Odor animalis

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Die folgende Nacht begann für Tonks alles andere als schön. Es war wieder ein Vollmond und damit wusste sie auch, was Remus für Qualen durchstehen musste.
Unbeschreibliche Qualen.
Obwohl sie von der letzten Nachtschicht noch immer sehr müde war und morgen wieder arbeiten müssen würde, saß sie auf ihrem Balkon und beobachtete den Vollmond, der in silbrigem Glanz im Sternenmeer aufging.

Sie blickte in die Ferne. Irgendwo dort draußen war Remus, sich windend vor Schmerz und schon in kurzer Zeit würde er wieder ein Werwolf sein.
Ein Trank würde darüber entscheiden, wie viel Menschlichkeit er noch in sich tragen würde. Tonks kam sich bei all dem so unfassbar hilflos vor. Wenn es Probleme gab, konnte man gewöhnlich auch irgendetwas tun, irgendetwas, und sei es auch nur, um sich besser zu fühlen.
Doch sie war machtlos.
Sie vermochte es nicht, seine Verwandlung aufzuhalten, oder zumindest seine Schmerzen zu lindern. Sie konnte ihm nicht einmal Beistand leisten, bei all den Schmerzen, die er durchstehen musste.
Wenn sie ihn doch zumindest begleiten könnte... so wie Sirius es früher getan hatte... es immer noch tun würde, wenn er das Haus verlassen dürfte...
So ohne ihn, musste Remus nicht unfassbar einsam sein? Die ganzen nächtlichen Stunden alleine und in Angst, Angst, trotz allem die Kontrolle zu verlieren, jemanden anzugreifen... wenn sie ihm doch nur Gesellschaft leisten könnte... sollte sie vielleicht auch ein Animagus werden? Wenn sie ihm die Zeit so erträglicher machen könnte, würde sie es ohne zu zögern tun. Doch – Moment! War das überhaupt nötig? Es war riskant, aber... sie musste es versuchen.
Mit schnellen Schritten eilte sie die Treppen hinab, verließ das Haus und apparierte zum Grimmauldplatz.

„Sirius!", rief sie, ohne Rücksicht auf das Portrait seiner Mutter zu nehmen, das sofort zu schreien begann und die anderen Bilder stimmten mit ein.

„Um Himmels Willen, Tonks, was willst du denn hier?", ertönte Sirius' Stimme von oben und sofort eilte er herunter, um mit ihr den Vorhang vor das Portrait zu ziehen.

„Meine Verwandlung, Sirius!", schrie Tonks, um die anderen Bilder zu übertönen, „ich verstehe nicht, dass ich nicht schon viel früher darauf gekommen bin! Ich müsste Remus doch eigentlich begleiten können, wenn ich mich in einen Hund oder so verwandle!"

„Ich weiß nicht, ob das funktioniert!", brüllte Sirius zurück, „schließlich bin ich dann ein Hund, wenn auch mit menschlichem Verstand und du – wärst du nicht immer noch ein Mensch, nur mit anderem Aussehen?"

„Ich weiß nicht genau!", rief Tonks über den Lärm hinweg. Das Portrait war nun endlich verstummt und sie belegten gerade die anderen Gemälde mit Schockzaubern, „ich kann dir weder sagen, wie das ganze Metamorphmagus-Zeug genau funktioniert, noch, wann ein Werwolf genau angreift oder nicht!"

Endlich kehrte wieder Ruhe ein und die beiden liefen eilends zu den Büchern nach oben.

„Es ist unbekannt, welche Faktoren einen Werwolf genau auf seine Beute aufmerksam machen, aber nur der Geruch ist es definitiv nicht, denn als der menschliche Geruch mit starkem tierischen überdeckt wurde und auch, als der Geruch durch Zaubertränke einwandfrei in tierischen verändert wurde, hat er sie immer noch angegriffen", erklärte Sirius. „Deshalb geht man davon aus, dass der Geruch entweder nicht von Belang oder nur ein Teil des Ganzen ist und ein anderer Faktor wäre wichtiger – das Aussehen. Das konnte man aber bislang nicht überprüfen, weil es für so etwas reichlich wenige freiwillige Versuchspersonen gab und eine Verwandlung von einem Mensch in ein Tier ohnehin für gewöhnlich nicht möglich ist, es sei denn-"
„ – es sei denn, man ist ein Metamorphmagus", vervollständigte Tonks den Satz. „Ja, für Animagi wäre das Experiment nicht möglich und unnötig, ihr habt ja auch den tierischen Geruch..."
„Ganz genau", bestätigte Sirius aufgeregt, „jedenfalls gab es seit den damaligen gescheiterten Experimenten die Theorie, dass der Werwolf trotz allem auf das menschliche Gehirn zurückgreift und somit einen Menschen nicht oder nicht nur durch die Nase als Menschen identifiziert, sondern auch über das Aussehen!"
„Mit anderen Worten: Wenn ich noch zusätzlich diesen Geruchs-Änderungs-Trank einnehme, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass er mich nicht angreift, selbst wenn Remus den Wolfbanntrank mal vergessen haben sollte oder er falsch gebraut wurde?"
„Genau so ist es!", stimmte Sirius zu.
„Super! Dann kaufen wir morgen das Buch darüber, wie man den Trank braut! Oh, ich hoffe, er ist nicht zu schwer..."
„Das Buch ist schon hier und der Trank, der übrigens ‚Odor animalis'heißt, ist definitiv braubar." Ein verschwörerischer Blick hatte sich in dieAugen des Rumtreibers geschlichen. „Schon vergessen, dass wir früher allesversucht haben, um bei ihm sein zu können?"
„Wie?", fragte Tonks perplex, „- ihr – ihr habt doch nicht etwa...?"
„Oh doch", antwortete Sirius mit grimmigen Vergnügen, „genau das haben wir getan. In der zweiten Klasse, kurz, nachdem wir davon erfahren hatten. Und es war echt verdammt knapp. Zu gut, dass sich Moony an nichts mehr erinnert..."
„Merlin", stöhnte Tonks, „das war absolut gefährlich – aber nichtsdestoweniger genial! Also hab ich deshalb noch nie in den Büchern vom Resultat gelesen – weil die Erkenntnis mit dem Geruch von euch kam!"
„Wir haben anonym unsere Ergebnisse veröffentlicht, damit andere – na ja, vielleicht davon abgehalten werden, es uns nachzutun. Vielleicht nicht so seriös, nicht seriös genug für die meisten Bücher jedenfalls, aber um Moony nicht auffliegen zu lassen und keinen Schulverweis für uns zu riskieren, ging es nicht anders. Jedenfalls – da wir den Trank schon in der zweiten nach ein paar Anläufen brauen konnten, wird es jetzt ein Kinderspiel, auch, wenn es zwei Wochen dauert. Ist vielleicht auf dem Niveau von der fünften oder so."
„Ihr konntet in der zweiten einen Trank mit einem Niveau von der fünften brauen?", fragte Tonks anerkennend.
„Nun, wir haben wie gesagt ein paar Versuche gebraucht, bis wir uns sicher waren, dass er perfekt ist – aber ja."
„Wahnsinn..."

~
„Eines noch", fiel Tonks es ein bisschen später ein, als sie den Odor animalis gerade mit 200 Millilitern Flubberwurmschleim eindickte, „es wäre vielleicht besser... wenn Remus davon vorerst nichts erfahren würde. Ich meine, es ist ein ziemlich geringes Risiko, weil ich ihn wahrscheinlich sogar begleiten könnte, wenn der Wolfsbanntrank nicht wirken sollte, aber es ist eben ein Risiko und das würde Remus nicht gefallen."

„Einverstanden", nickte Sirius. „Dann wird das vorerst ein Geheimnis, nur von uns beiden."

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