Fallen

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„Das Ministerium ist gefallen. Scrimgeour ist tot. Sie kommen."

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Einige Augenblicke regte sich niemand.
„Remus!", keuchte Tonks schließlich und zog alarmiert ihren Zauberstab. Remus starrte nur reglos in die Ferne. Nach den Schocksekunden brach um sie herum nun das reinste Chaos aus; Menschen schrien, Stühle wurden umgeworfen, die Leute rannten durcheinander, riefen einander, disapparierten aus der Gefahrenzone oder wurden zur Seite gestoßen, wenn sie gerade im Weg standen.
„Remus!", wiederholte Tonks panisch und endlich erwachte er aus seiner Starre.
„Ich - Es könnten Ministeriumsleute dabei sein, Voldemort hat es jetzt unter Kontrolle. Du solltest apparieren, Dora, schnell!"
„Da kriegen mich keine zehn Thestrale zu! Ich bleibe bei dir, was auch immer du sagst! Protego!"
Remus tat es ihr nach, als zahlreiche Gestalten in Kapuzenumhängen in der Menge auftauchten und andere folgten seinem Beispiel.
„Wir suchen Harry Potter!", rief ein großer stämmiger Todesser in Ministeriumskleidung durch die Menge, den Tonks als den Henker Walden Macnair erkannte, „bleibt ruhig, euch wird nichts geschehen! Wir brauchen ihn nur für eine Vernehmung über den Tod Dumbledores!"
„Er ist nicht hier!", antwortete Remus laut.
„Davon würden wir uns gerne selbst ein Bild machen!", fuhr Macnair fort. „Wenn ihr euch nicht gegen das Ministerium stellt und uns suchen lasst, wird euch nichts geschehen! Also legt eure Stäbe weg, wir wollen euch nichts tun!"
Tonks warf Remus einen prüfenden Blick zu und konnte förmlich sehen, wie er scharf nachdachte. Wenn es jetzt zum Kampf kam – es war zahlenmäßig ziemlich ausgeglichen, da die meisten Gäste disappariert waren – würde es Verluste geben, auf beiden Seiten, doch es würde in den Sternen stehen, wer gewann. Vor allem stellte sich die Frage, wie die Ministeriumsleute reagieren würden, wenn die Todesser zu weit gingen und sich nicht an das hielten, was sie angekündigt hatten. Möglicherweise würden sie sie zurechtweisen – vielleicht aber auch zu sehr um ihr Leben fürchten. Die Chance, dass sie alle gesund aus der Sache herauskamen, war jedenfalls am größten, wenn sie sich einfach befragen ließen – im Notfall würden sie immer noch kämpfen können. Es würde nur kritisch, wenn man sie zwang, ihre Zauberstäbe abzugeben – hier blieb wieder nur auf die Ministeriumsangestellten zu hoffen, die bis jetzt gesehen hatten, dass sie sich einfach wie Gäste verhalten hatten, die angegriffen worden waren. Ein weiteres Risiko bestand darin, dass man sie, wenn sie kämpften, alle als Gegner einstufen würde. Das Ministerium würde also einen Grund sehen, sie festzunehmen. So wahnsinnig und erniedrigend es auch schien, sich zu ergeben schien die bessere Variante zu sein.
Die Aurorenausbildung hatte sich wirklich bezahlt gemacht – allmählich ging ihr die Analyse in Fleisch und Blut über.
In Remus schienen ähnliche Gedanken vorzugehen.
„In Ordnung! Ihr dürft ihn suchen! Bitte tut uns nichts, wir wollen hier nur eine Hochzeit feiern!"
Tonks' Herz schlug ihr bis zum Halse, als sie ihren Zauberstab wegsteckte und sich ins Haus führen ließ. Eines der französischen Mädchen, das zurückgeblieben war, drehte sich im Kreis, um zu apparieren, doch sie kam nicht von der Stelle.
„Aber aber", murmelte einer der Männer genüsslich, „wir werden doch wohl nicht weglaufen wollen? Ich dachte, ihr würdet ihn nicht verstecken? Oder hast du ihn doch gesehen? Wenn du mir die Wahrheit sagst, passiert dir nichts – und versuche erst gar nicht zu apparieren – wir haben eine Appariersperre über das Gelände gelegt."
