Von Angst, Schuld und Trauer

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Die folgende Zeit durch spürte Lupin zeitweise die quälende Leere in seinem Inneren, zu anderer Zeit wieder die nagende Angst, weil Tonks noch immer nicht aufgewacht war – wenn sie überhaupt wieder aufwachen würde. Zwar wurde ihm versichert, dass ihre Chancen gut stünden, aber im Laufe seines Lebens hatte er gelernt, dem Glück nicht zu viel Hoffnung entgegenzubringen.

Sirius fehlte ihm unbeschreiblich und nach wie vor verbrachte er fast jede Stunde in seinem Zimmer, das sich jetzt allerdings vorübergehend im Fuchsbau befand, weil niemand wusste, ob der Fidelius-Zauber des Grimmauldplatzes noch wirksam war.

Obwohl Molly ihm das Essen auf sein Zimmer brachte und er kein Wort mit irgendjemandem sprach, war er froh, dass er nicht alleine war. Die polternden Schritte, die im Fuchsbau ständig ertönten und das Lärmen das Ghuls im Dachgeschoss gaben ihm das Gefühl, nicht völlig verloren zu sein, nicht einsam und verlassen in dieser tristen Welt.

Die Tage zogen von dannen und Lupin verbrachte seine Zeit hauptsächlich mit lesen. Hin- und wieder übte er neue Zauber, die er in Büchern entdeckt hatte und in seltenen Fällen setzte er sich sogar zu den Weasleys an den Tisch. In Rücksicht auf seine Gefühle sprachen sie jedoch nicht mit ihm, was er ihnen hoch anrechnete.

Auch Molly, Bill und Arthur waren von Sirius' Tod schwer getroffen gewesen. Als Molly allerdings in einen erneuten Weinkrampf ausgebrochen war und gesagt hatte, alles sei ihre Schuld, weil sie nicht dabei gewesen war, legte Lupin ihr tröstend die Hand auf die Schulter und erklärte ihr, dass sie absolut nichts dafür könne.

Nachdem Lupin realisiert hatte, dass es auch den anderen nicht viel besser erging als ihm, beschloss er, dass es das Mindeste war, zu versuchen, ihre Situation ein bisschen angenehmer zu gestalten, sodass er fortan kräftig im Haushalt mithalf. Es tat ihm gut, so war er zumindest abgelenkt.

„Arthur! Remus!", kreischte Molly lauthals. Seit Sirius' Tod waren fünf Tage vergangen, doch Lupin war es wie eine halbe Ewigkeit erschienen. „Tonks ist aufgewacht!", fuhr Molly fort, „es geht ihr gut!"
Lupin, der gerade in ein Buch vertieft war, sprang augenblicklich auf und hastete raus in den Flur. „Wirklich, Molly?", krächzte er ungläubig. Er hatte die Hoffnung wirklich beinahe aufgegeben gehabt, den Aussagen der Heiler zu trotz.
„Wenn ich es doch sage!", rief Molly zu ihm hoch. „Ich gehe sie gleich besuchen, möchtest du mit?"
„Ich ähm –" Lupin verstummte. Ein Teil von ihm sehnte sich nach ihrer Nähe, doch hatte Tonks von alledem, was nach ihrem Duell mit Bellatrix vorgefallen war, nichts mitbekommen – sie würde wissen wollen, was passiert ist und damit kämen sie zwangsläufig auf das Thema zu sprechen, dass Lupin unbedingt meiden wollte, zu jung war der Verlust, zu frisch die Wunde. Und wenn sie schon Bescheid wusste, dann wollte sie sicher auch erst einmal alleine sein...
„- nein, schon gut, Molly, ich bleibe hier, ähm – weiß man denn sonst Genaueres? Ist sie wieder ganz gesund? Keine bleibenden Schäden?"

„Kerngesund!" Molly strahlte zu ihm herauf, mit freudig rosigen Wangen um ihre Grübchen. „Sie ist noch ein bisschen schwach, aber das legt sich sicher bald, du wirst sehen!"
Erleichterung durchflutete Remus, so stark, dass er sich einen Moment lang benommen fühlte. Tonks lebte! Ihr ging es gut!

Es war das erste Mal, seit Sirius' Tod, dass er etwas wie Freude empfinden konnte und für einen Moment hatte er das dringende Bedürfnis, zu der kugelrunden Frau herunterzustürzen und sie in die Arme zu schließen.

Doch dann drängte sich eine Erinnerung in sein Bewusstsein. Eine Erinnerung, wundervoll und schmerzlich zugleich, die er vor lauter Leere und Sorge völlig vergessen hatte: Der Kuss. Tonks hatte ihn geküsst. Neben alledem, was wegen Sirius auf sie zukommen würde, müsste er ihr auch noch erklären, dass ihre Beziehung keine Zukunft hatte – Lupin schluckte.
Wie um alles in der Welt sollte er ihr das schonend beibringen? Es wäre so viel einfacher, wenn es diesen Kuss nie gegeben hätte... doch so sehr er sich weigerte, es zuzugeben, so froh war er auch darüber gewesen, dass sie ihn geküsst hatte... dieses Gefühl, ihre Lippen auf den seinen zu spüren... Lupin schüttelte den Kopf, er durfte nicht daran denken. So machte er sich selbst alles nur noch schwieriger.

„Sicher, dass du nicht mit willst?", erkundigte sich die rothaarige Frau fürsorglich. „Nein, danke Molly, ich besuche sie ein anderes Mal-" Er stockte. Ein anderes Mal, schön und gut. Doch wie um alles in der Welt sollte er ihr nur gegenübertreten?

Der nächste Tag brach an und Lupin war der Antwort auf die Frage immer noch keinen Schritt näher gekommen. Mit anderen Worten, seine derzeitige Antwort lautete, Tonks einfach aus dem Weg zu gehen. Doch scheiterte dieser Plan innerhalb kürzester Zeit.
Lupin lag auf dem Bett und versuchte zu schlafen, obwohl es mitten am Tage war. Seit dem Kampf vor fast einer Woche hatte er kaum ein Auge zugetan, ganz egal, wie oft er es versucht hatte. Er fühlte sich ausgelaugt und schwach, doch wirklich schlafen konnte er trotzdem nicht. So lag er da, mit Ohrenstöpseln in den Ohren, damit sein feines Gehör nicht bei jedem Reiz aufmerksam wurde, als es an seiner Tür klopfte.
„Herein."
Er hatte Molly erwartet, doch stattdessen stand Tonks vor ihm. Ihr Gesicht war blass, ihre dunklen Augen waren von schwarzen Ringen untermalt und ihre violetten Haare fielen ihr trist über die Schultern.
„Tonks", würgte Lupin mühevoll hervor, seine Stimme war heiser. Mit einem Mal saß er kerzengerade auf seinem Bett und spürte, wie sein Atem sich beschleunigte. Wie sollte er nur reagieren? Er zog sich die Ohrenstöpsel heraus, um überhaupt etwas zu tun und blickte unschlüssig umher.

„Hey." Zitternd hob Tonks eine Hand und versuchte sich an einem Lächeln – um dann in Tränen auszubrechen.
„Es – es tut mir so leid!", schluchzte sie und warf sich in seine Arme. „Es ist alles m-meine Schuld – nur wegen mir ist –" Ein lautes Schniefen erstickte ihre restlichen Worte.
Hilflos schloss Lupin sie in seine Arme, nicht wissend, was er sonst tun konnte.
„I-ich weiß, ich k-kann das nie wieder gutmachen, aber wenn ich irgendwas tun kann, dann..." Sie schluchzte abermals. „Be-bestimmt hasst du mich jetzt!"
„Was?", fragte Lupin verwirrt, „wieso sollte ich dich hassen?" ‚Und wie könnte ich?', fügte er in Gedanken hinzu.
„Na du weißt schon!", schniefte Tonks, „w-wenn ich gegen Bellatrix nicht verloren hätte, w-wäre Sirius nicht – nicht ..."
„Tonks, das ist nicht deine Schuld!", protestierte Lupin, entsetzt, dass sie so dachte.
„D-doch, ist es – ich – ich hab ja verloren – und –"
„Hast du absichtlich verloren?"
„Nein, natürlich nicht – a-aber-"
„Dann ist es auch nicht deine Schuld. Du konntest nicht wissen, wie es enden wird... du hast dich nicht einmal freiwillig auf dieses Duell mit Bellatrix eingelassen – aber ich", mit einem Mal klang seine Stimme schuldbewusst und voller Selbsthass, „– wenn ich dir rechtzeitig zu Hilfe gekommen wäre, dann hätte sie nicht – du wärst nicht..." Lupin brach ab und fixierte den Boden. „Mir tut es leid, Tonks", wisperte er. „So unendlich leid. Meine Einschätzung war falsch. Hätte ich mich entschieden, dir zu helfen, statt gegen Dolohow zu kämpfen – das alles wäre nicht passiert und –"

Er stand auf und begann im Raum auf und ab zu laufen. Frustriert fuhr er mit der Hand durch seine Haare. All die Tage hatten sich seine Gedanken nur um den Verlust seines besten Freundes und Tonks' Wohlbefinden gedreht. All die Zeit hatte er völlig verdrängt, dass es seine Schuld war – seine falsche Entscheidung hatte Tonks diese Schmerzen zugefügt – er hatte Tonks diese Schmerzen zugefügt, ihr Leben in Gefahr gebracht –

Die Last der Schuld schien ihn zu erdrücken, er hatte einen Kloß im Hals und schluckte schwer, doch er wollte nicht verschwinden... Tonks hatte nur durch ihn leiden müssen...

„-und ich habe dich nicht einmal im Krankenhaus besucht..."
„Remus, es ist nicht deine Schuld!", protestierte Tonks entrüstet, „du weißt doch so gut wie ich, wie sehr wir in der Unterzahl waren, wir konnten uns nicht erlauben, zu zweit gegen einen Gegner zu kämpfen!" Noch immer rannen Tränen ihre Wangen hinab. „W-wie kannst du nur dir die Schuld geben, obwohl sie so offensichtlich bei mir liegt, ich – ich-"
„Hör DU auf, DIR die Schuld zu geben!", rief Lupin, plötzlich wütend, „es macht die Situation wahrlich nicht einfacher, wenn du dir Vorwürfe machst, wo keine gerechtfertigt sind! Musst du wirklich alles noch schwerer machen, als es ohnehin schon ist?! Ich habe fürwahr andere Sorgen!"

Tonks schluchzte herzzerreißend auf und Lupin verstummte.

„Es – es tut mir leid, Tonks, ich wollte nicht –" Hilflos sah er zu, wie die junge Hexe ihr Gesicht in ihren Händen vergrub und hemmungslos weinte.
Kraftlos ließ er sich neben sie aufs Bett sinken. „Ich kann einfach nicht mehr", murmelte er mit brechender Stimme, „ich kann nicht mehr
."
Tonks fiel ihm schluchzend um den Hals und vergrub den Kopf in seiner Brust. Stumm hielt er sie fest und spürte, wie sein Hals mehr und mehr von unsichtbaren Schnüren zugezerrt wurde, doch nicht vor Schuld.
Zum ersten Mal seit Sirius' Tod verspürte er nicht das klaffende Loch des Nichts in sich, nicht Zorn oder Wut – sondern Trauer, endlose Trauer, die ihm den Atem nahm. Während er die zerbrechliche Frau schluchzend in seinen Armen hielt, spürte er, wie der Staudamm, den er mühsam errichtet hatte, um seine Emotionen zu versiegeln, mehr und mehr durchbrochen wurde.

Bilder flackerten in seinem Kopf auf, Erinnerungen seiner Schulzeit, wie sie lachend in der großen Halle saßen, Witze im Gemeinschaftsraum rissen, Zauberstabdrehen im Schlafsaal spielten... wie Sirius verschmitzt grinste, als er James einen Klatscher vom Hals gehalten und ihn auf einen Slytherin geschleudert hatte... Sirius, einen Arm um James gelegt, einen Arm um Lily, und gemeinsam schritten sie über die Ländereien, während das Schloss im Sonnenuntergang glitzerte...und Sirius, jetzt merklich älter, wie er am Küchentisch saß und ausgelassen lachte...

Der Kloß in Lupins Hals wurde immer größer und er spürte, wie ihm Tränen in die Augen traten.
„Ich vermisse ihn so sehr", wisperte er. Seine Stimme brach. Und mit ihr die letzten Mauern, die seine Emotionen gehalten hatten.
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Frage an EUCH: Wer von euch ist eigentlich in der #DA? Und falls ihr nicht wissen solltet, was das ist, dann googelt mal ;P

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