Inmitten klarster Nacht

1.4K 101 68
                                    

So sehr sich Lupin auch dazu zwingen musste – die nächsten Stunden blieb er in seinem Bett und dachte darüber nach, ob er diesen Schritt wirklich wagen konnte. Etwas in ihm schrie unentwegt, dass er direkt zu ihr gehen sollte, ein anderer Teil fürchtete, sie könne ihn nicht mehr wollen und ein weiterer flüsterte, dass er ihr all das nicht antun konnte, dass er alles nur noch schlimmer machen würde, wenn er ihr vermeintlich zu ihrem Glück verhalf.
Sein Entschluss geriet noch ein wenig ins Wanken, doch die neugewonnene Möglichkeit versetzte ihn zu sehr in Euphorie, als dass er den Gedanken an ihre gemeinsame Zukunft wieder verwerfen konnte. Andererseits...
Es war kurz nach Mitternacht, als er seine endgültige Entscheidung fällte: Er würde keine der beiden Alternativen wählen.
Am liebsten wäre er sofort zu Tonks gestürmt, um zu sehen, wie sie auf seinen Vorschlag reagierte, doch wusste er nicht, in welchem Zimmer sie schlief und darüber hinaus hatte sie am Tag wieder regulär gearbeitet und war demnach vermutlich schon am Schlafen.
Um sich anderweitig irgendwie zu beschäftigen, entschloss er sich für einen Spaziergang über die Ländereien. In Erinnerungen an die guten alten Zeiten.


