Vollmond in Zweisamkeit

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Remus spürte, wie sein Herz heftig in seiner Brust schlug. Er saß im Wald, inmitten finsterer Nacht – und in nur wenigen Sekunden würde der Mond aufgehen. Es war der erste Vollmond, den er wissentlich mit Tonks verbringen würde. Die Befürchtung, sie könne irgendwie verletzt werden untergrub die Angst vor den bevorstehenden Schmerzen. Obwohl er sich drei Mal vergewissert hatte, dass der Odor animalis einwandfrei war, ganze vier Mal überprüft hatte, ob Tonks' Verwandlung in einen Vogel reibungslos funktionierte und er sich mindestens dutzendfach die Kreuze im Kalender angeschaut hatte, die zeigten, wann er den Wolfsbanntrank genommen hatte, war ihm nicht wohl bei der Sache. Niemals könnte er sich verzeihen, wenn etwas schief ginge... wieso hatte er sich auch überreden lassen?
Gerade, als er sich umentscheiden wollte, setzte die altbekannte Verwandlung ein und ließ ihn unter grauenvollen Schmerzen zum Werwolf werden; sie ließen seine Sicht verschwimmen und nahmen ihm jegliche Orientierung. Für einige Sekunden fragte er sich, wie er bei diesen Qualen nicht schon längst verrückt geworden war, ehe sie schließlich ihr Ende fanden und er wieder sehen konnte. Unzählige Gerüche strömten auf ihn ein. Blätter, Beeren, verdorbenes Obst, Kräuter – Wald. Und aus nördlicher Richtung...Blut.
Für einen Moment wurde er so stark, dass alle anderen Gerüche überdeckt wurden, Hatte der Trank nicht gewirkt?! Panik stieg in Remus auf... Tonks...
Dann begriff er, dass er gerade klar denken konnte und dass der Geruch nur so präsent schien, weil er penetrant war und er sich darauf konzentriert hatte. Er seufzte innerlich auf, ruhte kurz auf dem warmen Boden und machte sich schließlich auf in die entgegengesetzte Richtung des Blutgeruchs.
Er hatte sich wirklich zu viele Sorgen gemacht. Aber dennoch, wäre er ohne bei Sinnen zu sein zum Werwolf geworden, wäre er nicht zu Tonks gerannt, sondern in Richtung des menschlichen Blutes – Tonks' Blut, das sie zur Sicherheit an einen Baum ein Stück entfernt geschmiert hatten.
Er traf die weiße Hündin, die einer Wölfin so sehr glich, im Dickicht einiger Bäume. Sie schritt ihm erhaben entgegen, ihre Augen blitzten, als wolle sie ihm mitteilen, dass sie es doch gewusst hätte. Als sie ihn erreichte, schmiegte sie sich zärtlich an ihn. Sofort überkam Remus das Gefühl von Sicherheit. Sämtliche Zweifel, die sich in seinem Kopf noch hatten halten können, wurden davongefegt wie Laub im Herbstwind. An ihre Stelle trat die Gewissheit, dass dies der schönste Vollmond seit über einem Jahrzehnt werden würde.

