Zu Bahes Überraschung kamen ihm die beiden Speerträger zu Hilfe, die den Vielfraß zuvor verfehlt hatten. Sie nahmen das Monster in die Zange und stachen von gegenüberliegenden Seiten nach dem zweiten Auge des Vielfraßes. Die Kreatur musste sich nun zusätzlich zu seinem schmerzenden Auge, der Attacken der beiden Spieler erwehren, was Bahe eine Atempause verschaffte.
So schnell er konnte, kletterte er aus dem Festungsverschlag und bestieg das Dach, um seinen Bogen zu bergen. Mit dem Bogen in der Hand verließ er eilig das instabil gewordene Dach und suchte sich eine passende Position, um den Speerträgern helfen zu können.
Zehn Meter von der Kreatur entfernt, wollte er einen Pfeil auf seinen Bogen auflegen, als seine Hand nur Bruchstücke zu fassen bekam.
„Mist!", entfuhr es ihm genervt. Beim Sturz durch das Dach, waren seine sämtliche Pfeile zu Bruch gegangen.
„Hier!", rief ihm jemand von hinten zu und kaum einen Wimpernschlag später landeten einige Pfeile zu seinen Füßen.
Bahe sah eine Bogenschützin unweit von ihm auf einer kleinen Mauer stehen, die gerade den ersten Pfeil gen Vielfraß schnellen ließ und nickte ihr dankend zu. Nicht länger zögernd schnappte er sich einen der Pfeile und zielte auf das verbliebende Auge des Monsters.
Das Treffen stellte sich jedoch als wesentlich schwieriger heraus als gedacht. Der Kopf des Vielfraßes zuckte ständig von einer zur anderen Seite und machte es zu einem reinen Glücksspiel auch nur das Gesicht der Kreatur zu treffen.
„Verdammt, ihr solltet euch mal mit dem Treffen beeilen. Wir können das Viech nicht mehr lange in Schach halten!", rief der Speerträger zu Bahes Rechten, da die Beiden zunehmend in Bedrängnis gerieten.
Scheinbar hatte sich der Vielfraß allmählich an die Schmerzen und das beschränkte Sichtfeld gewöhnt, erkannte Bahe und blickte auf die verbliebenen Pfeile zu seinen Füßen. War dies jetzt wirklich der Moment, um zwanghaft bei den eigenen Vorsätzen zu bleiben?
Nein, mit Sicherheit nicht!
Schnell hob er die Pfeile auf und warf sie zurück zu der Spielerin, die sie ihm zur Verfügung gestellt hatte. Danach rannte er den Speerträgern zu Hilfe, während er den Bogen in seinem Speichergegenstand verschwinden ließ und stattdessen sein Schwert hervor holte.
„Kannst du die Rückseite übernehmen?", fragte Bahe den Speerträger zu seiner Linken, der sofort verstand und seine Position wechselte. Wenig später stand Bahe mit den beiden Speerträgern in einer Dreiecksformation um den Vielfraß herum, wodurch sie der Kreatur jede sofortige Fluchtmöglichkeit genommen hatten.
Was folgte waren ihre immer wiederkehrenden Angriffe, um der Kreatur zuzusetzen. Für Bahe war dieser Prozess jedoch alles andere als einfach. Bedingt durch seine Waffe, hatte er in Sachen Reichweite einen enormen Nachteil im Vergleich zu den Speerträgern. Der Vielfraß ließ seine Krallen mit solcher Wucht und Schnelligkeit durch die Luft sausen, dass Bahe ein paar Mal nur durch geschicktes Abrollen über den Boden, den gefährlichen Hieben ausweichen konnte.
„Hat irgendjemand eine Idee?", fragte die Bogenschützin, deren Pfeile bisher leider ergebnislos geblieben waren.
„Das Viech ist einfach zu schnell", schüttelte der Speerträger rechts von Bahe den Kopf.
„Ich treffe ab und an die Hinterbeine von dem Monster, mache aber viel zu wenig Schaden", meinte auch der andere Speerträger resigniert.
Anschließend blickten alle Bahe entgegen, doch er war mal wieder in Bredouille geraten und konnte sich nur noch mit einem Sprung nach rechts und einem anschließenden seitlichen Abrollen retten. Das übrig gebliebene Auge des Vielfraßes verfolgte ihn dabei die ganze Zeit und Bahe wäre vermutlich zerfetzt worden, wenn der Speerträger zu Bahes Rechten, nicht instinktiv seinen Speer zum Gesicht des Monsters gestoßen hätte.
Dem Vielfraß blieb nichts anderes übrig, als von Bahe abzulassen und nach hinten auszuweichen, um nicht auch noch sein anderes Auge zu verlieren.
„Danke", rief Bahe, während er schnell wieder seine ursprüngliche Position bezog.
„Verdammt, das war knapp!", pfiff der Speerträger hinter der Kreatur beeindruckt.
„Muss aber nicht nochmal sein", brummte Bahe bei weitem nicht so begeistert.
„Leute, konzentriert euch", sagte die Bogenschützin ungehalten.
„Ja, ja...", meinte der Speerträger hinter dem Vielfraß und stieß erneut mit seinem Speer zu. Bahe nickte nur.
Der andere Speerträger war indes ruhig geblieben und hatte die Augenbrauen nachdenklich zusammen gezogen.
„Mach das nochmal", rief er plötzlich an Bahe gewandt.
„Was?"
„Roll dich nochmal so über den Boden in meine Richtung."
„Haha, seht ihr, Nolen ist auch beeindruckt", kam der andere Speerträger dazwischen.
„Sehr witzig", antwortete Bahe mürrisch, als er einen Hieb des Vielfraßes mit Mühe parierte.
„Nein, ernsthaft, mach es nochmal", verlieh dieser Nolen seinen Worten Nachdruck.
„Wieso?"
„Ich habe gerade fast das Auge von diesem Ding erwischt. Mein Timing war nur ein kleines Bisschen daneben", erklärte sich der Speerträger.
„Dann los!", rief die Bogenschützin in Bahes Rücken.
„Hey! So schnell geht das nicht, ich will dabei nicht verrecken!", äußerte sich Bahe ohne sich umzudrehen.
„Hehe, du hättest sehen müssen, wie sie bei ihren Worten am Grinsen war!", lachte der Speerträger hinter dem Vielfraß.
„...", Bahe zog es vor nicht mehr zu antworten und konzentrierte sich auf die Hiebe des Vielfraßes. Zwei, drei Angriffen musste er noch standhalten, ehe er endlich die Gelegenheit fand einen Versuch zu wagen.
Mit einem Sprung nach rechts begann sich die Situation von vorhin zu wiederholen und Bahe hoffte nur, dass dieser Nolen Erfolg hatte.
Das Abrollen über die Schulter folgte Bahes Sprung und nahm ihm vorübergehend die Sicht, nicht aber das Gehör. Ein furchtbar kreischendes Winseln hallte plötzlich über die Freifläche hinweg und ließ Bahe beim Hochkommen erleichtert aufatmen.
Kaum einen Moment später bestätigten sich Bahes Gedanken. Nolen hatte das zweite Auge der Kreatur getroffen.
Wie vom Wahnsinn getrieben drehte sich der Vielfraß ununterbrochen um sich selbst und schlug auf alles ein, was in seine Reichweite kam.
„Sehr gut gemacht Leute!", rief die Bogenschützin aus.
„Blind ist das Viech jetzt, keine Frage. Aber diesem Ding auch noch den Gar aus zu machen, wird beileibe nicht einfach sein", meldete sich der Speerträger hinter dem Monster zu Wort, der einigen Abstand zwischen sich und den wildgewordenen Vielfraß gebracht hatte.
„Keine Sorge, Bewen. Das Viech wird schon irgendwann müde werden", meinte Nolen.
„Schon, aber es könnten noch andere Kreaturen auftauchen", gab Bahe zu bedenken.
„Oh, Scheiße, das habe ich komplett vergessen!", sagte die Bogenschützin erschrocken und blickte sich aufmerksam um, während sie die wenigen Pfeile einsammelte, derer sie auf der Freifläche habhaft werden konnte.
„Dann sollten wir uns wohl mit dem Abschlachten beeilen", erklärte Bewen mit einem, seiner Meinung nach, gefährlich aussehendem Lächeln, während er seinen Speer mit streichelnder Hand liebkoste. Die Illusion wurde jedoch nahezu sofort zerstört, als er unter lautem Fluchen mehreren Hieben des Vielfraßes ausweichen musste.
„...", die Bogenschützin und Bahe waren sprachlos und schauten zu Nolen.
„Guckt mich nicht so an...", meinte dieser nur achselzuckend. „Er ist schon immer so gewesen..."
Teil 2/2
RiBBoN
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Die Legende vom Elementflüsterer - Band 1 + 2
FantasíaIn einer nicht all zu fernen Zukunft schuftet sich Bahe jeden Tag ab, um seine Familie unterstützen zu können, die unter enormen Schulden leidet. Doch Monate nach dem Schulabbruch muss Bahe sich eingestehen, dass er an seine Grenzen gelangt ist. In...