Das Mädchen schüttelte verängstigt den Kopf und kämpfte mit den Tränen.
„Er ist nicht hier, ehrlich nicht!", rief Tonks ihm im Vorbeigehen zu, „da könnt ihr gern alle fragen!"
Ein großer schlaksiger Mann meldete sich zu Wort: „Bringt sie ins Wohnzimmer! Danach befragen wir sie einzeln! Wir werden ja sehen, ob sich ihre Informationen irgendwo widersprechen – so erfahren wir sofort, wenn einer nicht die Wahrheit sagt und wer sich gegen das Ministerium wendet, hat ernsthafte Konsequenzen zu fürchten! Und ihr da", fuhr er fort und wies auf einige der Angestellten, „durchsucht das Haus von oben bis unten! Lasst keinen Zentimeter außer Acht! Wir brauchen Harry Potter dringend!"
Die nächsten Stunden waren furchtbar anstrengend. Jeder der zurückgebliebenen Gäste wurde einzeln in die Küche gebeten und ausführlich verhört. Die Zeit schien einfach nicht vergehen zu wollen.
Tonks hatte stumm Remus' Hand gehalten und grübelte leise vor sich hin. Da sie bewacht wurden, hatten sie keine Möglichkeit, sich zu unterhalten, um Pläne zu schmieden. Nach einer Weile kam der Ruf eines Anstellten von oben, dass sie einen rothaarigen Jungen mit Griselkrätze gefunden hätten und Arthur bestätigte nur, dass es sich dabei um seinen Sohn handelte.
Die Leute wurden nach und nach aufgerufen und jeder schien sich vor seiner Befragung zu fürchten.
Auch Tonks zitterte leicht, als sie an der Reihe war.
Macnair, der zuvor bereits die Forderung ausgesprochen hatte, führte das Verhör durch und eine junge rothaarige Ministeriumsangestellte saß auf einem Stuhl daneben.
„Name?"
„Nymphadora Lupin", antwortete Tonks zerknirscht. Sie hatte eine Weile hin und her überlegt, ob sie nicht ein anderes Aussehen annehmen sollte, doch wenn die Todesser ihre Papiere verlangten, wäre sie aufgeschmissen.
„Ausweis?" Noch während Tonks ihre Tasche nach ihrem Geldbeutel durchstöberte, suchte der Todesser ihren Namen auf einer Liste. „Ah, hier. Nymphadora Lupin, geborene Tonks, verheiratet mit Remus John Lupin. Was machen Sie beruflich?"
„Ich bin Aurorin, ich arbeite im Ministerium, ich bin auf Ihrer Seite", erklärte Tonks, verzweifelt bemüht, sich ihre stille Panik nicht anmerken zu lassen.
„Geburtsdatum? Geburtsort? Adresse?"
Tonks war unglaublich froh, dass sie sich nicht doch ein anderes Aussehen verliehen hatte. Durch das Ministerium hatten die Todesser selbstverständlich Listen all ihrer Daten und würde sie lügen, würden sie es sofort merken. Dass ihre Todfeinde nun wussten, wo sie lebte, behagte ihr gar nicht, doch wenn sie sich eine sichere Zuflucht suchte, würde sie wohl eine Chance haben. Theoretisch zumindest.
„Sind Sie mit Harry Potter bekannt?"
„Ich habe ihn gelegentlich gesehen, aber das war es auch. Sie suchen ihn, weil Sie ihn zu Dumbledores Tod befragen wollen, richtig? Kann ich Ihnen helfen?"
„Helfen?", spottete Macnair, „helfen? Sie sind mit Blutsverrätern zugange und wollen uns helfen?"
„Ich gehöre zum Ministerium! Natürlich will ich helfen!"
„Hören Sie." Der Todesser stand auf, legte zärtlich eine Hand auf Tonks' Schulter und wisperte so leise, dass nur sie seine Worte verstehen konnte: „Ich weiß ganz genau, dass du gegen uns arbeitest. Wären hier nicht einige Ministeriumsleute, die von nichts eine Ahnung haben und die es zu täuschen gilt, wärst du schon lange tot. Merk dir das, bevor du mich das nächste Mal anlügst, oder du bekommst den Cruciatus-Fluch zu spüren, du kleine Werwolfsschlampe."
Wut loderte in Tonks auf wie Lava in einem Vulkan. Jede Faser ihres Körpers schrie danach, zu ihrem Zauberstab zu greifen und den Todesser zu verfluchen, dass ihm hören und sehen verginge, doch sie schwieg eisern, in dem furchtbaren Wissen, dass sie völlig machtlos war.
„Also", fuhr Macnair wieder laut und in geschäftsmäßigem Ton fort, „war Mr. Harry Potter am heutigen Tag hier?"
„Nein", antwortete Tonks ernst. „Und falls er da war, hab ich ihn nicht gesehen. Aber man kennt schon so viele Bilder von ihm, ich bin mir sicher, er wäre mir aufgefallen, wenn er hier gewesen wäre."
„Sind Sie sich da ganz sicher? Wenn Sie uns anlügen, werden Sie eine schwere Strafe erwarten." Macnair lehnte sich unheilvoll nach vorne und fügte leise: „und alle, die dir nahestehen" hinzu.
„Ich bin mir ganz sicher. Ich kann mir absolut nicht vorstellen, dass er da war."
„Komisch nur, dass wir vorhin mehrfach die Bestätigung bekommen haben, dass Harry Potter hier gesehen wurde. Sind Sie ganz sicher, dass Sie ihn nicht auch gesehen haben?"
Tonks' Herz verkrampfte sich. Wer hatte etwas preisgegeben? Wer hatte sie verraten? Und der Nachricht des Todessers nach hatten sie sogar mehrere Maulwürfe im Orden ... das konnte nicht sein ... das durfte nicht sein!
„Ich weiß, dass Sie mich eben angelogen haben, wir haben die Bestätigung ja bereits bekommen. Wenn Sie jetzt nachgeben, wird die Strafe für Sie weniger schlimm ausfallen. Also verraten Sie mir einfach, wo er jetzt ist."
„Ich habe ihn wirklich nicht gesehen!", beharrte Tonks ängstlich, während sie auf volles Risiko spielte, „ehrlich nicht!

Auch die folgenden Minuten wurden eine Tortur, doch der Tatsache, dass sie Tonks nicht festnahmen, entnahm sie, dass Macnair einen Bluff angewandt hatte und niemand Harry wirklich verraten hatte. Sie hatte richtig gepokert. Schließlich würde keines der Ordensmitglieder Harry verraten und soweit Tonks wusste, war sich sonst beinahe niemand darüber im Klaren, dass Harry anwesend gewesen war. Ein Verräter im Orden wäre theoretisch noch möglich gewesen, doch mehrere schlichtweg undenkbar. Remus würde eher sterben, als Harry zu verraten und auch die Weasleys waren viel zu loyal und aufopfernd für derartige Taten. Macnair hatte den Zusammenhalt des Ordens unterschätzt und seinen Bluff so durchschaubar gemacht. Tonks hoffte nur inständig, dass die anderen Mitglieder ebenso mitdenken würden.

Der Tag zog sich noch ewig. Erst am späten Abend durften sie gehen und Tonks atmete leise auf. „Haben wir es überstanden?"
„Ich fürchte nicht", antwortete Remus. Sie werden uns sicher beschatten. Aktuell sind wir wohl nirgends mehr sicher. Dazu haben sie uns allem Anschein nach mit einem Zauber belegt, durch den wir vorerst nicht apparieren können – das macht es fast unmöglich, sie loszuwerden –"
„Meine Eltern!", rief Tonks plötzlich aus, „was, wenn ihnen etwas passiert ist? Wir müssen zu ihnen!"
Ohne weitere Worte zu verlieren, rannten sie zur Besenkammer, riefen Molly entschuldigende Worte zu und sausten davon.
„Mum! Dad!", rief Tonks ohne Umschweife, als sie am Haus ihrer Eltern angekommen waren. Sie stürzte zur Tür und klingelte Sturm. „Seid ihr okay? Mum!"
Die Tür wurde langsam geöffnet. Andromeda stand im Rahmen, zitternd, zerschunden und mit erhobenem Zauberstab. „M-Mum – was – was haben sie –", fragte Tonks ängstlich, „geht es dir gut? Was ist mit Dad?"
„Dein Lieblingsspielzeug als Kind?"
„Mein Spielzeugbesen – Mum, was ist -?"
Andromeda schien nicht in der Lage, zu sprechen. Sie stürzte nur stumm einige Schritte nach vorne und warf sich Tonks in die Arme. „Ich bin so froh, dass du in Ordnung bist! Vorhin kamen Todesser! Sie haben die Schutzzauber – einfach durchdrungen und dann – sie haben Ted und mich gefoltert und – oh Schatz, ich bin so froh, dass es dir gut geht!"
„Gefol – Wo ist Dad? Geht es ihm gut?"
„Es geht ihm den Umständen entsprechend", erklärte Andromeda. „Er hat es schlechter verkraftet als ich ... er liegt auf der Couch ..." Sofort stürmte Tonks an ihr vorbei ins Haus und raste ins Wohnzimmer.
„Dad!"
„Dora ... Schatz", murmelte Ted mit schwacher Stimme. Er war leichenblass.
„Diese verdammten Mistkerle!", rief Tonks aufgebracht. „Ich werde sie – ich werde sie eigenhändig -!" Tonks ballte ihre Hand zur Faust. „Was wollten sie von euch?"
„Sie wollten wissen, wo Harry Potter ist, aber wir wussten es nicht. Dann haben sie uns gefoltert", murmelte Andromeda leise. „Wir haben jetzt neue Schutzbarrieren und ein Frühwarnsystem, wenn sie gerade im Begriff sind zu brechen, aber wir hätten nie gedacht, dass der Schutz nicht ausreicht ... es war so sicher ..."
Tonks' Eltern waren nicht die einzigen, denen es schlecht ergangen war. Sämtliche Schutzzauber der geheimen Häuser waren zeitgleich gebrochen worden und Dädalus' Haus hatte man abgebrannt. Glücklicherweise war er aber ebenfalls Gast der Hochzeit gewesen. Es stellte sich außerdem heraus, dass Remus mit seiner Vermutung Recht behalten hatte und jeder von ihnen fortan verfolgt wurde. Mit Pius Thicknesse, der als Scrimgeours Nachfolger vermutlich unter dem Imperius-Fluch stand, war das Ministerium endgültig in die Hände Voldemorts gefallen. Zu ihrer Sicherheit hatten sich Remus und Tonks vorgenommen, zunächst bei Tonks' Eltern wohnen zu bleiben, weil die Schutzzauber an Tonks' Haus nun mit Leichtigkeit gebrochen werden konnten, wohingegen das Frühwarnsystem im Elternhaus ihnen Schutz bot.
Im Tagespropheten erwartete sie am nächsten Morgen ein weiterer Schock: Neben der Schlagzeile, in der sie unter dem selben schlechten Vorwand nach Harry suchten, fand nun auch eine Registrierungskommission für Muggelstämmige statt – denn jeder, der nicht mindestens einen magischen Nachkommen vorweisen konnte, hätte angeblich seine Kräfte gestohlen. Das war so lächerlich, dass Remus tatsächlich kurz laut auflachte.
„Du musst fliehen, Dad!", beharrte Tonks nachdrücklich, „sobald man dich einfordert, musst du verschwinden! Das ist sicher nur ein Vorwand, um die Muggelstämmigen vollständig loszuwerden!" Ted stimmte widerwillig zu, während Remus' Gedanken bei all den Muggelstämmigen waren, die blindlings in den Hinterhalt laufen würden. Der Orden verstreute Warnungen so gut er konnte, doch viele hatten so sehr Angst, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen, dass sie sie nicht wahrnahmen.
Fallen über Fallen.
Die Zeiten, so finster sie waren, wurden noch dunkler.

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