~
Angewidert kaute Tonks ein purpurnes Blatt des Konstantiuskrautes und verspeiste gleich darauf einen Schokofrosch, um den bitteren Nachgeschmack loszuwerden. Sie schloss seufzend die schmale weiße Tüte, in der sich ein Dutzend weiterer Blätter befanden und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Solange sie kein Gegenmittel nahm, konnte sie die nächsten drei Monate hindurch nicht schwanger werden. Wenn es überhaupt zu einer Situation kam, die eine Schwangerschaft herbeiführen konnte.
Immerhin hatte sich Remus damit einverstanden erklärt, den Morgen nach dem Vollmond bei ihr zu schlafen – auch wenn er natürlich dermaßen geschwächt gewesen war, dass er nicht mehr als ein müdes Nicken zustande gebracht hatte.
Aber selbst wenn nicht – Vorsicht war besser als Nachsicht und auch, wenn sie sich allmählich wünschte, es würde mehr geschehen, würde sie Remus die Zeit geben, die er brauchte – immerhin waren sie erst etwa drei Wochen zusammen und diese drei Wochen waren so unglaublich schön gewesen, dass die Gedanken an das furchtbare letzte Jahr bereits zu verblassen begannen.
Als ihr Blick auf die Uhr fiel, musste Tonks unwillkürlich aufstöhnen. Sie war seit gerade einmal zwei Stunden auf den Beinen und der Tag war schon wieder zur Hälfte vorbei. Schlaflose Nächte verkürzten die Tage eben doch ungemein und gerade freie Tage gingen ohnehin viel zu schnell vorbei.
Aus einem spontanen Impuls heraus beschwor Tonks ein Klemmbrett mit einem Blatt und begann auf Muggelart zu zeichnen. Zwanzig Minuten und mehrere missglückte Wolfsbilder später entschloss sie sich, sich dem Ordensauftrag zu widmen, den sie noch zu erledigen hatte – dieses Nichtstun war auf seine Art unerträglich.
Leise schlich sie in ihr Schlafzimmer. Remus schlief blass aber zufrieden in ihrem Bett und schnarchte leise vor sich hin. Tonks schmunzelte, krabbelte neben ihn und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange, ehe sie sich vergewisserte, dass sie ihn nicht geweckt hatte und die hölzerne Schatulle aus der passwortgeschützten Schublade ihres Nachttisches zog.
Ihre Hand glitt fast automatisch zärtlich über die glatte Oberfläche des polierten Kästchens, das sie schon viel zu lange nicht mehr berührt hatte. Sie sollte wirklich mehr üben.

~
Die Sonne war bereits untergegangen, als Tonks die Schatulle ein wenig missgelaunt zurückbrachte. Sie öffnete langsam den knarrenden Schieber, als sich Remus plötzlich regte. Tonks erstarrte in der Bewegung. Ihr Herz schlug bis zum Hals und für einen Moment schien ihr Verstand auszusetzen. Dann legte sie das Kästchen in die Schublade und schob sie so unauffällig wie möglich zu.
„Morgen, Remus", murmelte sie und verfluchte sich selbst, weil ihre Stimme auffällig heiser klang. „Gut geschlafen?"
„Es würde mich sehr wundern, wäre es jetzt noch Morgen", antwortete Remus mit dem Anflug eines Lächelns.
Tonks war sich ziemlich sicher, dass er einen Blick auf die Box erhaschen konnte, aber äußerlich verriet nichts, dass es sich dabei nicht um ein schlichtes Schmuckkästchen handelte, und Remus stellte keine Fragen.
„Na gut, du hast mich", entgegnete Tonks grinsend. „Wie sieht's aus? Hunger?"
„Und wie."

~
Kurze Zeit später saßen sie bei dem, was für Remus ein Frühstück, für Tonks ein Mittagessen und für die restliche Bevölkerung in dieser Zeitzone ein Abendessen darstellte.
„Hast du schon Pläne für morgen?", fragte Tonks und schlürfte genüsslich einige Spaghetti hinunter.
„Ja. Ich habe womöglich eine Wohnung gefunden und wollte noch einige Details klären." Dass „Wohnung" eine sehr euphemistische Bezeichnung für das Etwas war, was wohl sein neues Zuhause werden sollte, verschwieg Remus gekonnt. Er sollte sich vielleicht über einige Zauber informieren, mit denen man Schimmel effektiv entfernen konnte.
Tonks spuckte den Johannisbeernektar, den sie eben getrunken hatte, quer über den Tisch und griff sich prustend an den Hals. „'as?"
Remus vergewisserte sich, dass die Liebe seines Lebens nicht vor seinen Augen krepierte und runzelte dann fragend die Stirn.
„Das hatte ich völlig vergessen!", fuhr Tonks fort, nachdem sie sich von einigen Hustenkrämpfen erholt hatte. „Der Grimmauldplatz ist ja jetzt nicht mehr so ganz sicher, nachdem wir alle Geheimniswahrer geworden sind! Merlin, ich wusste ja, dass du öfter im Fuchsbau bist, aber ich hatte völlig verpeilt, dass du jetzt dort lebst!"
Remus lachte amüsiert. Tonks sah immer noch schockiert aus.
„Aber warum willst du dir ne eigene Wohnung suchen? Zieh doch einfach hier ein!"
„Was?"
„Meine Güte, Remus, das ist mindestens eine Million mal günstiger, wenn du bei mir lebst! Und eine Million mal schöner", fügte Tonks lächelnd hinzu.
Remus starrte in ihre fordernden Augen, verzweifelt nach Worten ringend. „Aber – wir – wir sind doch erst –"
„über ein Jahr verliebt?"
„Ist das – ist das dein Ernst?", fragte Remus mit heiserer Stimme.
„Merlin, ich fasse es nicht, dass du mich das nicht einfach gefragt hast", stöhnte Tonks, „ich meine, es ist doch echt nicht so abwegig, dass du hier einziehst!"
Remus war ein wenig schummrig zumute. Eigentlich war es Wahnsinn, nach so kurzer Zeit zusammenzuziehen, aber andererseits waren da Tonks' Patronus und die Tatsache, dass er schon über einen Heiratsantrag nachdachte... und angesichts der Umstände...
„Das – wow!", rief Remus überwältigt und Tonks sah ihn hoffnungsvoll an. „Das heißt, du – ?"
„Ähm – ja – ich – ich schätze schon – wenn –"
Tonks sprang vor Freude quietschend auf und fiel ihm um den Hals. „Oh – oh Remus, das ist großartig!"
Unbändige Freude loderte in ihm auf und wieder fragte er sich, wie in den letzten Tagen nur ein Moment des endlosen Glücks auf den nächsten folgen konnte.

~
Remus atmete tief ein und kuschelte sich noch enger an Tonks. Es war einfach unvorstellbar. Er lag in ihrem gemeinsamen Bett ... ihrem gemeinsamen Haus... es würde zwar nicht einfach werden, finanziell seine Hälfte dazu beizusteuern, aber irgendwie würde es schon werden...
Momentan war er aber viel zu zufrieden, um sich darüber nähere Gedanken zu machen. Die wichtigste Sorge – Mollys Reaktion auf den sofortigen Umzug – hatte sich sofort verflüchtigt, als er ihr erzählt hatte, wohin er zog. Sofort war ihre strenge, vorwurfsvolle Miene einem strahlendem Lächeln gewichen. Sie hatte ihn mit einem „Oh, ich freu mich so für euch!" in die Arme geschlossen und seinen Dank für ihre ganze Hilfe mit einem „Iwo!" abgewinkt.
Noch immer konnte er nicht glauben, wie gut gerade alles lief. Vielleicht war Tonks für ihn eine Art Schutzengel, wie die anderen Rumtreiber damals, die nach all den Qualen eine gute Zeit einläuteten... und solange sie lebte, so lange sie bei ihm war, würden die Wunden der Vergangenheit weiter so schnell heilen... würde alles gut werden...
Er schmunzelte bei dieser kindischen Vorstellung und drückte Tonks einen Kuss auf die Schläfe. Wenn das Glück so dringend kommen wollte, würde er sich nicht wehren.

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Frage an EUCH: Was betrachtet ihr als die größte Schwäche von mir als Autorin?

Funfact: Konstantius kommt von „constans" und bedeutet „beständig". In diesem Fall bedeutet das, dass der innere Zustand in Hinsicht auf Kinder beständig bleibt – wer also nicht schwanger ist, wird innerhalb von etwa drei Monaten, je nach Größe des Blattes, nicht schwanger werden und wer schon schwanger ist, bleibt schwanger.

Weil du mich zum Menschen machstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt