Inmitten der Finsternis

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Der Tag der Beerdigung rückte im Nu heran und mit ihm ein Tag, den Lupin herbeisehnte und gleichermaßen hinter sich bringen wollte. Er würde Sirius noch einmal wirklich nahe kommen, doch war er auch zu einem Abschied gezwungen, zu einem Abschied für den Rest seines Lebens.
Schwerfällig lief er den Weg bis zum Grab von Lily und James. Es war noch über eine Stunde Zeit, bis die Beerdigung beginnen sollte, doch hatte er einfach nicht länger schlafen können.
Die Schwärze seines Umhangs verschmolz mit der Finsternis der Nacht, während er über den spärlich beleuchteten menschenleeren Friedhof schritt.
Doch als er das Grab der Potters erreichte, stand da schon jemand. Die dunkle Silhouette wurde nur durch das schillernde Licht des abnehmenden Mondes beschienen.
Unwillkürlich wurde Lupin an den vergangenen Vollmond erinnert, an dem er Snow erneut begegnet war. Sie war am Anfang sehr schüchtern gewesen und hatte Abstand gehalten, doch bald war sie aufgetaut und sie beide waren wieder durch den raschelnden Wald gewandert...
Für gewöhnlich waren die Verwandlungen, in denen er emotional aufgewühlt war, am schlimmsten, doch hatte Snow die Nacht erträglich gemacht. Was für faszinierende Tiere es doch gab...

Nervös begutachtete Lupin die Gestalt, die stumm auf das Grab herabblickte. Er konzentrierte sich auf seine Sinne, um gegen einen möglichen Angriff gewappnet zu sein. Der Krieg zeichnete die Menschen auf ihre eigene Art und in seinem Fall hatte er ihn der Vorsicht belehrt. Sein Zauberstab steckte griffbereit in seinem Umhang, während er sich dem Unbekannten langsam näherte.

Er trat auf etwas Knisterndes, vermutlich eine Tüte, die auf dem Boden gelegen hatte, als die Person herumschnellte. Blitzartig zog er seinen Zauberstab und er sah sie die gleiche Bewegung vollführen, doch keiner der beiden griff an.
Sie fixierten sich abwartend, beide unfähig, das Gesicht ihres Gegenübers genau zu erkennen, doch erlaubte seine geschärfte Sicht Lupin, den Unbekannten als Frau mit langen Haaren auszumachen.

„Warten Sie", sagte sie mit ruhiger Stimme, „ich möchte Ihnen nichts tun."
„Was wollen Sie hier?", fragte Lupin lauernd.
„Ich bin hier, um Sirius Black die letzte Ehre zu erweisen", erwiderte sie.
„Wer hat Ihnen davon erzählt?"
„Eine junge Hexe mit rosafarbenem Haar."
„Sie kennen Tonks?", fragte Lupin und vergaß für einen Moment jegliche Vorsicht.
„'Kennen' ist zu viel gesagt", erklärte die Frau, „sie hat mich nur aufgesucht und mir davon erzählt, was...damals wirklich geschehen ist."
Lupin runzelte die Stirn. Wer um alles in der Welt war diese Person und was hatte sie mit Tonks zu schaffen?
„Woher kennen Sie Sirius?", fragte er bedacht.
Sie seufzte. „Allmählich sollte wohl ich anfangen, Fragen zu stellen, bevor das hier in einem einseitigen Verhör endet, aber um Ihnen den Gefallen zu tun: Ich war zu meinen Hogwarts-Zeiten und auch danach mit ihm zusammen."
Lupin verschlug es für einen Moment die Sprache. Es gab eigentlich nur eine Person, mit der Sirius zusammen gewesen war...
Er ließ die Spitze seines Zauberstabs aufflammen und sah in das recht junge sommersprossige Gesicht einer blondhaarigen Frau. „Chloe?", fragte er ungläubig.
„Warte – Remus, bist du's?"
„Ja – ich bin's – wie um alles in der Welt..."
„Bevor wir das klären, sollten wir erst einmal dafür sorgen, dass wir uns sicher sind, wem wir gegenüberstehen. Tonks hat mir eingeschärft, bloß vorsichtig zu sein." Remus schmunzelte.
„Gut. Bei welchem Streich fand unser erstes Treffen statt?"
„Das war – bei dem Bällchenbad-Streich, oder? Ähm... eure Vorgehensweise, um euch die Patrouillen, die ihr als Vertrauensschüler bzw. Schulsprecher machen musstet, zur ersparen?"
„Die Gänge auf der Karte des Rumtreibers überprüfen", antwortete Lupin sofort.
„Mensch, Chloe, ich kann nicht glauben, dass du hier bist!", rief Remus und ging auf sie zu. „Du siehst gut aus!"
„Du bist grau geworden."
„Und du bist noch direkt wie eh und je."

Plötzlich blieb Lupin stehen und sah nervös zum Mond auf. Chloe seufzte. „Hey, nur, weil du ein Werwolf bist, heißt das nicht, dass ich Angst vor dir habe. Auch, wenn ich etwas geschockt war, als es öffentlich gemacht wurde, weil es so plötzlich kam... aber hast du denn mein Motto schon vergessen? ‚Das Einzige, das ich fürchte, ist mein Spiegelbild am Morgen.'"
Sie drückte ihn einmal kurz an sich und schlenderte mit ihm einige Meter den Weg entlang, an dem eine Bank stand.
„Stimmt." Lupin grinste. „Ich muss zugeben, dass ich dich für ziemlich oberflächlich gehalten habe, als ich es damals gehört hatte." Er seufzte innerlich bei dem Gedanken, dass ihn das trotzdem nicht davon abgehalten hatte, für sie zu schwärmen.
„Ich war auch oberflächlich", lachte Chloe, „aber nach einem heißen, aber – nicht so netten Freund habe ich meine Lektion gelernt und lebe nun glücklich mit meinem Mann zusammen."
„Das freut mich für dich." Lupin lächelte.
„Und wie ist es bei dir?", wollte Chloe wissen, während sie sich auf der Bank niederließen. „Bist du verheiratet?"
„Nein", seufzte Lupin, „Werwolf."
„Das ist so was von kein Grund!", widersprach Chloe sofort.
Lupin lächelte gequält und starrte hinaus in die Finsternis. Ihm war nicht danach, diese Diskussion noch einmal zu führen, ganz gleich, mit wem.
„Aber es gibt doch bestimmt jemanden, den du magst?" Mit keckem Grinsen stieß Chloe ihm einen Ellbogen in die Seite.
„Ich verliebe mich nicht so leicht", antwortete er, ohne sie anzuschauen.
„Aber du warst doch schon mal verliebt, oder? Da fällt mir ein, Clara, Miranda und ich hatten in unserem siebten Schuljahr Wetten darauf abgeschlossen, auf wen du stehst, weil du dir nie was hast anmerken lassen – ich hab auf Mary getippt, Clara auf – wer war's noch gleich – Jean? – und Miranda auf Lily. Du hast dich damals strikt geweigert, uns zu sagen, wer Recht hatte – aber um ehrlich zu sein, es interessiert mich immer noch."
Lupin seufzte. „Keiner von euch hatte Recht."
„Warum hast du uns das nicht einfach gesagt?"
„Weil ihr dann hättet wissen wollen, für wen ich geschwärmt habe. Und das... konnte ich nicht sagen."
„Warum nicht?"
Lupin atmete die Friedhofsluft tief ein und seufzte. „Weil ich für dich geschwärmt habe, Chloe."
Für einen Moment herrschte Stille.
„Oh. Wow. DAS kam überraschend." Sie sah ihn an. „Jetzt im Ernst?"
„Ja, im Ernst", antwortete er seufzend.
„Du seufzt ganz schön viel, weißt du das?"
„Bei diesem Thema? Ja."
„Also – wirklich? Du warst wirklich in mich verliebt?"
„Ich war nicht in dich verliebt, ich habe für dich geschwärmt – das ist ein Unterschied", betonte Lupin.
„Also so eine Art Crush, hm...", murmelte Chloe mehr zu sich selbst. „Wenn du den Unterschied kennst, dann warst du also doch mal verliebt? Oder bist es sogar?"
„Möglich", antwortete er schlicht.
„Komm schon, Kleiner, lass mich nicht zappeln! Ich werde mich sonst bis an mein Lebensende mit der Frage quälen!"
„Die Mitleidstour?", seufzte Lupin abermals.
„Hat bei dir schon immer gezogen, du Seufzepeter."
„Ich – was bitte?" Er zog halb belustigt, halb verdutzt die Augenbrauen hoch.
„Du Seufzepeter. Das war ein Spitzname." Chloe grinste. „Tut mir leid, ich weiß, du mochtest meine Spitznamensgebung nie, aber genau deswegen musste ich sie unbedingt wiederbeleben. Auch wenn ich nach all den Jahren wohl etwas aus der Übung gekommen bin. Also mein Lieber, kenne ich sie? Oder ihn?" Sie neigte ihren Kopf. „Wobei das wohl eher unwahrscheinlich ist, immerhin kennen wir nicht so viele Leute beide, aber was soll's."
„Ja, du kennst sie", murmelte Lupin, dem ziemlich unbehaglich zumute war.
„Was? Wirklich?!", platzte es aus ihr heraus und sie starrte ihn erwartungsvoll an.
„Mmmhhh... es ist Tonks", gestand Lupin, um das Gespräch möglichst schnell hinter sich zu bringen.
„Ach, ehrlich? Hätte nicht gedacht, dass du auf rosa Haare stehst... und ist sie nicht – ähm – ein bisschen jung?"
„Ich weiß, dass ich viel zu alt für sie bin, aber wie ich dir bereits gesagt habe, kommt für mich eine Beziehung ohnehin nicht infrage", entgegnete Lupin zerknirscht.
„Entschuldige, war nicht böse gemeint. Wobei, der Altersunterschied ist sogar noch im Rahmen, oder? Sie ist vielleicht – ich schätze so Mitte zwanzig und du bist ja auch erst 36 wie ich – hab da kurz gar nicht dran gedacht, weil du so viel älter aussiehst."
Lupin lachte kurz auf. „Schmeichlerin."
„Verdammt." Schuldbewusst kaute Chloe auf ihrer Unterlippe. „Fettnäpfchen-Falle."
„Immer noch so anfällig dafür?"
„Wie du siehst – nur noch ganz dezent." Sie zwinkerte ihm verschmitzt zu. „Aber mal ernsthaft, Remus. Du bist ein toller Typ. Wenn sie nicht so oberflächlich ist, wie ich es früher gewesen bin, dann wird sie vielleicht noch Gefühle für dich entwickeln. Gib die Hoffnung nicht auf."
Ein einfaches „Ja, du hast Recht", hätte wohl genügt, um das Thema zu beenden, doch aus irgendeinem Grund, den er selbst nicht verstand, verspürte er plötzlich den Drang, mit Chloe darüber zu reden.
„Sie hat mir ihre Liebe schon gestanden", sagte er leise. Sein Blick war in die Ferne gerichtet, hing starr an den dunklen Grabsteinen und Gräbern, auf denen vereinzelte Blumen blühten und Kerzen brannten.
„Was?", rief Chloe laut aus, „das ist ja großartig! Dann seid ihr zusammen? Wobei, du meintest vorhin – sag jetzt bloß nicht, dass du sie nur wegen dieser Werwolf-Sache hast abblitzen lassen!"
„Leise", beschwor Lupin sie eindringlich, ehe er mit trauriger Stimme hinzusetzte: „Aber das trifft es ziemlich genau."
„Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein!", zischte Chloe. „Du liebst sie, sie liebt dich und du lässt dir von etwas, das schon ewig zurückliegt, dein Glück vermiesen?"
Lupin seufzte.
Chloe schwieg.
„Dein Einsatz, Chloe."
„Ich glaube, du bist auch so schon deprimiert genug."
„Mag sein."
„Jedenfalls, Remus, sieht es dir nicht ähnlich, so dumm zu handeln." Chloe sah ihn mit eindringlichem Blick fordernd an.
„Das ist nicht dumm, sondern die einzige Möglichkeit." Er schluckte schwer. Auch dieses Thema war verletzend. „Und abgesehen davon ist das nicht der einzige Grund. Wie du schon sagtest – ich bin über zwölf Jahre älter und das ist ein enormer Unterschied. Dann habe ich kein Geld – ich könnte nicht für sie sorgen – und auch sonst ist sie...", er biss sich auf die Unterlippe, „...einfach zu gut für mich."
„Komm schon, Remus, wahre Liebe kennt keine Grenzen. Wenn sie bereit ist, sich auf dich einzulassen, dann solltest du deine Chance nutzen. Steh dir doch nicht selbst im Weg!"
„Gerade weil ich sie liebe, muss ich es tun", antwortete Lupin leise. „Sie weiß nicht, worauf sie sich einlässt. Sie kennt die Gefahren nicht, die von mir ausgehen. Und abgesehen davon – ich würde sie zu einer Ausgestoßenen machen. So wie die Leute mich ablehnen, würden sie auch mit ihr umgehen – das – das kann ich ihr nicht antun." Seine Stimme zitterte.
„Vielleicht unterschätzt du sie auch", mutmaßte Chloe. „Mein Gefühl sagt mir, dass sie genau weiß, was es bedeutet, auch wenn ich sie kaum kenne."
„Woher kennst du sie überhaupt?", fragte Lupin, dem nun doch danach war, über ein anderes Thema zu reden.
„Die Steilvorlage musstest du nutzen, was?"
„Wenn du schon so zuvorkommend bist."
„War Absicht."
„Natürlich."
„Wirklich!"
„Ich glaube dir. Also?"
„Sie hat vor ein paar Tagen an meiner Tür geklingelt", berichtete Chloe, „und hat mir dann alles erzählt... was ich wissen musste... wegen... du weißt schon." Sie verstummte und blickte zu der mit Magie geschaffenen leeren Stelle, an der Sirius' Grabstein positioniert werden sollte. „Sie sagte, Sirius hätte einmal von mir erzählt und sie hätte ihm geschworen, seinen Namen höchstpersönlich reinzuwaschen, wenn ihm etwas... zustoßen sollte... Mal ernsthaft, Remus", äußerte sich Chloe mit seichtem Lächeln, „ich glaube, du hast dir da eine wundervolle Person ausgesucht. Ich weiß schon, du möchtest nicht länger darüber reden, aber bitte, bitte überdenke noch einmal gründlich, was du euch beiden antust, wenn du euch einfach aufgibst und wie viel Glück du dir dabei entgehen lässt."
Lupin schwieg.
Chloe hielt ihr Wort. In der weiteren Zeit bis zum Beginn der Beerdigung sprachen sie über die lustigen Dinge, die ihnen widerfahren waren, erzählten sich von dem, was sie in all den Jahren, in denen sie sich aus den Augen verloren hatten, erlebt hatten und überprüften die Anti-Muggel-Schutzzauber. Obwohl er mit dem Wunsch gekommen war, alleine dort zu stehen, wo Lily und James begraben waren, wo Sirius begraben werden würde, war er nicht enttäuscht. Im Gegenteil, mit Chloe konnte er trotz allem lachen, statt in endloser Leere dahinzuschweben und das gab ihm Kraft. Kraft, um weiterzumachen und in die Zukunft zu sehen.

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Frage an EUCH: Was haltet ihr nun von Chloe? Und wie findet ihr sie mit Sirius zusammen - obwohl sie früher natürlich ein wenig anders war?

Funfact: Chloe kam auf ihren Spitznamenfetisch, weil sie immer wissen wollte, wieso die Rumtreiber diese in ihren Augen merkwürdigen Spitznamen füreinander hatten, und da sie ihr den Grund nie erzählt haben, begann sie kurzerhand, immer wieder neue, merkwürdige Spitznamen für die vier zu entwerfen, was sie schließlich sogar auf die Leute in ihrem Umfeld anwandte, bis es zu einem ihrer Markenzeichen wurde.

Weil du mich zum Menschen machstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt