In erbitterter Schlacht

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Er hatte so viele Tode zu verantworten. War es nicht besser, wenn er sein Schicksal einfach akzeptierte? So sehr er sich auch bemüht hatte, seine Hände waren voller Blut. Schlussendlich blieb er doch... ein Monster. Und was gab es für einen passenderen Tod, als durch die Hand eines anderen Monsters?
‚Tut mir leid', dachte er, ‚aber es ist besser so. Früher oder später hätte ich euch alle... hätte ich dich...' Das strahlende Bild einer lachenden, fröhlichen Tonks nahm seine Gedanken ein und erfüllte ihn noch ein letztes Mal mit der Wärme, die in ihrer Gegenwart so selbstverständlich geworden war, die er in den vergangenen Monaten mit aller Kraft unterdrückt hatte. Er machte einen Fehler nach dem nächsten und um nichts in der Welt könnte er es wiedergutmachen, auch ihren Tod herbeigeführt zu haben. Um nichts auf der Welt...
Dunkelrotes Blut übermalte ihr Lachen. Für den Bruchteil einer Sekunde war ihr Gesicht von Schock gezeichnet. Dann fiel sie reglos zu Boden. Tot. Des Lebens beraubt. Seinetwegen. Wenn er nur die Macht hatte, es zu verhindern... und er konnte es, wenn er ein letztes Mal kämpfte - gegen sich selbst ... seinen Überlebenswillen...
Das Blut verschwand und schon zeichnete sich auf ihrem Gesicht ein letztes Lächeln ab. Ein Abschiedslächeln.

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‚Du ahnst nicht, wie sehr du mein Leben bereichert hast. Das werde ich dir nie vergessen. Lebe wohl... Tonks.'
Er wusste nicht, ob es im Angesicht des Todes jedem so erging, ob seine Sinne durch irgendetwas benebelt waren oder ob er sich alles nur einbildete, doch mit einem Mal schien der Kampflärm völlig gedämpft. Alles drang zu ihm wie durch einen Schleier, und die Welt vor ihm verschwamm zu einer dichten Wand aus weißem Nebel...

Langsam kam ihm die Frage in den Sinn, ob Menschen den Tod selbst vielleicht gar nicht miterlebten, ob der Geist, kurz bevor es soweit war, den Körper verließ und nur die Hülle noch in einem letzten Schrei verkündete, dass sie einst gelebt hatte... vielleicht war sterben ja... wirklich so friedlich.

Das gleißende Licht schien ihn zu streicheln und vor dem Kampf zu beschützen. So ruhig... so zärtlich...

„Remus!"

Die Silben drangen zu ihm, klar und unfassbar rein. Ein Wort, fast geflüstert und doch so vernehmlich und stark, als würde ein Herz singen. Der Klang erfüllte ihn und schenkte seiner Seele Kraft.
Das Weiß des Schleiers wurde von leuchtendem Rot zerrissen, und plötzlich dröhnte der Kampfeslärm wieder in voller Lautstärke, und seine Sicht klarte auf, und Greyback entkam um Millimeter einem smaragdgrünen Fluch aus dem Nichts...
Remus begriff nicht, was geschehen war, wieso allein ihre Stimme ihn hatte erreichen können, wie ein einziges Wort all seine Stärke zurückbringen konnte, ihm klargemacht hatte, dass man ihn noch brauchte, dass er mehr helfen als schaden konnte, doch in Windeseile war er wieder voll im Kampfgeschehen. Er sah sich kurz um, um einen Überblick zu bekommen. Für einen Sekundenbruchteil fanden seine Augen Tonks, und sie lächelte ihm zu, ehe sie einen der Todesser mit einigen geschickt platzierten Flüchen davon abhielt, die Treppe hinauf zu eilen.
Er sah, wie Minerva die Geländer des Turmes in unzählige zischelnde Schlangen verwandelte und wie Ginny die Treppe einer Rutsche weichen ließ, doch dann war er gezwungen, seine volle Aufmerksamkeit wieder auf Greyback zu richten, der bedrohlich auf ihn zukam, diesmal jedoch mit erhobenem Zauberstab und einem Blick in den Augen, der keinen Zweifel daran ließ, welchen Fluch er einsetzen würde...
Grüne Lichtblitze sausten umher, von Greyback und von nirgendwo, verfehlten Lupin nur um Zentimeter, doch es war nur wichtig, dass sie es taten. Dennoch konnte auch er nicht treffen, Greyback parierte die Flüche so schnell, als seien sie eine leichte Übung, kämpfte unerbittlich wie eine wilde Bestie, die nicht kleinzukriegen war... Hatten sie in dieser Schlacht eine Chance?

