
Er konnte nicht mehr.
Er konnte einfach nicht mehr.
Er konnte nicht mehr tun, als sei er stark, obwohl ihm die Schwäche ins Gesicht geschrieben stand.
Er hatte nicht einmal die Kraft, sich aufzurichten, geschweige denn hinunter zu gehen, um etwas zu essen. Er war einfach am Ende.
Stumm und reglos lag er da, in endloser Finsternis, mit trockener Kehle und knurrendem Magen, verlor jegliches Zeitgefühl.
Wahrscheinlich waren schon Tage vergangen.
Es klopfte.
Er reagierte nicht.
Es klopfte abermals.
Er bewegte seine Augen müde zur Tür, doch schwieg beharrlich weiter.
Die Tür schwang mit leisem Quietschen auf. „Remus?", fragte eine zittrige Stimme. Molly.
„D-Darf ich reinkommen?" Lupin schwieg. Schritte.
„Ich... habe dir etwas zu essen gemacht, ich dachte, vielleicht..." Sie verstummte.
„Ich...stelle es dir dann hier auf den Tisch..."
Ein leises Klirren ertönte, als sie das Tablett mit randvollen Tellern und Gläsern auf dem Tisch abstellte, gefolgt von einem lauten Schniefen. Schnell putzte sie sich die Nase und rieb ihre verquollenen, tränenfeuchten Augen an dem Taschentuch trocken.
„A-A-Arthur und ich w-wollen Tonks besuchen... sie ist immer noch nicht bei Bewusstsein... aber z-zumindest Kingsley geht es besser... vielleicht möchtest du ja-"
Lupin stand abrupt auf, lief schnellen Schrittes an Molly vorbei, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen und schlug die Zimmertür hinter sich zu.
Mrs. Black begann zu schreien, er hastete die Treppen hinab, auf kürzestem Wege zur Haustür, die er gewaltsam aufstieß und zudonnerte.
Draußen regnete es in Strömen, die Tropfen prasselten geräuschvoll auf den geteerten Asphalt und die Dächer, fanden sich in Pfützen zusammen, liefen in Gullis und Regenrinnen ab...
Lupin rannte los, wusste nicht, wo lang er lief, überquerte Straßen, ohne sich umzusehen, Autoreifen quietschten, Leute schrien wutentbrannt –
Er rannte weiter, hielt sich die stechende Seite, japste nach Luft, der Schweiß rann ihm Nacken und Rücken herab, vermischte sich mit dem Regen, der seinen triefenden Umhang durchtränkte, das Wasser spritzte platschend an seinen Beinen empor, wenn er durch Pfützen hastete, er keuchte, doch hastete weiter, weiter in die Stadt, durch Menschenmassen, vorbei an unzähligen Hochhäusern und Geschäften...
Irgendwann, nach Ewigkeiten, wollten seine Beine ihn nicht mehr tragen, er taumelte vorwärts und blieb völlig erschöpft stehen. Er rang nach Luft, blickte schwer atmend zum Himmel empor, breitete seine Arme aus und schrie aus vollem Halse: „WARUM? HÄ? SAG MIR WARUM! Wieso geschieht das alles?! Womit habe ich das verdient?! Macht es dir Spaß, mich leiden zu sehen?! Dann nur zu! Töte mich, wenn es dir Freude bereitet, na komm schon, KOMM SCHON!"
Erwartungsvoll blickte er den Himmel an, als fordere er ihn heraus, einen Blitz nach ihm zu schleudern, doch nur der strömende Regen prasselte unablässig herab.
„Ach, bist du zu FEIGE oder was? Komm schon, komm, der letzte Rumtreiber steht vor dir, hol ihn doch!"
Nichts geschah. Kein Licht zuckte durch den Himmel. Kein Donner grollte.
Lupin lachte ein hohes, schauriges Lachen, das man nicht von ihm kannte und nahm die Hände hinunter.
Er sah sich um und bemerkte, dass unzählige Blicke auf ihn gerichtet waren, dutzende Augenpaare, die ihn entsetzt anstarrten, doch zum ersten Mal in seinem Leben kümmerten ihn die Leute nicht.
Er lachte weiter, lief los und ließ sie einfach hinter sich.
Seine Sicht schwamm, durch den Regen und vor Überanstrengung, er stützte sich an der Wand eines Gebäudes ab. Keuchend spuckte er Blut und fuhr sich mit dem klatschnassen Ärmel über den Mund. Seine Beine knickten unter ihm weg, er fiel zu Boden und blieb dort einfach liegen.
Das Wasser rauschte in seinen Ohren, er war vollständig durchnässt. Die Menschen gingen an ihm vorbei, einige sahen ihn mit angewidertem Blick an, doch er regte sich nicht. Zehn Minuten vergingen, ehe er sich aufsetzte, angelehnt, an die dreckige Wand des Gebäudes, und in die Ferne schaute.
Wortlos beobachtete er, wie die Passanten an ihm vorbeischritten. „Maaamaaa, ist das nicht der komische Typ von vorhin?", fragte ein kleiner Junge mit kurzen braunen Haaren. „Man zeigt nicht auf Leute, Finny", wisperte die Mutter und zog ihn hinter sich her, während der Junge ihm mit großen Augen nach sah.
So verging die Zeit, und Lupin saß da, von manchen Leuten wahrgenommen, von manchen ausgeblendet und von wieder anderen bewusst ignoriert.
Ein älterer Herr warf ihm im Vorbeigehen ein Ein-Pfund-Stück vor die Füße. Lupin lachte frustriert auf. So weit war es also schon gekommen. Leute hielten ihn für einen Wahnsinnigen oder einen Bettler.
Mühsam rappelte er sich auf, noch immer überschwemmte der Regen die Gehwege, durchtränkte die Kleidung der Menschen. Lupins Mantel war schwer, in seinen Schuhen stand Wasser. Für einige Sekunden blickte er gen Himmel und genoss das Gefühl der Tropfen, die über sein Gesicht glitten, als schwemmten sie jegliche Sorgen mit fort.
Dann schlurfte er die Straße entlang, auf der Suche nach einem weniger belebten Ort, von dem er disapparieren konnte. Erst jetzt bemerkte er, wie kalt ihm war, doch wagte er es nicht, vor den Augen all der Passanten seine Kleidung trocken zu zaubern. Er stakste mühselig voran, Schritt um Schritt, kraftlos. Doch zumindest die Wut war verebbt. Wut auf sich selbst, Bellatrix, Voldemort, die Todesser, Sirius, Molly, Gott, oder wer auch immer das Schicksal lenkte, Wut auf alles und jeden. Es hatte gut getan, ihr Luft zu machen.
Er schmunzelte. Die Leute mussten ihn wirklich für verrückt halten, nach dem Auftritt, den er vorhin an den Tag gelegt hatte, doch zu seiner Überraschung kümmerte es ihn noch immer nicht. Im Gegenteil, es amüsierte ihn fast.
„Ja, Sirius, James... Aufmerksamkeit ganz nach eurem Geschmack, was? Scheint, als brauchen wir immer so jemanden in unserer kleinen Vereinigung."
Er lächelte leise.
„Zumindest seid ihr beide nun wieder zusammen. Tatze... Krone... wenn ich zu euch komme, erwarte ich, dass ihr den Himmel unter eurer Kontrolle habt, verstanden?"
Noch war Lupin nicht bewusst, dass er den ersten Schritt gemeistert hatte, um den Tod von Sirius zu überstehen – und auch nicht, dass hoch über ihm zwei vertraute Gesichter behutsam auf ihn hinab blickten und ihm ein stolzes Lächeln schenkten.
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Frage an EUCH: Welche HP-Youtuber schaut ihr so? :D
Und da wir gerade beim Thema sind: Ich hab auch nen HP-YT-Channel und mittlerweile vier Videos, wobei zwei über die Rumtreiber handeln - wer Lust hat, kann gerne mal vorbeischauen ^-^/ https://www.youtube.com/channel/UCTojDzUbgFFb3P3W1ezotNw
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Weil du mich zum Menschen machst
FanfictionRemus Lupin X Nymphadora Tonks. Als Remus Lupin im Kindesalter mit Lykanthropie infiziert wurde, änderte sich sein Leben schlagartig: Er musste sich fortan damit abfinden, sein Leben als Monster, als Ausgestoßener der Gesellschaft zu fristen. Nie...