Der Sichelmond tauchte die Landschaft in ein silbriges, geheimnisvolles Licht und die Sterne tänzelten strahlend durch den dunklen Nachthimmel.
Tonks lehnte an einer großen Eiche unmittelbar vor dem Schwarzen See, auf dem sich die Spiegelungen der Himmelskörper in unzähligen hellen Lichtern abzeichneten. Ihre Augen waren geschlossen und das Gras um sie herum raschelte fast lautlos.
Ihr war kalt, obwohl milde Temperaturen auf der Umgebung ruhten, aber es schien ihr auch viel mehr, als würde sie innerlich frieren. Jeder Gedanke führte sie zu einem anderen schmerzlichen Thema. Von der Ruhe, die sie auf Hogwarts nahezu nie erlebt hatte, fielen ihr die dutzenden Schüler ein, die bereits nach Hause gefahren waren, und über sie kam sie zu dem Tod Dumbledores und zu jenem Gespräch im Krankenflügel, und zu Sirius, der sich auch auf ihre Seite geschlagen hätte und über seinen Tod wieder zurück zu Remus, der wohl schon bald die nächsten waghalsigen Missionen annehmen würde...
Sie hatte so viele Menschen, die ihre Ansicht teilten, doch die einzige Meinung, die ihrer widersprach, war auch gleichzeitig die einzige, die etwas bedeutete.
Sie hatte keine Kraft mehr. Wie viele Rückschläge sollte sie – egal in welcher Hinsicht – denn noch einstecken?
Das Gras zu ihrer Rechten knisterte. Ihre schmalen Finger hatten schon ihren Zauberstab umgriffen, der auf dem Boden neben ihr leuchtete, als eine vertraute Stimme die Nacht durchbrach: „Tonks?"
„Bitte geh, Remus", sagte Tonks matt, ohne sich ihm zuzuwenden. „Ich kann es gerade nicht ertragen, in deiner Nähe zu sein. Ein weiterer Streit ist mir jetzt einfach zu viel. Ich bin ... nur noch müde."
„Gibst du mir fünf Minuten?", antwortete er leise. „Ich werde auch nicht schreien. Versprochen."
Einige Sekunden des Schweigens erfüllten die Stille, ehe Remus zu sprechen begann. „Ich weiß, dass ich mich in letzter Zeit nicht besonders erwachsen verhalten habe und dafür wollte ich mich entschuldigen." Er räusperte sich vernehmlich, ehe er mit heiserer Stimme fast flüsternd fortfuhr: „Aber bitte glaub mir, dass ich alles aus Überzeugung getan habe. Um deinetwillen."
„Natürlich", entgegnete Tonks und sah ihn mit leerem Blick an. „Es ist natürlich gut für mich, dass du den Tod unserem Glück vorziehst. Du machst es dir zu leicht." Sie schüttelte leise den Kopf und wandte sich dem See vor ihren Augen zu.
Remus setzte einige Male an, um etwas zu sagen, als könne er nicht formulieren, was in seinem Kopf herumschwebte. „Tonks – ich – du musst mir glauben, das würde ich nie, niemals tun!", sagte er eindringlich. „Ich brauchte nur... Abstand, ich..." Er fuhr sich mich der Hand langsam über seinen Nacken. „Auch meine Selbstbeherrschung hat Grenzen. Und um dich vor einem ... vor einem Monster zu schützen, fiel mir kein besserer Weg ein."
Tonks schwieg. Sie konnte nicht widersprechen. Fast zwei Jahre lang hatte sie versucht, ihn zu überzeugen, dass er nichts mit einem Monster gemein hatte. Und zwei Jahre hatte sie wohl gegen eine Wand geredet... oder den Panzer eines Ungeheuers.
„Ich kann nicht begreifen... wieso du das anders siehst. Ich weiß nicht, was ich an mir habe, das dich fesselt ... so sehr, dass du selbst nach beinahe einem Jahr noch immer nicht loslassen kannst. Vielleicht werde ich es nie verstehen."
Tonks lächelte matt. Wie konnte ein Mensch, der so intelligent war wie Remus, nur so blind vor seinen eigenen Stärken sein? Wie konnte er nur all das übersehen, was ihn so außergewöhnlich machte?
„Was ich aber sehr wohl verstehe, ist, warum ich dich all die Monate über nicht vergessen konnte. Und niemals vergessen können werde. Es fiel mir immer ein wenig schwer zu verstehen, wie Menschen so schnell davon reden, dass sie ihr komplettes Leben mit einem anderen teilen möchten, wie sie Bände für ihre gesamte Zukunft einfach so knüpfen können, obwohl es eine Entscheidung ist, die so unglaublich viel beeinflusst. Aber ich glaube ... jetzt ... kann ich es ein Stück weit begreifen."
Tonks spürte, wie sich eine Gänsehaut über ihren ganzen Körper legte und ihr Herz verräterisch laut hämmerte. Sie versuchte verzweifelt, den Sinn seiner Worte zu begreifen, doch das Kribbeln, das sich in ihrem Körper ausbreitete, vernebelte ihre Gedanken. Sie blickte verwirrt und erwartungsvoll zu Remus, doch er sah unverwandt auf den großen See, der sich vor ihnen erstreckte.
„Ich habe lange darüber nachgedacht, was das Richtige ist... und die Wahrheit ist – ich konnte es nicht herausfinden." Er lachte kurz auf und fuhr sich verlegen durch die Haare. „Wir haben jetzt ein Jahr hindurch versucht, getrennt zu bleiben ... vielleicht sollten wir zumindest einen ... einen Versuch wagen, um herauszufinden, ob... es anders besser ist. Eine Art... Beziehung auf Probe. Ganz langsam. Schritt für Schritt. Nur wir beide."
Zum ersten Mal wandte er seinen Blick vom See ab und sah ihr in die Augen. Obwohl es finster war und nur das Licht ihres Zauberstabes sie ein wenig erhellte, war der entschlossene, hoffnungsvolle Ausdruck unverkennbar.
„Du meinst...?", fragte Tonks und sprang auf. Mit fast zittrigen Schritten ging sie auf ihn zu.
„Wenn es für dich okay –", begann Remus, doch Tonks hatte schon ihre Lippen auf die seinen gelegt, zärtlicher als sie es je getan hatte, und diesmal waren es Tränen des Glückes und der Erlösung, die ihre Wangen hinabliefen. Tränen der Befreiung, in dem Bewusstsein, dass es nun endlich eine Chance gab – eine Hoffnung für die Zukunft – ein „Wir".

___________________

Frage an EUCH: Was mögt ihr an Tonks besonders?

Weil du mich zum Menschen machstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt