So feinfühlig wie ein Troll beim Seilspringen

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Dass Sirius, nun, da Harrys Abreise immer näher rückte, häufiger unter Anfällen von Misslaune litt, machte Lupins Situation auch nicht einfacher. Zumindest konnte Arthur entlassen werden, was die allgemeine Stimmung zumindest ein wenig verbesserte.

Silvester kam und ging und die Abreise von Harry und den anderen stand vor der Tür.

Am Abend zuvor bat Sirius Lupin zu sich in das leere Wohnzimmer.
„Was ist los?", erkundigte sich der Werwolf mit erhobenen Augenbrauen.
„Es geht um Harry und die Vision", erklärte Sirius und bedeutete Lupin mit einem Kopfnicken, sich zu setzen.
„Wie bereits erwähnt, hält Dumbledore es für unmöglich, dass Harry wirklich materiell dort und in der Schlange war – und ebenso wenig, dass er besessen ist. Deshalb ist er sich sicher, dass sozusagen eine geistige Verbindung zwischen den beiden besteht..."
„Bedeutet das nicht, dass alles, was Harry weiß, zu Voldemort durchdringen könnte?", fragte Lupin entsetzt. „Er ist ein hervorragender Legilimentor, doch bisher hat die Distanz ihn gehindert..." Sein Gesicht schien noch aschfahler zu werden als üblich. „Er muss unbedingt Okklumentik lernen – ich könnte es-"
„Dumbledore hat schon dafür gesorgt, dass er unterrichtet wird", erklärte Sirius ihm mit finsterer Miene, „und er wollte Schniefelus als Lehrer."
„Verstehe", antwortete Lupin knapp. „Ich weiß, dass du ihn nicht ausstehen kannst, aber das ist schon gut so. Severus ist in Okklumentik einfach weit besser als ich, mehr als die Grundlagen könnte ich Harry nicht lehren."
Sirius schnaubte verächtlich auf. „Du unterschätzt deine Fähigkeiten, Moony. Du könntest dich überall mit Schniefelus messen."
„Nun, nein, das könnte ich nicht", wehrte Lupin mit erhobenen Augenbrauen ab. „In Zaubertränke beispielsweise war ich gerade einmal durchschnittlich und auf mein Ohnegleichen kam ich nur, weil ich im Unterricht aufgepasst habe und meine praktische Prüfung ganz passabel war. Severus hingegen hätte eine bessere Note als ein ‚O' geschafft, wenn sie existieren würde."
„James, Lily und ich hätten das auch", antwortete Sirius zähneknirschend.
„Lily war Severus in Zaubertränken noch einmal etwas überlegen, daher zweifle ich das nicht an und von eurem Potential her hättet ihr es auch bewerkstelligen können, wie ich annehme. Bei mir war Ohnegleichen in jedem Fall eine Grenze. Das tut jetzt aber nichts zur Sache. Fakt ist, dass nur wenige Okklumentik besser beherrschen als Severus. Damit hat Harry wohl den bestmöglichen Lehrer gefunden und das ist wichtig für uns alle."
„Gerade du solltest wissen, dass man mehr als Fähigkeiten braucht, um ein guter Lehrer zu sein!", protestierte Sirius.
„Das mag stimmen, jedoch – Severus wird Harry vermutlich unter Druck setzen und möglicherweise kann er so viel schneller und besser lernen, als er es bei mir je könnte. Abgesehen davon, würde es sehr viele Umstände bereiten, wenn ich nach Hogwarts zurückkehren würde, nachdem das – über meinen Zustand bekannt geworden ist. Alles zu verschleiern wäre beinahe unmöglich – und überhaupt: Es klang, als sei die Wahl des Lehrers schon endgültig gewesen?"

Sirius sah sich mit zornfunkelndem Blick im Raum um und schwieg.

„Vergiss nicht, dass die Effizienz nun über dem Komfort steht. Dumbledores Entscheidungen sind wohlüberlegt. Dich im Schloss unterzubringen wäre absolut nicht machbar und auch mit mir wäre es schlechter als mit Severus. Dumbledore wird ebenfalls Gründe dafür haben, dass er ihn nicht selbst unterrichtet. Auch, wenn du das nicht gerne hörst, Tatze: Er wird sich für die richtige Möglichkeit entschieden haben."

~
Am nächsten Morgen hatten Tonks und Lupin die Aufgabe, die Hogwarts-Schüler bis nach Hogsmeade zu begleiten. Eigentlich war es ein sehr entspannter Auftrag, aber seitdem Lupin sich darüber im Klaren war, was er für Tonks empfand, hatte er das Gefühl, sein Herz lege es darauf an, gehört zu werden, so schnell und laut wie es schlug.

Dass er sich in weit mehr als Tonks' Aussehen verliebt hatte, zeigte sich daran, dass er sich selbst zu ihr hingezogen fühlte, als sie als große, ältere und in Tweed gekleidete Dame mit eisgrauem Haar auftrat.
Nach dem Frühstück, bei dem es einige den Orden betreffende Themen zu besprechen galt, machten sie sich auf den Weg und riefen den Fahrenden Ritter.
Obwohl Lupin sich eigentlich gerne in Tonks' Gegenwart aufhielt, war er froh, dass sie sich im Bus aufteilen mussten. Mittlerweile war es einfach anders. Diese eine Erkenntnis hatte alles zwischen ihr und ihm vollständig über den Haufen geworfen und wieder zur Normalität zurückzufinden erschien ihm schwieriger, als ein magisches 10000-Teile-Hogwarts-Puzzle zu lösen.

~
Am folgenden Morgen starrte Lupin geschockt auf die große des Tagespropheten, während Sirius gerade in einem Wutanfall die Stühle der Küche durch den Raum schleuderte und unentwegt schrie.

„DAS GIBT'S DOCH NICHT! DIESE RÜCKGRATLOSEN ARSCHLÖCHER! WOZU HAT DUMBLEDORE SIE DENN GEWARNT?!"

Auch Lupin war es unbegreiflich, dass Fudge nicht verstehen wollte, dass die Dementoren nicht mehr auf ihrer Seite standen. Infolgedessen waren zehn Todesser aus Askaban ausgebrochen – und einer von ihnen war Bellatrix Lestrange, Sirius' verhasste Cousine und jene Frau, die die Longbottoms in den Wahnsinn gefoltert hatte.

„WIE KANN MAN NUR SO VERDAMMT FEIGE SEIN? SO VERANTWORTUNGSLOS? SO IGNORANT!? Ich schwöre dir, für jeden Menschen, der durch die Hand von einem dieser SCHEISS-Todesser stirbt, werde ich Fudge und seine ganze Drecksbagage EIGENHÄNDIG zur Verantwortung ziehen! Da würd' ich Veritaserum drauf nehmen!!!"

Sirius' Stimmung war an den folgenden Tagen am Boden. Aufmuntern konnte ihn einzig Lupins Vorhersage, dass durch die klaffenden Lücken in der Geschichte möglicherweise immer weniger und weniger dem Tagespropheten wirklich Vertrauen schenken würden und die Menschen der Wahrheit einen Schritt näher wären. Als es tatsächlich so schien, als würden einige daran zweifeln, verhielt er sich nach und nach wieder normal.

~
Hinsichtlich Tonks gab es auch in den kommenden Wochen keine Anzeichen für Besserung. Im Gegenteil, Tonks schien besorgt um ihn zu sein, weil sie gemerkt hatte, dass er sich ihr gegenüber so anders verhielt, angespannter, abweisender.
Er schob es auf den Massenausbruch in Askaban, was nicht wirklich gelogen war, da er sich schon auf seine Stimmung auswirkte, allerdings in erheblich kleinerem Maße als diese andere Sache, die ihn tagein, tagaus, beschäftigte.

Doch den wahren Grund durfte sie nie erfahren.
Niemals.
Er würde es nicht ertragen, wenn sie ihn deshalb verabscheuen würde. Er wollte diese Gefühle doch so sehr ablegen, doch sie schienen ebenso stark an ihm zu haften wie der Dauerklebefluch, der das Portrait von Sirius' Mutter an die Wand heftete.

„Es kann so nicht weitergehen", murmelte Lupin an sich selbst gewandt und ging die Stufen zum Erdgeschoss hinunter. Er hatte keine Wahl – so unangenehm ihm das auch war, er musste mit jemandem darüber reden.
Sofort.

Langsam öffnete er die Tür zur Küche und blickte sich um. Außer seinem charmanten Mitbewohner, der zwar recht viele Erfahrungen mit Frauen, aber wenige mit der Liebe hatte, war niemand zugegen. Ohnehin, es gab eigentlich niemanden, an den er sich sonst wenden konnte, also hatte er keine wirkliche Wahl.

Lupin seufzte innerlich. Es war gut, wenn er es so schnell wie möglich hinter sich brachte.

Weil du mich zum Menschen machstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt