Tonks stöhnte genervt auf, als sie ihren Wecker klingeln hörte. Schon wieder war eine Nacht vorbei. Schon wieder viel zu früh. Wecker konnten von der Grausamkeit her wirklich fast mit Todessern konkurrieren.
Sie blinzelte einige Male verschlafen, schaltete das Foltergerät stumm und tapste ins Bad, um sich ihr Gesicht zu waschen. Besser.
Allmählich begann ihr Gehirn wieder zu arbeiten und sie wunderte sich, warum sie nicht ihren Schlafanzug trug.
Moment, war sie nicht auf der Couch im Grimmauldplatz eingeschlafen? Warum war sie dann in ihrem Bett aufgewacht?
Verschwommen erinnerte sie sich daran, dass sie irgendjemand nach Hause getragen hatte.
Vielleicht Remus? Oder Sirius? Irgendetwas sagte ihr, dass es Remus gewesen war, auch wenn sie sich nicht so recht erklären konnte, wie sie zu dem Entschluss kam.
Warum hatte ihr Wecker eigentlich geklingelt? Hatte sie im Halbschlaf wirklich noch daran gedacht, ihn zu stellen?
Na ja, jetzt hieß es erst einmal frühstücken, duschen, sich fertig machen und arbeiten. Heute Abend konnte sie ihre Erinnerungslücken immer noch füllen.~
„Ah, Tonks, da bist du ja!", flüsterte Sirius, als Tonks abends mit Verspätung am Grimmauldplatz eintraf. Sie trug ihre Haare sehr kurz, wie so oft, wenn sie von der Arbeit kam.
„Der gute Moony hat sich schon Sorgen gemacht!" Grinsend tätschelte Sirius Lupins Rücken.
„Ja ja, mein lieber Tatze, und du warst wie immer die Ruhe in Person. Wir leben in gefährlichen Zeiten. Insbesondere als Mitglieder des Phönixordens sind wir besonders gefährdet. Es ist nur natürlich, besorgt zu sein, wenn sich jemand verspätet".
Obwohl Lupins Stimme ruhig war und er sich aufrichtig bemühte, es zu verhindern, so konnte er den leicht vorwurfsvollen Unterton dennoch nicht verbergen.
„Tut mir Leid, Jungs, musste Überstunden machen; kam einfach nicht früher weg", wisperte Tonks zwinkernd und klatschte entschuldigend – und glücklicherweise leise – die Hände zusammen.
„Siehst du, ich hab's dir ja gesagt", entgegnete Sirius breit grinsend und stieß Lupin mit dem Ellbogen leicht an. „Auch ich bin davon ausgegangen, wie du weißt", seufzte er leicht genervt. „Aber wie ich hoffentlich nicht noch einmal zu erwähnen brauche, leben wir in gefährlichen Zeiten und zudem haben wir heute noch einiges zu tun."
„Kein Grund, hier gleich rhetorisch anspruchsvoll zu werden, Moony", lachte Sirius leise und kassierte einen verwirrten Blick von Tonks. Auch Lupin hob überrascht die Brauen.
„Ich hätte nicht erwartet, dass du dich daran noch erinnerst."
„Du hast uns doch damals dauernd klar machen wollen, dass unsere Aufsätze besser herüberkommen, wenn wir diese Stilmittel einbringen", entgegnete Sirius, während sie sich, nach einer flüchtigen Umarmung zur Begrüßung, bei der Remus sich absichtlich schnell wieder gelöst hatte, auf den Weg in die Küche machten und an den Tisch setzen.
„Ein richtiger Rhetorik-Fanatiker, unser lieber Moony", fügte Sirius mit süffisantem Grinsen hinzu. „Ich glaube, das eben hieß Bratpfannizio oder so."
„Praeteritio, Sirius, Praeteritio", erklärte Lupin, während er einen Teller mit Pfannkuchen auf den Tisch schweben ließ. „Und erstens hatte ich damals nicht wirklich eine Wahl, weil ihr euch schließlich geweigert habt, wirklich zu lernen, zweitens nutze ich die Stilmittel im Sprachgebrauch, wenn ich sie denn verwende, unbewusst und drittens ist meine Ausdrucksweise jetzt nicht von Belang, weil wir weit Wichtigeres zu tun haben. Ganz zu schweigen davon, dass du so ziemlich das unscheinbarste rhetorische Mittel verwendet hast, um dieses Thema aufzugreifen und allein diese paar Sätze schon weitaus signifikantere Stilmittel beinhalten. "
„- 'ne weitere Bräpanizio zum Beispiel – Und hey, ich hätte auch ohne die ganzen Stilmittel lauter O's bekommen!", erwiderte Sirius mit gespieltem Trotz.
„Außerdem könntest du der armen Tonks nach ihrer harten Arbeit zumindest beim Essen mal 'ne kleine Verschnaufpause gönnen. Schau, ihr fallen schon die Haare aus!"
„Die sind einfach nur kurz, du Idiot!", lachte Tonks, ehe sie sie blond und lang werden ließ.
„Und du glaubst, dich wie in deiner Schulzeit aufzuführen und ein Gespräch über Rhetorik zu führen, wird dafür sorgen, dass sich Tonks entspannt?", fragte Lupin amüsiert.
„Mit Sicherheit", entgegnete Sirius ernst. „Oh, ja, es könnte nichts geben, das mich brennender interessiert, als rauszufinden, was 'Bräpfann-was-auch-immer ist", warf Tonks ebenso ernst ein. „Siehst du, Kumpel", fuhr Sirius, der allem Anschein nach wohl endgültig wieder zu seinem Teenager-Selbst zurückgefunden hatte, stolz fort, „sie möchte es unbedingt wissen. Nun, verehrte Nichte zweiten Grades, als Brätpfannizio bezeichnet man -"
„Praeteritio", korrigierte Lupin ihn kopfschüttelnd, aber lächelnd.
„- Als BRÄTERIZIO bezeichnet man das Stilmittel, das ausdrückt, dass jemand etwas erwähnt, gerade indem er sagt, dass er es nicht erwähnt, in Moonys Fällen mittels ‚Ganz zu schweigen von' und ‚wie ich hoffentlich nicht noch einmal zu erwähnen brauche'."
Tonks prustete los, weil die ganze Unterhaltung einfach so furchtbar unsinnig und unangebracht schien, aber das wiederum brachte Sirius und sogar Remus zum Grinsen.
Auf irgendeine Weise tat es gut, sich wieder wie in den alten Zeiten zu fühlen, in denen sie sorglos über derartig Belangloses hatten plaudern können; es ließ sie für einen Moment vergessen, dass Harry noch immer auf seine Anhörung wartete, dass sie einen Auftrag hatten, dass Voldemort dort draußen lauerte, dass sie alle in Gefahr waren – sie konnten sich für einen Moment unbeschwert fühlen – und dafür war Lupin dankbar. Manchmal tat es einfach gut, „Kind" zu sein.
~
„Was ich noch wissen wollte, Remus", nuschelte Tonks, während sie den letzten Bissen ihrer mit Schokolade gefüllten Pfannkuchen-Rolle hinunterschlang, „hast du eigentlich gestern Nacht meinen Wecker gestellt?"
„Das habe ich. Aber so leid es mir tut, Tonks, wir sollten nun wirklich auf unsere Mission zurückkommen."
Den restlichen Abend verbrachte Tonks durchgehend in ihrer Zentaurengestalt, während sie mit Lupin versuchte, eine möglichst lebensnahe Konversation zu führen, wie sie unter Zentauren üblich gewesen wäre.
Sirius war positiv überrascht von ihrem Erscheinungsbild und auch, was die Wortwahl und Astronomiekenntnisse anbelangte, schlug sich Tonks gut.
Einige Male jedoch gab sie so für Zentauren untypische Dinge von sich, dass Lupin bezweifelte, dass sie ihre Tarnung auf diese Weise auch nur einen Tag aufrecht erhalten könnte.
Die ganze Sache behagte ihm nicht. Eine Mission von derartigem Ausmaß spontan auszuführen, war einfach Wahnsinn.
Dennoch – dieser Auftrag stand bereits fest und für einen Rückzug war es zu spät. Er konnte nur hoffen, dass Tonks wieder verlässlich sein würde, sobald es ernst wurde.
~
Tonks wälzte sich unruhig in ihrem Bett hin und her.
Ihr schien es, als sei es das hundertste Mal, dass sie ihren Blick zu ihrem Wecker wandte. Es war bereits nach zwei Uhr und dennoch konnte sie einfach nicht einschlafen.
Sicherlich wäre es leichter, wäre da nicht dieses drückende Gefühl in ihrer Magengegend. Nervosität.
In wenigen Stunden würde sie sich unter die anderen Zentauren mischen und von ihrer schauspielerischen Leistung würde vermutlich ihr Leben abhängen.
Zum ersten Mal wünschte sie sich, die Mission doch abgelehnt zu haben. Nein, es musste sein. Es war unfassbar wichtig und außerdem war sie nicht so feige, dass sie vor so eine Gefahr davonlaufen würde. Sie würde sich ihr stellen und die Situation meistern, so, wie sie es schon oft geschafft hatte.
Sie durfte nicht scheitern und sie würde nicht scheitern.
Aber wenn doch... Tonks schüttelte über sich selbst den Kopf. Was brachte es schon, sich darüber Gedanken zu machen?
Es ließ sich ohnehin nicht mehr ändern.
Es blieb ihr nur noch, alles zu geben.
~
Als Tonks am nächsten Morgen die Augen aufschlug, war sie sofort hellwach.
Noch immer nahm sie das drückende Gefühl in ihrem Bauch wahr. Seufzend setzte sie sich auf und machte sich fertig, ehe sie sich im Kopf noch einmal die Worte zurecht legte, von denen sie später Gebrauch machen würde und von denen der Erfolg ihrer Mission entscheidend abhing.
Hoffentlich würde alles gut gehen. Sanft schlug sie sich mit beiden Händen gegen ihre Wangen. Obwohl sie noch nicht lange im Orden war, wurde ihr bereits eine Mission von solcher Wichtigkeit übertragen. Die Mitglieder bauten auf sie, Dumbledore glaubte an sie.
Sie konnte nicht einfach nur hoffen, dass alles gut gehen würde.
Sie würde dafür sorgen.
~
Als sie im Grimmauldplatz ankam, war Elphias Doge bereits anwesend. Da er derjenige war, der die Zentaurenherde ausfindig gemacht hatte, würde er ihr noch alle Details, die er in Erfahrung hatte bringen können sowie die genaue Lage der Sichtung der Gruppe übermitteln.
Mit klopfendem Herzen betrachtete Tonks das Foto der Anagach Woods, das er ihr überreicht hatte. Von dort aus ein paar Minuten westlich waren sie das letzte Mal gewesen. Da Zentauren einigermaßen standorttreu waren, würde es wohl nicht allzu lange dauern, bis sie die Gruppe finden würde.
„Na, dann pack ich's mal", rief Tonks enthusiastisch aus, als Elphias geendet hatte und lief ins Treppenhaus.
„Remus! Sirius! Was macht ihr denn hier?!"
„Nicht so laut, Tonks!", zischte Sirius und erhob sich von der Treppenstufe, auf der er sich niedergelassen hatte.
„Tschuldige!", wisperte sie zurück und beobachtete mit zusammengekniffenen Augen das Bild von Sirius' Mutter, doch zu ihrer aller Erleichterung blieben die Vorhänge verschlossen.
„Wir sollten vorsichtshalber trotzdem in den Salon gehen", erklärte Lupin und schritt leise die Stufen hinab.
„Also, was macht ihr hier?", wiederholte Tonks, als sie die Tür hinter sich geschlossen hatten. „Ich musste mich doch von meiner Lieblings-Verwandten verabschieden." Sirius grinste.
„Oh, ähm, danke. Ihr hättet meinetwegen aber nicht extra aufstehen müssen".
„Übertreibe es nicht, Tonks", beschwor sie Lupin, ohne auf ihren Einwand einzugehen. „Du weißt Bescheid: Wenn es zu brenzlig wird, versuche, eine Ausrede zu finden, warum du weg musst und komm augenblicklich hierher, oder appariere sofort, wenn es die Situation erfordert."
Tonks nickte. Wie immer, wenn es um etwas wirklich Wichtiges ging, raste ihr Herz, doch ihr Kopf war seltsam klar.
„Viel Glück", ließ sich Sirius mit ein wenig Eifersucht in der Stimme verlauten.
„Hey, soll das heißen, dass du kein Vertrauen in meine Fähigkeiten hast?", neckte Tonks ihn, um die Stimmung etwas aufzulockern.
„Natürlich, immerhin bist du mit mir verwandt", lachte Sirius und umarmte Tonks zum Abschied.
Lupins Kehle war trocken, als auch er Tonks in die Arme schloss.
Dieses Mal nahm er ihren Geruch kaum war. Er spürte lediglich das nagende Gefühl der Angst weiter in sich aufkeimen.
Was, wenn etwas schief gehen würde?
Was, wenn er Tonks nie wieder sehen würde?
Er schloss kurz die Augen, um seine Gedanken zu sortieren.
Er durfte nicht auch an ihren Fähigkeiten zweifeln. Und wenn etwas nicht nach Plan laufen sollte, konnte sie immer noch fliehen.
Ja, die Mission war nicht ungefährlich, aber sie beide waren schon in weitaus brenzligeren Lagen gewesen. Doch wollte die Sorge einfach nicht von ihm ablassen. Er zwang sich, Tonks loszulassen und blickte sie ernst an.
„Sei vorsichtig, Tonks."
„Wird schon schiefgehen!" Sie zwinkerte und verließ den Raum ohne ein weiteres Wort des Abschieds.
Auch, als Tonks den Grimmauldplatz schon verlassen hatte, starrte Lupin weiter mechanisch auf die Eingangstür.
Ja. Tonks würde das Unterfangen schon gelingen. Jegliches Unbehagen war unbegründet. Ganz bestimmt.___________
Danke für jeden Kommi, Stern und alles andere! <3
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Weil du mich zum Menschen machst
FanficRemus Lupin X Nymphadora Tonks. Als Remus Lupin im Kindesalter mit Lykanthropie infiziert wurde, änderte sich sein Leben schlagartig: Er musste sich fortan damit abfinden, sein Leben als Monster, als Ausgestoßener der Gesellschaft zu fristen. Nie...