Das Schicksal der Schuldgebung

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Es schienen Ewigkeiten vergangen zu sein, seit er das letzte Mal geweint hatte. Es war schon so lange her, dass es für jeden, der es noch nie miterlebt hatte, beinahe unvorstellbar sein musste, als passe es nicht zu ihm. Doch auch er war nur ein Mensch. Ein Mensch, der einfach nicht länger stark sein konnte.
Im Nachhinein hatte es ihm gut getan. Er fühlte sich befreiter.

„Es ist wirklich nicht deine Schuld", erklärte er sanft, als sie sich beide wieder beruhigt hatten. „Bitte mach dir keine Vorwürfe."
„Dann mach du dir auch keine", entgegnete Tonks fast trotzig.

Lupin lachte leise auf. „Das kommt wohl davon, wenn man auf der guten Seite steht, was? Jeder fühlt sich selbst verantwortlich, obwohl man wenn überhaupt nur einen winzigen Teil zu verantworten hat. Ich habe mitbekommen, dass auch Albus die Schuld auf sich nimmt, weil er Harry nicht darüber aufgeklärt hat, dass Voldemort ihn in eine Falle zu locken versuchte... und Harry wiederum wirft sich vor, dass er die Intrige nicht durchschaut und alle in Gefahr gebracht hat. Sogar Molly macht sich verantwortlich, weil sie nicht dabei sein konnte!"
Tonks runzelte die Stirn. „Das ist doch lächerlich!"
„Und eben so werden sie es auffassen, dass du dir die Schuld gibst", erwiderte Lupin schmunzelnd. „Wirklich, Tonks, du wirst niemanden finden, der dich verantwortlich macht. Es ist wohl unser Schicksal, uns selbst die Schuld zu geben, so unbegründet sie auch sein mag, obwohl wir sie viel mehr bei Voldemort und den Todessern suchen sollten. Schon alleine, weil man mit den Menschen interagiert und so Einfluss nehmen kann, wird man immer einen Faktor finden, für den man sich selbst verantwortlich machen kann. "
„Mhhhh", murmelte Tonks nachdenklich, „das gilt dann aber auch für dich."

„Nein, Tonks, bei mir ist das etwas Anderes", widersprach Lupin scharf, „ich bin sein bester Freund gewesen – ich hätte ihm klar machen müssen, dass er keinen einzigen Todesser auch nur ansatzweise unterschätzen darf, besonders nicht Bellatrix. Und ich hätte ihn dazu bringen müssen, von dem Bogen wegzugehen – ich hätte in sein Duell eingreifen sollen – eigentlich sogar schon in deines. Aber vor allem in seinem hätte ich die Zeit gehabt – als Albus erschienen ist, sind die restlichen Kämpfe unvermittelt zu Ende gegangen und ich habe Sirius' Duell einige Sekunden nur zugeschaut, tatenlos."
„Du bist wirklich unmöglich, Remus!", rief Tonks kopfschüttelnd und grinste.
Lupin sah sie verwirrt an.
„Erst haust du solche Weisheiten raus, um dich dann selbst davon auszunehmen! Nenne mir einen vernünftigen Grund, aus dem die Regel nicht für dich gilt – und nein, komm mir jetzt nicht mit ‚Das sind drei Gründe' oder wie viele es auch waren", setzte sie hinzu, als Lupin den Mund öffnete, „denn keiner von ihnen war auch nur ansatzweise standfest! Angenommen – ähm – Annie bringt Bertha um, einfach, weil ihr das Töten Spaß macht. Ist dann Caroline schuld, weil sie sich oft mit Annie gestritten, ihm beim Einkaufen die letzte Drachenleber vor der Nase weggeklaubt hat und sich selbst verteidigte, als Annie sie umbringen wollte? Hätte Caroline sich töten lassen und Annie nicht weiter gereizt, wäre Bertha vielleicht am Leben geblieben – also, ist Caroline jetzt schuldig oder nicht?"

„Das ist etwas Anderes", widersprach Lupin erneut.
„Ach und wieso?", fragte Tonks aufgebracht, „du hättest nicht mal sicher sein können, dass – das alles nicht passiert wäre, hättest du anders gehandelt! Man konnte Sirius noch so sehr einschärfen, dass er vorsichtig sein soll, es ist einfach nicht seine Art, sich daran zu halten! Dass es nicht möglich gewesen wäre, in mein Duell einzugreifen, muss dir selbst klar sein – und hättest du Sirius gesagt, dass er von dem Bogen weggehen soll, oder direkt Zauber auf Bellatrix geschickt, dann hättest du ihn vielleicht aus dem Konzept gebracht und er wäre trotzdem... - man kann einfach nicht sagen, wie es gekommen wäre, hätte man anders gehandelt, okay?! Mal ehrlich, Remus, du tätest gut daran, dich in deine eigenen Ratschläge miteinzubinden! Ach, und dass Sirius nicht wollen würde, dass du dir die Schuld gibst, ist wohl auch klar."

Lupin schwieg einen Moment. „Vielleicht hast du Recht."
„Nicht nur ‚vielleicht'", entgegnete Tonks, „ich habe Recht."
„Na gut." Lupin kam nicht umhin, über ihren kindlichen Trotz zu schmunzeln. „Danke."
„Ich muss dir danken, Remus", wisperte Tonks. „Mir geht es jetzt wirklich besser."

Mit seichtem Lächeln blickte sie zu ihm auf. Erschrocken stellte Lupin fest, dass ihre Augen ihn fordernd anblitzten, als erwartete sie, dass er sie...

Remus spürte den Kloß in seinem Hals... wie einfach es jetzt wäre, sie einfach zu sich zu ziehen und zu küssen und –

Er räusperte sich vernehmlich. „Nun, ich muss noch... Dinge erledigen. War schön, dass du da warst, Tonks." Mit schnellen Schritten ging er zur Tür und hielt sie ihr auf.

„Jaaa... war schön...", murmelte Tonks enttäuscht und verließ stumm den Raum.
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