Die Zauber knisterten in der Luft und erhellten die Finsternis, während der Kampf unentwegt voranschritt. Tonks kämpfte mühevoll gegen Yaxley, der so unerbittlich Flüche auf sie abfeuerte, dass sie immer weiter zur Treppe gedrängt wurde, hin zu den Schlangen.
Einige weiterer Lichtstrahlen schossen auf sie zu und sie wich instinktiv aus, doch erst, als sie Rons Warnung hörte, wurde ihr klar, was der eigentliche Zweck dieser Zauber gewesen war: „Passt auf, Leute, die Treppe steht wieder!"
„LOS!", befahl Yaxley, beschwor geblichen Nebel herauf und durchdrang mit drei anderen die Blockade, bevor Tonks es hätte verhindern können. Die Schwaden verschwanden in Sekundenschnelle, was, wie Tonks vermutete, wohl ihrer alten Verwandlungslehrerin zu verdanken war, als sie zum ersten Mal im Getümmel der Schlacht die Gestalt wahrnahm, vor der sie sich so viele Nächte gefürchtet hatte: Fenrir Greyback. Ihr Zauberstab erzitterte vor Wut, als sie sein blutverschmiertes Gesicht sah und ihre Gedanken überschlugen sich, Bilder von Jay und Remus, und all das Leid, das er ihnen und ihr angetan hatte...
Nach all den Jahren sah sie sich dem Mann gegenüber, durch den sie um jeden Preis Aurorin hatte werden wollen – der das Leben ihres langjährigen Schulfreundes so jäh und endgültig beendet hatte, brutaler, als sie es sich je ausmalen hätte können... der Remus das Fleisch aus dem Körper gerissen hatte...
Ihr wurde abwechselnd heiß und kalt, als sie an die fürchterliche Wunde im Winter dachte, und an Jays zerfetzte Leiche. Eine Woge reinen, herzzerfressenden Hasses überkam sie, und sie richtete ihren Zauberstab auf den rennenden Werwolf und schrie zum ersten Mal in ihrem Leben: „AVADA KEDAVRA!"
Ein hauchdünner grüner Strahl erfüllte die Finsternis und zischte der Treppe entgegen, um sich schließlich im Nichts zu verlieren.
Sie sah, wie einer der Todesser eine Barriere um die Treppe heraufbeschwor, wie Neville sich dagegen warf und zurückgeschleudert wurde, doch für einen Augenblick fühlte sie sich wie benommen. Es hatte nicht gereicht. Ihr magisches Talent oder ihr Hass oder was auch immer die Schuld an ihrem Scheitern trug – es war nicht genug gewesen. Sie hatte die, die sie liebte, nicht rächen können....
„Sie haben die Treppe versperrt! Reducto! REDUCTO!", schrie Lupin über das Kampfgetöse hinweg und erweckte Tonks aus ihren Gedanken. Der Zauber hinterließ nicht einmal ein kleines Loch. Eine Schar aus Lichtern prallte auf die schwärzliche Barriere, doch nichts konnte etwas bewirken.
Unter den Attacken der verbliebenen Todessern waren sie gezwungen, sich wieder den Kämpfen zu widmen, und obwohl vier nach oben gegangen waren, gab es unten noch fünf weitere, die nun, da sich die Zahlen ausgeglichen hatten, umso verbissener kämpften.
Hinter einem braunhaarigen Todesser mit dunklen Augenringen, den Tonks mühevoll in Schach hielt, sah sie, wie sich eine dunkle Gestalt mit wehendem schwarzen Umhang und gezücktem Zauberstab näherte – Snape.
Verstärkung, genau zum passenden Zeitpunkt, dachte Tonks. Doch wider Erwarten griff er die Todesser nicht an, sondern rannte geradewegs an ihr vorbei, durch die Barriere, als wäre sie nicht da und die Treppen hinauf.
Sie sah, wie Remus es ihm gleich tat, doch er wurde sofort zurückgeworfen und schlug hart auf dem Boden auf.
„Remus!" Tonks unterdrückte den starken Impuls, zu ihm zu laufen, weil der braunhaarige Zauberer sie erneut attackierte. Er war viel besser, als Tonks es erwartet hatte, obwohl er doch ein namenloser Zauberer war, kein bekanntes Gesicht – doch wohl in den Vierzigern und somit viel erfahrener als sie...
Die junge Aurorin verlor tatsächlich an Boden, als plötzlich unter einem ohrenbetäubenden Knall die halbe Decke in sich zusammenstürzte. In einem Sekundenbruchteil gelang es Tonks nach vorne zu hasten, um von den herunterfliegenden Teilen nicht erschlagen zu werden.
Die Wucht des Aufpralls wirbelte den Staub auf und behinderte die ohnehin schon erschwerte Sicht noch zunehmend. Für einen Moment herrschte Stille.
„Ups", sagte schließlich eine Stimme, die Tonks als die Rowles erkannte. Sie wollte ihm schon einen Schockzauber entgegenjagen, ungeachtet ihres eingeschränkten Sichtfeldes, doch eine weitere Person überging das Schweigen, das auf ihnen lag: „Hey, Leute – üm... ich glaube, die Decke hat die Barriere mit eingerissen!"
Alle Blicke, die sich soeben auf Ron gerichtet hatten, fuhren herum und tatsächlich, die schwarze halbdurchsichtige Wand vor den Stufen war verschwunden.
Tonks hastete sofort los, doch oben an der Treppe regte sich jäh etwas – Snape hastete mit dem jungen Malfoy die Stufen hinunter, der – warum auch immer – ebenfalls dort oben gewesen war, und drei der Todesser waren dicht auf ihren Fersen...
Der Plan, Snape und Malfoy ein wenig Zeit zu verschaffen, indem sie die Todesser durch einen Zauber aufhielt, schlug allerdings fehl, als der riesenhafte Rowle die staubige Luft wieder mit Todesflüchen erfüllte. Obwohl alles in ihr nach Vergeltung schrie, wusste sie, dass es nun wichtiger war, Rowle zu stoppen. Doch als ihr Greybacks beißender Gestank allerdings in die Nase stieg, siegten ihre Rachegelüste über die Vernunft. Noch bevor der Werwolf wusste, wie ihm geschah, hatte ein violetter Fluch seine Seite gestreift – wenn sie den Todesfluch nicht wirken konnte und es vermutlich auch für die anderen nicht reichte, sollte ihn zumindest der schlimmste Fluch treffen, den sie beherrschte, auch, wenn er für den Moment noch nicht nützlich war.
Etwas in ihr gab sich damit nicht zufrieden, doch wenn durch ihre egoistische Sehnsucht nach Vergeltung jemand durch Rowle getötet würde, könnte sie sich das nie verzeihen. Sie sandte ihm einen Hagel an Flüchen entgegen, doch auch wenn er zurückwich und sie sich so kämpfend immer weiter von der Treppe entfernten, konnte er allen Zaubern entkommen...
Die Carrows und Greyback hatten sich unterdessen wieder ins Kampfgetümmel gestützt, und Tonks verlor vollends den Überblick, als auch Harry, aus dem Nichts erschienen, die Treppe hinunterpolterte.
Jemand, der Stimme nach Snape, rief etwas, doch es war zu laut, um es zu verstehen; ein Fenster, das von einem Todesfluch getroffen wurde, zersprang in unzählige Glassplitter, während Steine barsten und Schreie von Zauberern und Gemälden den Korridor erfüllten.
Tonks kämpfte noch immer gegen Rowle, der sie mit seinem unkontrollierten Stil allmählich in die Defensive zwang, während die Carrows an ihr vorbei rannten, ohne, dass sie etwas tun konnte... irgendwer unweit entfernt, ging zu Boden, und plötzlich traf ein weißlicher Lichtstrahl Rowle mitten im Gesicht. Er schrie vor Schmerz auf und rannte Alecto und Amycus hinterher, als Harry, der den Fluch offenbar ausgesprochen hatte, ihnen nachsprintete.
„Harry, komm zurück!", rief Tonks und Ginny, die unweit von ihr gekämpft hatte, stimmte mit ein, doch der Junge war schon außer Sichtweite.
Weitere Gestalten rannten an ihr vorbei, doch bevor sie begriffen hatte, dass es Todesser waren, waren auch sie um die nächste Ecke verschwunden.
„Sie entkommen uns! Schnell, lauft!", ertönte Lupins Stimme. Tonks setzte sich ruckartig in Bewegung, wie aus einer Starre erwacht, bog nach rechts ab – und knallte mit voller Wucht gegen etwas Hartes.
„Verdammt, was ist das?!", stieß sie wütend hervor und rieb sich die schmerzende Stirn. „Hier – geht es nicht – weiter!" Ihre Faust hämmerte gegen eine unsichtbare Wand.
Remus kam schlitternd neben ihr zum Stehen und betrachtete das, was wie ein normaler Korridor erschien, kritisch.
„Das könnte... kein Zweifel, der Simulatio-Zauber. Finestra!"
Es war, als würde der Korridor zuerst in winzige Stücke geteilt werden, als würde eine Glasscheibe zerspringen, ehe die Teile als Staub auf den Boden rieselten.
„Spiegelfalle", erklärte Remus, als auch Ginny Anschluss gefunden hatte und sie weiterrannten, „bildet die nicht lebendige Umgebung ab."
Ihre Schritte hallten in den Gängen wider, ihr Atem ging schnell, doch obwohl sie spätestens nach einer Nebelwand wussten, dass sie die Todesser nicht mehr einholen können würden, rannten sie weiter.
Tonks' Herz schlug bis zum Anschlag und sie fühlte sich, als könne sie nicht mehr atmen, nicht nur, weil sie jetzt bereits seit über fünf Minuten durch Hogwarts rannten. Dort waren Körper gelegen... Bill... und Neville...waren sie – konnte es sein, dass sie – Bills Gesicht war so zerfetzt gewesen... vielleicht war er mittlerweile...
Minervas Patronus sauste herbei. Die bläuliche Katze schwebte lautlos neben ihnen her. „Mr. Longbottom steht unter Schock, aber Poppy glaubt, dass er keine bleibenden Schäden davon tragen wird... Bill hat schwere Verletzungen davongetragen, wird es aber wohl überstehen... allerdings wissen wir noch immer nicht, wo Filius sich aufhält, Mr. Weasley sucht ihn gerade... Ms. Granger und Ms. Lovegood sind ebenfalls unauffindbar... außerdem... wurde über dem Turm das Dunkle Mal heraufbeschworen, doch der Turm war leer..."
Tonks wurde abwechselnd heiß und kalt. Bill war außer Lebensgefahr, aber dafür wurden drei Leute vermisst... hoffentlich ging es ihnen allen gut...
In den Portraits, an denen sie vorbeihasteten, herrschte das reinste Chaos. Mittlerweile war ein Teil der Schule wach, Kinder weinten und kauerten sich in Ecken, einige schrien, andere verstanden nicht, was vor sich ging. Gerade, als sie die Eingangshalle erreichten, hörten sie einen dunkelhäutigen Gryffindor schnaufend „Sie sind weg!", rufen.
„Was meinst du – meinst du mit: ‚Sie sind w-weg'?", fragte Tonks keuchend.
„Gerade – disappariert – was ist hier eigentlich los, wieso waren Todesser –?!"
Erleichterung mischte sich mit Enttäuschung. Sie alle waren entkommen, ohne, dass sie auch nur einen hatten schnappen können... noch immer wussten sie nicht, was ihr Ziel gewesen war – und vor allem – war Greyback fort...
„Bist du dir sicher, Dean?", fragte Lupin scharf, „sind die Todesser ganz sicher disappariert? Alle?"
„Ja", antwortete der Junge, „ich habe es gesehen, aber, Sir, was –?!"
„Wir müssen sofort zurück zu den anderen." Die Besorgnis, die in Minervas Stimme mitschwang, war nicht zu überhören.
„Was ist mit Harry?", wandte Tonks ein.
„Ich gehe zu ihm", antwortete Ginny sofort und hastete aus dem Schloss.

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Funfact: Der Zauber, von dem Lupin getroffen wurde, von dem er dann doch glaubte, dass er ihn verfehlt hatte, verstärkt wirkungsverzögert und partiell die Wahrnehmung. Alles erscheint wie durch einen Schleier, außer dem Teil seines Blickfeldes, an den man gerade denkt. Liegen die Gedanken bei nichts im direkten Blickfeld, bleibt die Sicht gänzlich vernebelt. Ähnlich funktioniert es mit akustischen Reizen etc.: Überdeckt sich die äußere Wahrnehmung, und sei es noch so unbewusst, mit einem Teil der inneren Gedanken, gelangt der Reiz so ziemlich als einziger ins Ohr des Getroffenen, ansonsten hört man nur sehr gedämpften Lärm des Umfeldes. Der Zauber kann das Opfer so lange kontrollieren, bis er durch ein „Finite" aufgelöst wird.

Frage an EUCH: Was mögt ihr an Sirius nicht?

Weil du mich zum Menschen machstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt