Kapitel 46 - Schein und Sein - Teil 1

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Im Café war derweil aufgeregtes Gemurmel ausgebrochen und auch auf der Pressekonferenz im Fernsehen, rief eine Vielzahl von Reportern hektisch durcheinander und unterbrachen so die Ausführungen des Anwalts.

Bahe ignorierte das Chaos, warf schnell Geld für den Kaffee auf seinen Tisch und rannte zur Tür hinaus. Hochnervös und ungeduldig hastete er zwischen den Autos über die Straße und wäre dabei einmal fast überfahren worden. Das heulende Hupen hinter ihm, hörte er aber kaum.

Sein Blick war starr auf die herunter gefallenden Kabel unweit des Eingangsbereichs des Chen Law Firm-Gebäudes gerichtet. Im Nu war er da, hob die Kabel auf und lief eilig durch die Eingangstüren. Im Empfangsbereich sah er auf der linken Seite bereits die geschlossenen Türen die zum ausgeschilderten Raum der Pressekonferenz führten.

Vor den Türen standen jedoch zwei Kanzleiangestellte, wahrscheinlich um die Presseleute zu kontrollieren. Doch damit hatte Bahe gerechnet. Er zügelte seine Schritte etwas, lief aber dennoch selbstbewusst auf die Tür zu.

Wie er erwartet hatte, wurde er von einem der beiden Männer gestoppt.

„Wo wollen Sie denn hin?", fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Selbstverständlich zur Pressekonferenz", antwortete Bahe schnell.

„Ihr Ausweis?", kam eine gleichgültige Aufforderung.

„Verzeihung, aber ich habe keinen."

„Dann werden Sie auch nicht durch diese Türen treten."

Bahe verdrehte innerlich genervt die Augen, ob des hochnäsigen Auftretens des Mannes.

„Sehen Sie mich an, könnten Sie sich vorstellen, dass ich als Reporter bei einem hochkarätigen Sender wie GQ-TV angestellt bin?", brachte Bahe den Namen des Senders ins Spiel, durch den er gerade auf diese Pressekonferenz aufmerksam geworden war. „Nein? Ich auch nicht. Ich bin nur ein kleiner Assistent, der hofft in ein paar Jahren als Kameramann dort einsteigen zu dürfen. Ich wurde angewiesen im Auto zu bleiben und die Aufnahmen des letzten Drehs zu kontrollieren. Doch gerade eben hat mich mein Chef, der Reporter, der für GQ hier vor Ort ist, darum gebeten ihm so schnell wie möglich diese Kabel hier vorbei zu bringen! Ich will nicht mit Ihnen streiten und ich finde es gut, dass sie solch gute Arbeit leisten, aber was wird wohl mein Sender davon halten, wenn er als einziger Sender der Gegend keine Live-Aufnahmen von dieser Pressekonferenz zeigen kann?"

Während Bahe sich im Anschluss darum bemühte möglichst überzeugend zu erscheinen, blickten die beiden Männer mürrisch drein, konnten sich aber anscheinend zu keiner klaren Entscheidung durchringen.

„Bei allen Himmeln, lasst ihn rein. Es fehlt uns noch, dass sein Sender uns verklagt", raunte es plötzlich um die Ecke und Bahe entdeckte einen Mann hinter einer Pflanze auf einem Sofa sitzen, den er zuvor überhaupt nicht wahrgenommen hatte.

„Selbstverständlich, Boss", antwortete der Mann, der Bahe zunächst aufgehalten hatte, wie aus der Pistole geschossen und öffnete schnell die Tür.

Bahe nickte nur knapp und betrat schnell den Saal, ehe sie es sich anders überlegen konnten.

Hinter ihm schloss sich die Tür wieder und Bahe atmete erleichtert aus. Vor ihm breiteten sich die unzähligen Kamerateams und ihre dazugehörigen Reporter aus, während an den Seiten teilweise weiteres Sicherheitspersonal positioniert war, um im Notfall eingreifen zu können.

Er musste sich also unauffällig verhalten, wenn er seinen Plan in die Tat umsetzen wollte.

Ruhigen Schritts ging er von hinten auf die Menschenmenge zu und lauschte derweil auf die Fragenflut der Reporter, die scheinbar noch immer andauerte.

„Von wie vielen Fällen pro Monat sprechen Sie?!"

„Ab wann wird Ihre Kanzlei mit diesem Prozess beginnen?!"

„Wird jeder Anwalt ihrer Kanzlei dazu verpflichtet mehrere Fälle pro Monat quasi umsonst zu bearbeiten?"

„Bitte, bitte", hob Bei En Rui beschwichtigend die Hände und beruhigte nach und nach die Reporter. „Ich werde alle ihre Fragen beantworten, aber bitte lassen Sie mich auch zu Wort kommen."

„Wie viele Fälle unsere Kanzlei pro Monat nach diesem Muster bearbeitet, wird im Laufe des Tages auf unserer Homepage veröffentlicht, genauso wie alle anderen Informationen als auch die Vereinbarung mit den Unterschriften sämtlicher Mitarbeiter, in der sie sich dazu bereit erklären, entsprechende Fälle zu übernehmen. Also, ja, es werden alle Anwälte unserer Kanzlei mit einbezogen, wie auch meine Wenigkeit und die höchsten Führungsetagen."

„Ab wann können Bürger der Stadt ihren Service in Anspruch nehmen?!"

„Dies wird ab sofort möglich sein."

Während sich der Anwalt bemühte die ganzen Fragen möglichst sachlich zu beantworten, drängte sich Bahe durch den Ring aus stehenden Kameraleuten und ging zwischen den Sitzreihen der Reporter hindurch, die längst alle standen, um sich mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen.

Glücklicherweise, dachte Bahe, so fiel er nicht weiter auf.

Die Stühle der Reporter waren in großzügigem Abstand zueinander und in zwei Feldern angeordnet, aufgestellt worden. Die Mitte war absichtlich für einen Durchgang frei, der das Betreten der Sitzreihen und des Podiums erleichterte. Und genau dort lag Bahes Ziel.

Auf den letzten Metern wurde Bahe vor Ungeduld dann doch zunehmend schneller, was auch einigen umstehenden Reportern auffiel, die verblüfft die Miene verzogen.

Im nächsten Moment trat er auch schon in den Durchgang hinaus und ging auf seine letzte Hoffnung zu. Nach und nach richteten sich die Blicke der Anwesenden auf ihn und die Fragen der Reporter erstarben für einen Moment.

„Kann ich Ihnen helfen?", fragte Bei En Rui und Bahe verzog den Mund zu einem Lächeln, jetzt konnte ihn auch der Sicherheitsdienst nicht mehr ohne eine Antwort seinerseits von hier weg zerren. Dabei hatte sich das Personal schon in Bewegung gesetzt.

Um zu zeigen, dass er keine Gefahr darstellte, blieb er stehen und stellte dann eine Gegenfrage: „Ist Ihr Angebot, Menschen zu helfen, die sich Ihre Dienste sonst niemals leisten könnten, wirklich ernst gemeint?"

„Aber sicher!", lächelte der Staranwalt.

Bahe nickte und ließ sich dann vor allen Versammelten auf die Knie nieder und brachte seine Hände und Stirn in einer traditionellen, chinesischen Ehrerbietung vor sich zum Boden.

„Dann flehe ich Sie an, dass Sie mir in einem Rechtsstreit helfen, dessen Ausgang über das Schicksal meiner Familie und das Leben meiner Mutter entscheidet."

Um den Kotau zu vervollständigen wiederholte er die Aktion noch zwei Mal und flehte erneut: „Bitte, helfen Sie uns!"

Mit einem Mal herrschte absolute Stille.

Bahe konnte nicht wirklich etwas sehen, da er die Stirn auf dem Boden abgelegt hatte, hörte aber plötzlich eine Vielzahl flüsternder Stimmen.

„Sag mir, dass du die Kamera drauf gehalten hast!"

„Das sind die perfekten Schlagzeilen für Morgen!"

„Mitten in einer Live-Sendung! Wie ist er hier rein gekommen?"

„Ich bin gespannt, was Bei En Rui dazu zu sagen hat!"



Kotau = Eine traditionelle, chinesische Ehrerbietung einer Respektsperson gegenüber. Dabei kniet die Kotau ausführende Person nieder und führt die Stirn zu Boden. Das Herabführen der Stirn kann mitunter heftiger ausgeführt werden, um durch einen hörbaren Aufprall besondere Ehrerbietung zu beweisen.

Diese Art der Ehrerbietung wurde traditionell auch im Zuge eines Versagens genutzt, um an die Ehre des Lehnsherrn bzw. der Respektsperson zu appelieren und dadurch nicht zu hart (z. B. Todesurteil) bestraft zu werden.

Die Legende vom Elementflüsterer - Band 1 + 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt