Zerreißende Distanz

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Tonks rollte sich schluchzend auf ihrer Couch zusammen.
Wieso verstand er nicht, was er ihnen alles kaputt machte? Wieso begriff er nicht, dass sie zusammengehörten? Was kümmerte sie sein Alter! Sie liebte ihn! Dass er für sie nicht mehr gefährlich war, hatte sich auch heraus gestellt – und auch sonst wusste sie genau, worauf sie sich einließ! Es würde vielleicht nicht leicht sein, doch sie würden die Probleme bewältigen, gemeinsam! Sie würde über die Äußerungen der anderen, den Spott über sie, wenn sie sich auf einen Werwolf einließe, schon hinweg kommen! Wenn es überhaupt jemand mitbekommen sollte, die Ordensmitglieder waren schließlich tolerant und niemand zwang sie, ihre Beziehung öffentlich in aller Welt zu präsentieren! Und selbst wenn, sie würde das aushalten! Sie war kein kleines Kind mehr, sie war eine tapfere Aurorin! Wieso traute er ihr nur so wenig zu?

Nur, dass sie keine Kinder wollte, war nicht ganz aufrichtig gewesen... Früher hatte sie sich immer zwei Mädchen gewünscht, dann hatte sie den Traum eine Zeit lang verworfen, doch die Vorstellung, eine Familie mit Remus gründen zu können... noch nicht jetzt, aber irgendwann... ein verborgener Wunsch war geplatzt wie eine Seifenblase, einfach so und völlig unerwartet, doch nicht weniger schmerzlich. Aber sie würde sich hüten, das in irgendeiner Hinsicht zu erwähnen – denn selbst so... hatte sie wohl kaum noch eine Chance...

Schmerzlich hallten seine Worte in ihrem Kopf wider:
„Raus hab ich gesagt! Und sprich mich bloß nie wieder darauf an! Tritt mir am besten gar nicht mehr unter die Augen!"

Sie schluchzte erneut auf. Diese Worte hatten sich angefühlt wie ein Messerstich in ihr Herz. Und jedes Mal, wenn sie daran dachte, war es, als würde er das Messer noch tiefer hineinrammen, und es langsam in der Wunde drehen...

Was sollte sie nur tun? So, wie er reagiert hatte, würde sie ihn wirklich nicht mehr darauf ansprechen können... und er – er war so wütend gewesen. Noch nie, in dem gesamten Jahr, hatte sie ihn auch nur ansatzweise so wütend erlebt... wie hatte er das nur sagen können... und nun... es war aus. Endgültiger hätte er es ihr nicht klarmachen können. Sämtliche Chancen waren vertan. Er würde seine Meinung nicht ändern. Und sie – sie würde mit diesem furchtbaren Schmerz und ihrem gebrochenen Herzen leben müssen. Für immer.


Als Tonks sich am nächsten Morgen für die Arbeit fertig machte, fühlte sie sich noch immer hundeelend. Sie hatte kaum geschlafen, fast die ganze Nacht hatte sie durchgeweint. Warum musste die letzte Zeit so furchtbar sein? Erst Sirius... und jetzt Remus... mit einem Schlag hatte sie ihre zwei besten Freunde verloren. Nichts würde mehr so sein, wie es früher gewesen war. Nichts. Nie wieder.
Vor dem Kampf in der Mysteriumsabteilung war noch alles gut gewesen. Nicht perfekt, aber gut, sie war zufrieden. Und nun. Zerstört. Unwiderruflich.

Sie blickte in den Spiegel. Ihr Haar fiel schlaff zu ihren Schultern herab, mausbraun. Sie war blass und hatte tiefe dunkle Ringe über ihren aufgequollenen, geröteten Augen. Sie lächelte gequält. Vielleicht sollte sie heute so zur Arbeit gehen, es passte gut zu ihrer Stimmung. Doch würden dann ihre ganzen Kollegen fragen, was los sei. Darauf konnte sie getrost verzichten. Sie kniff die Augen zusammen und konzentrierte sich auf ein bonbonrosa und eine Frisur, die nicht ganz so schlaff hinunter hing, auf mehr Gesichtsfarbe und normale Augen, ohne tiefschwarze Untermalung. Seufzend öffnete sie die Lider – und blickte sich mit jenem Gesicht entgegen, das sie eben schon gehabt hatte. Noch immer war ihr Haar braun und schlaff, noch immer waren ihre Augen verquollen und verweint.
Hatte sie sich nicht ausreichend konzentriert? Sie versuchte es noch einmal, doch war wieder erfolglos. Verzweifelt versuchte sie es einzeln, schenkte ihre Beachtung nur ihren Augen, den Augenringe, dem Farbton ihrer Haare, doch es tat sich nichts.

Was um alles in der Welt war passiert? Träumte sie? Nein, so real, wie ihr Schmerz war, war das harte Realität. Aber wieso hatte sie ihre Metamorph-Fähigkeiten plötzlich verloren? War – war das vielleicht die Ursache? Dass sie sich so absolut miserabel fühlte? War so etwas möglich? So wenig, wie über Metamorphmagi bekannt war, war es nicht einmal auszuschließen... doch aus welchem Grund...?
Warum ausgerechnet...

Es war ein Tropfen, der das Fass abermals zum Überlaufen brachte. Sie sank wimmernd und schluchzend in sich zusammen und weinte unkontrolliert über die Ungerechtigkeiten des Lebens. Jay. Sirius. Remus. Und jetzt das. Womit hatte sie das nur verdient?
An diesem Tag meldete sie sich zum ersten Mal seit über einem Jahr krank.


Remus fühlte sich miserabel. Er hatte überreagiert. Er hätte Tonks niemals – diese furchtbaren Worte an den Kopf werfen dürfen.
„Tritt mir am besten gar nicht mehr unter die Augen!"
Wie hatte er so etwas nur sagen können?! Doch trotz allem, er würde es nicht zurücknehmen. Sonst würde alles nur wieder von vorne losgehen. Es war nur zu ihrem besten, auch wenn sie das noch nicht verstehen konnte. Er würde der Zeit ihren Lauf lassen und nach und nach würden sie sich vertragen, doch ohne weitere Annäherungen auf dieser Ebene. Sie würden einfach wieder Freunde sein, wie früher.


In den folgenden Tagen ging Lupin Tonks aus dem Weg, so gut es möglich war, und auch sie suchte nicht krampfhaft seine Nähe.
Er sah sie nur bei einem Ordenstreffen am Donnerstagabend, doch begrüßten sie sich nur flüchtig und sprachen sonst kein Wort miteinander. Doch Remus war derjenige gewesen, der das Schweigen zwischen ihnen fast gebrochen hätte, sah sie doch so unfassbar geschafft und kraftlos aus.
Die meisten Ordensmitglieder schienen von der Distanzierung zwischen den beiden Freunden nichts mitzubekommen, weil es politisch nach dem Ministerwechsel doch drunter und drüber ging. Statt Resignation beherrschte ein unahnbarer Tatendrang den Orden, vermutlich, um sich von den beiden schmerzlichen Verlusten besser ablenken zu können.
Doch entstand gleichzeitig ein unausgesprochener verbaler Kampf um die weniger gefährlichen Missionen, als hätte sich ein Schleier der Angst über die Ordensmitglieder gelegt.
Lupin bot sich freiwillig für gefährliche Missionen an. So konnte er zumindest etwas Sinnvolles tun und hatte Gründe, aus denen er sich von Tonks fernhalten konnte.
Nur Molly schien das angespannte Verhältnis der beiden zu bemerken. Sie musterte sie abwechselnd mit besorgten Blicken und fragte Tonks schließlich, ob sie reden wolle, doch sie wehrte ab.
Später bedachte sie Lupin mit einem vorwurfsvollen Blick, doch obwohl ihm ihre Meinung für gewöhnlich sehr wichtig war, war es ihm nie gleichgültiger. Er fühlte sich nicht nur Tonks, sondern auch allen anderen Mitgliedern des Ordens ferner als je zuvor, obwohl er im Fuchsbau wohnte und somit eigentlich stets von Menschen umgeben war. Dennoch, er fühlte sich so abgeschieden, dass es ihm schien, er sei in einer anderen Galaxie. Die Geschehnisse dieser Welt kümmerten ihn kaum noch, die Menschen um ihn herum wurden ihm zunehmend egal. Er brauchte einfach eine Pause, von ihnen, von dieser Welt, von allem.


„Die Zeit heilt alle Wunden", so heißt es. Doch konnte Tonks sich nicht vorstellen, dass diese Wunde jemals heilen konnte.
Es waren nur wenige Tage seit jenem großen Streit vergangen, doch sollte zumindest schon eine kleine Besserung eingetreten sein. Nichts dergleichen war der Fall. Im Gegenteil, es war wohl eher schlimmer geworden.
Es schmerzte von ihm getrennt zu sein, doch noch schlimmer war es, wenn sie wie bei dem Ordenstreffen am Vortag gezwungen bei ihm war.
Der Gedanke, dass er sie nicht bei sich haben wollte, tat weh, unerträglich weh. Anfangs hatte sie zu hoffen gewagt, dass er sich entschuldigen würde. Vergeblich. Und damit schrumpfte sogar ihre Hoffnung, dass sie zumindest Freunde sein konnten.
Doch selbst damit nicht genug. Er hatte sich beim vergangenen Treffen die allergefährlichsten Missionen gesichert und sie war sicher, dass er es tat, um noch mehr Abstand von ihr nehmen zu können. Die Botschaft war so einprägsam und klar, wie auch schmerzlich: „Ich sterbe lieber, als mit dir zusammen zu sein."
Sie hatte nicht gewusst, dass es möglich war, aber diese unausgesprochenen Worte taten noch mehr weh als jene bei ihrem Streit.
Seitdem ihr das klargeworden war, verbrachte sie beinahe ihre ganze Zeit wimmernd im Bett. Zur Arbeit war sie wieder nicht gegangen. Sie fühlte sich unvorstellbar miserabel, sogar schlechter als damals, als sie vom Cruciatus-Fluch geschädigt ins St. Mungo gemusst hatte. Oder nach dem Kampf in der Mysteriumsabteilung. Die Erinnerungen an Sirius kamen wieder in ihr hoch und sie schluchzte abermals auf.
Sie konnte das nicht länger ertragen. Auch wenn sie es hasste, andere mit ihren Problemen zu belästigen - sie musste mit jemandem sprechen, sonst würde sie daran zerbrechen.
Es dauerte eine Weile, bis sie sich fing. Die Nacht war längst hereingebrochen und sie fühlte sich elendiger denn je.
Molly. Sie musste zu Molly. Sofort. Und dabei nur hoffen, dass sie Remus nicht begegnete.

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Frage an EUCH: Was seht ihr als die größte Schwäche dieser FF?

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