Die Zeit in Grauen

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„Greyback", hauchte Tonks und hatte keinen Zweifel an der Richtigkeit ihrer Antwort. Der Werwolf, durch den er so viel leiden musste. Der Werwolf, der kaltblütig Jay ermordet hatte...

„Ich hatte schon erwartet, dass er da sein würde, aber trotzdem war ich ein wenig geschockt, ihn zu sehen", erzählte Remus mit gequältem Lächeln. „Insbesondere, da die Festung nicht unbedingt der einladendste Ort ist. Aber es ging. Die ersten Stunden waren besonders schwer. Ich musste ihnen die Geschichte auftischen, dass ich einige heftige Auseinandersetzungen mit ein paar Menschen gehabt und einen beim vergangenen Vollmond daraufhin absichtlich zerrissen hätte... und so hätte ich mich dadurch und durch die ganzen schlechten Erfahrungen in der Vergangenheit dazu entschlossen, mich den Werwölfen anzuschließen. Natürlich alles ausgeschmückt und dramatisiert."
„Aber", wandte Tonks nachdenklich ein, „was wäre gewesen, wenn sie die Identität der Person hätten wissen wollen? Es wäre doch alles zusammengebrochen?!"
„Mal ehrlich, was erwartest du von mir?", fragte Remus sie neckend. „Ich habe natürlich recherchiert und bin auf einen Fall gestoßen, bei dem ein Mann nicht allzu weit entfernt von einem Wolf getötet wurde. Und Wölfe und Werwölfe unterscheiden sich wie du weißt nur in einigen Details. Ansonsten hätte ich mir jemanden suchen müssen, der einen unerklärbaren Tod ohne äußerlich erkennbare Einflüsse gestorben ist und hätte behauptet, es wäre der Todesfluch gewesen."
„Aber", sagte Tonks erneut, „was, wenn das eins ihrer Opfer gewesen wäre? Wäre dann nicht alles aufgeflogen?"
„Konnte es nicht", widersprach Remus mit gequältem Lächeln. „Sie ... nun – sagen wir, der Zustand, in dem ihre Opfer danach sind, zeigt unverkennbar, dass sie sie getötet haben. Außerdem meinte ich nicht allzu weit von hier. Sie haben ihr eigenes Jagdgebiet und das ist meilenweit entfernt."

„Und was dann?", hakte Tonks nach. Draußen wurde es immer finsterer.
„Sie waren misstrauisch – natürlich. Ich habe von Anfang an nicht verheimlicht, dass ich in Hogwarts Lehrer war und eine Zeit lang versucht habe, unter den Menschen zu leben. Wie auch? Es wäre ohnehin ans Licht gekommen und hätte meine Tarnung ziemlich aufgerissen. Jedenfalls habe ich versucht, mich dort einzuleben, aber... es war nicht einfach. Greyback kontrolliert sie sozusagen. Er schärft ihnen jeden Tag aufs Neue ein, wir... hätten ein Recht auf Fleisch. Frisches Fleisch. Bacon und Ei zum Frühstück waren jedenfalls nicht die Regel."

Tonks starrte Remus entsetzt an. „Du meinst –?"
„Die meisten hatten Wild aus der Gegend... aber besonders angesehene Werwölfe... oder zu bestimmten Anlässen... ja. Ich konnte den Anblick bis zum Ende nicht..."
Er schluckte schwer und schüttelte seinen Kopf. Tonks war sicher, dass er die furchtbaren Bilder vertrieb, die in seinem Kopf aufgeblitzt waren.
„Wie hast du es da so lange ausgehalten?", fragte sie ihn ehrfürchtig, doch auch ein Vorwurf schwang in ihrer Stimme mit. „Wieso bist du nicht sofort zurück?"
„Es ging schon irgendwie. Diese Zeit wird niemals zu den besten meines Lebens zählen... aber es war nicht alles schlecht. Es gab einige Werwölfe, von denen ich wusste, dass sie nur blieben, weil sie Angst hatten, dass Greyback sie zerfetzte, wenn sie die Festung verließen. Man konnte ihnen ansehen, dass sie viele der Menschen zwar verachteten, aber niemals einen Menschen fressen würden. Außerdem war da Quiece. Ich teilte mir mit ihm... sozusagen ein Zimmer. Er mochte die Festung und auch, wenn er selbst keine Menschen... wenn er nur Wild aß, er fand es nicht verwerflich, wenn man es tat. Aber zu mir war er immer sehr nett. Und er hat es wirklich schwer gehabt. Er wurde am selben Tag wie sein Vater gebissen, noch bevor er richtig denken konnte. Seine Mutter ist daraufhin mit seiner älteren Schwester abgehauen. Sein ganzes Leben hindurch wurde er verspottet und irgendwann... seine Mutter hat seinen Vater umgebracht und wollte auch ihn töten. Die einzige Liebe, die er nach seinem Biss je erfahren hat, war die seines Vaters und der war schließlich ebenfalls ein Werwolf. Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, wie ich geworden wäre, in dieser Situation..."
„Du wärst nicht...", setzte Tonks an, doch Remus unterbrach sie.
„Glaubst du wirklich? Zu einem Großteil machen uns unsere Erlebnisse zu dem, was wir sind. Denkst du, es gibt da draußen nette Todesser?"
„Was?", fragte Tonks verwirrt, „nette Todesser? Das ist doch schon ein Widerspruch in sich! Sie ermorden Leute, wie könnten sie da nett sein?"
„Das ist genau das, was ich meine." Remus lächelte milde. „Menschen neigen dazu, zu verallgemeinern. Du hast nur schlechte Erfahrungen mit Todessern gemacht, daher hältst du alle für böse. Viele sind ihnen nicht freiwillig beigetreten. ‚Schließe dich uns an oder wir töten deine Familie und alle, die du liebst.' In so einer Situation gibt es keine richtige Wahl. Und diejenigen, die ihre Familie schützen wollten, versuchen vielleicht noch, so wenig Leute wie möglich zu verletzen. Sie verachten sich zutiefst, aber kämpfen weiter auf der falschen Seite, zum Wohle derer, die sie lieben."
„Aber das ist...", setzte Tonks schockiert an.

Remus rang sich ein Lächeln ab. „Grausam, nicht wahr? Aber so ist diese Welt leider. Versteh mich nicht falsch, Tonks, viele sind auch Todesser aus Eigennutz, weil sie selbst den Tod fürchten oder, und das gilt besonders für den inneren Kreis, weil sie wirklich Voldemorts Ideale teilen. Und deswegen können wir auch auf niemanden Rücksicht nehmen und müssen alle mit voller Kraft bekämpfen. Aber das bedeutet nicht, dass ich einige von ihnen nicht verstehen kann."
„Und deswegen haben sie uns in der Aurorenausbildung vermutlich eingetrichtert, dass alle grausame Menschen sind... Natürlich wusste ich, dass einige aus Angst handeln, aber dabei habe ich eher an die Leute gedacht, die nicht selbst getötet werden wollten..."
Tonks schaute betreten zu Boden. „Also – ähm... was ist dann passiert? Auf der Mission?"
„Die meisten Tage liefen ähnlich ab... Hetzreden über die Menschen, jagen, essen, Gespräche über normale Dinge, Raufereien und wieder Hetzreden."
„Warte – musstest du auch –?"
„Wild jagen? Ja. Ich habe mich zwar auch von Pilzen und Beeren ernährt, und einfach getan, als wäre ich jemand, der generell nicht so viel isst, aber um etwas Wild kam ich nicht herum. Aber man gewöhnt sich dran, irgendwie. Leider habe ich aber nicht sonderlich viel an Informationen herausfinden können – und was das Rekrutieren angeht, das war ziemlich chancenlos. Greyback musste nur einmal mit dem vermeintlichen Recht der Werwölfe auf Blut und Menschenfleisch ankommen und schon waren all die Argumente, dass es auch Menschen gibt, die uns verstehen, wie weggeblasen. Ich habe es dann andersherum versucht, dass wir auf Voldemorts Seite auch nicht besser dran wären, und das hat merklich besser funktioniert, aber auch nicht gut. Ein paar wirkten aber überzeugt, denke ich."
„Das ist doch super!", rief Tonks aus, doch Remus wirkte frustriert. „Ich hätte viel mehr überzeugen müssen. Und wohl auch können. An Informationen hätte ich auch noch viel erfahren können, obwohl es nicht die beste Quelle war, da sich ja nur die wenigsten Voldemort bereits angeschlossen hatten. Das meiste, was ich erfahren habe, ist das, was wir schon vermutet hatten. Ihre Motivation und Einstellung und dergleichen."
„Aber trotzdem, Remus, du konntest einige davon abhalten, unsere Feinde zu werden! Jeder, den wir nicht bekämpfen müssen, ist bedeutsam!"
„Schon", murmelte Remus verbittert, „aber bedenke, dass wir nach der Mission mit den Zentauren damals schon enttäuscht waren. Dabei konnten wir wohl alle von Voldemorts Seite abhalten und einige sogar rekrutieren. Ich war Monate dort, und trotzdem..."
„Jetzt hör aber auf!", rief Tonks zornig, „das eine waren Zentauren, das andere Werwölfe! Das kann man nicht vergleichen! Wir wussten von Anfang an, dass die Werwölfe viel eher zu Voldemort überlaufen würden, sie sind viel grausamer als die Zentauren!"

Sie bemerkte das verletzte Gesicht des Werwolfs ihr gegenüber zu spät.
„Remus – ich – du weißt, wie ich das meine! Du bist nicht so! Ich konnte gerade so unbedacht reden, WEIL du für mich nicht dazu-"
„Schon gut, Tonks", sagte Lupin mit steinerner Miene. „Dann sind jedenfalls Gerüchte aufgekommen, ich wäre ein Spion, der im Widerstand kämpft, wohl, weil einige herausbekommen haben, wie eng ich früher mit Dumbledore in Kontakt stand. Ich konnte dem etwas entgegensetzen, aber Greyback, der mir von Anfang an argwöhnisch gegenüberstand, blieb natürlich misstrauisch. Er wollte, dass ich eine Art Loyalitätsprüfung ablege. Sie haben ein kleines Kind zur Festung verschleppt – und in einem Verlies eingesperrt – und am nächsten Tag sollte ich es..." Remus' Stimme brauch und Tonks schlug sich entsetzt eine Hand vor den Mund.
„Ich dachte, es sei mein Glück, dass viele von ihnen so sadistisch sind und auf Jagden stehen", fuhr Remus gequält fort, „ich hatte schon befürchtet, dass es auf so etwas hinauslaufen könnte und geruchsneutral verzaubertes Wildblut versteckt... ich habe die, die die Jagd sehen wollten, mit verschiedenen Methoden abgelenkt, vorbereitete Mechanismen und dergleichen... und dann habe ich, als ich die Gelegenheit hatte, einen Illusionszauber von... dem toten Körper des Mädchens gewirkt und das Wildblut verteilt... und so verzaubert, dass es wie Menschenblut roch..."
Remus schluckte schwer. Man konnte ihm Ansehen, was es ihm abverlangte, weiterzusprechen. Mittlerweile war die Nacht gänzlich hereingebrochen.
„...anfangs haben sie mir geglaubt, aber ich war naiv. Ich hatte nicht bedacht, dass sie einen Ortungszauber auf das Mädchen gelegt haben könnten. Kurz darauf haben sie gemerkt, dass sie in Wirklichkeit durch den Wald irrte und... ehe ich wusste, wie mir geschah..."
Er verstummte und raufte sich langsam die Haare.

Auch Tonks schwieg eine Weile. „Aber du lebst", sagte sie schließlich langsam und lächelte ihn zärtlich an. „Du hast es überstanden!"
„Darum – es geht nicht darum, ob ich lebe oder nicht!", rief Remus verzweifelt, „das Mädchen – weil ich nicht überprüft habe, ob ein Ortungszauber auf ihr liegt, haben sie sie – sie haben sie vor meinen Augen – ...es ist meine Schuld!"
„Aber du hast sie doch nicht getötet!", protestierte Tonks heftig, „es ist absolut furchtbar, was geschehen ist, aber du kannst nichts dafür, überhaupt nichts! Du hast schon so viel riskiert, damit du sie retten kannst, ohne dass du auffliegst, weil du so ein guter Mensch bist, du –"
„Verstehst du denn nicht, Tonks?! Ich habe meine Rolle nicht gut genug gespielt! Sie sind misstrauisch geworden! Wegen mir haben sie ein fünfjähriges Kind verschleppt und getötet! Es wird nie, nie wieder zu seinen Eltern zurückkehren, die wahrscheinlich krank sind vor Sorge und deren Leben zukünftig die Hölle sein wird, und ich bin nicht nur der Auslöser, ich hätte es auch noch verhindern können und bin gescheitert, und darüber hinaus bin ich auch noch aufgeflogen, ich habe so versagt, wie man überhaupt nur versagen kann! Ich bin verantwortlich, dass Maya nie wieder – was – was bin ich nur für ein Mensch?!" Remus schien nun tatsächlich mit den Tränen zu kämpfen.
„Der beste, den ich kenne", wisperte Tonks leise, „ein Mensch, der sich immer um das Wohl anderer sorgt, der für alle nur das Beste will und hilft, wo er nur kann, ganz gleich, wie es ihm geht. Ein Mensch, der glaubt, die Last der Welt schultern zu müssen und alle Schuld auf sich nimmt, wenn etwas schiefgeht, das er gar nicht verhindern konnte, weil es für jeden Menschen unmöglich ist an alles zu denken und perfekt zu sein. Und ein Mensch... den ich niemals aufgeben werde."
Tonks legte sanft die Arme um ihn. Er drückte sich mit bebendem Körper an sie.
„Was habe ich nur getan?", flüsterte er mit brechender Stimme, „was habe ich nur... ?!"
„Das Beste, was du tun konntest", antwortete sie leise. „Alles, was dir möglich war."

Eine Weile schwiegen sie, Arm im Arm, in der Stille der Nacht, in der Nähe des Anderen, die ihnen beiden Trost spendete, die sie nach langer Zeit endlich wieder die einnehmende Wärme der Geborgenheit spüren ließ, eine Erlösung ihrer Schuld, ihres Scheiterns.
Dann löste Tonks sich von ihm und strich sanft über seine Wange.

„Nicht", wisperte er kaum hörbar, als ihr Gesicht seinem immer näher kam.

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