Kapitel 83 - Spuren - Teil 1

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„Wah...", gähnte Limona ausgiebig, als sie am Morgen zu sich kam und auch Brocken setzte sich langsam auf, während er durch Strecken versuchte die Schläfrigkeit aus seinen Gliedmaßen zu vertreiben.

Doch Bahe beachtete sie nicht weiter und ging schnurstracks auf den See zu.

„Was riecht denn hier so?", rümpfte Limona die Nase, als Bahe gerade einen Schritt an ihr vorbei machte.

„Ich glaube... das ist... Anael...", meinte Brocken erstaunt mit großen Augen.

Einfach ignorieren, dachte Bahe währenddessen. Einfach ignorieren...

„Igitt! Hast du dir etwa in die Hose gemacht?", kreischte Limona entsetzt auf.

Bahe ballte die Fäuste, ging jedoch nicht weiter darauf ein. Er beschleunigte lediglich seine Schritte, lief samt Kleidung in den See hinein und tauchte wenig später komplett unter Wasser.

Mit ein, zwei starken Tauchzügen brachte er sich tief hinunter und ließ sich durch das kühle Nass gleiten. Unter größter Anstrengung versuchte Bahe das traumatische Erlebnis der letzten Minuten zu vergessen.

Bahe war so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass er den Soldaten zunächst gar nicht bemerkt hatte. Doch als sich dieser unmittelbar neben ihn daran machte seine Hose zu öffnen, traute Bahe seinen Augen nicht.

Nicht, dass der Anblick nicht schon verstörend genug gewesen wäre... Nein, der Idiot erleichterte sich doch tatsächlich genau auf ihm.

Allein der Gedanke daran ließ ihn erschaudern...

Unwillkürlich rieb er sich mit den Händen unter Wasser über sein Gesicht und zog angewidert an seinen Klamotten, um die Kleidung so schnell wie möglich von seinem Leib zu kriegen.

Kaum wieder an der Oberfläche, spritzte das Wasser wild in alle Richtungen, dicht gefolgt von Bahes Kleidungsstücken, die in hohem Bogen am Ufer des Sees landeten. Im Anschluss rieb sich Bahe wie wild geworden über den Körper, um irgendwie zu der Überzeugung gelangen zu können, dass er sich genug gereinigt hatte.

Ein paar Minuten später lag Bahe auf der Wasseroberfläche und ließ sich treiben, während ihm die Kälte in die Gliedmaßen kroch. Er hieß die Kälte willkommen, lenkte sie ihn doch von dem unangenehmen Vorfall ab.

Aber lange konnte er nicht mehr im See verweilen. Die Soldaten würden ihren Marsch ins Zentrum des Belungagebirges bald fortsetzen.

„Bahe!", rief ihm plötzlich Limona vom Waldesrand entgegen.

„Was ist?"

„Hier sind Spuren."

„...", verwundert runzelte Bahe die Stirn und schwamm mit einem Seufzen auf das Ufer zu. „Was meinst du mit Spuren?", hakte er nach.

Brocken der auf Balu aus dem Wald geritten kam, antwortete darauf: „Die solltest... du dir selbst ansehen."

Bahe nickte und trat nackt aus dem Wasser. Mit ein paar schnellen Handgriffen zog er einen neuen Satz Kleidung aus seinem Speichergegenstand und legte sie an. Der Moment seiner Nacktheit war für Bahe immer noch befremdlich. Es war zwar glücklicherweise niemand zu sehen, dennoch fragte er sich, wie TNL tatsächlich seine Ausmaße unterhalb der Gürtellinie so genau bemessen hatte, obwohl er stets mit Boxershorts ins Dimensional Leap-System gestiegen war...

Andererseits wirkte sein Aussehen da unten doch irgendwie anders... Wie konnte er es am besten beschreiben? Es war fast so, als ob nicht jedes Detail Beachtung gefunden hätte... Dabei war sich Bahe, jetzt wo er so darüber nachdachte, nicht einmal sicher wie genau er da unten überall aussah... Es war ja nicht so, dass er regelmäßig in seinen Schritt starrte.

Den Gedanken verwerfend überlegte er für einen Moment, ob er die alten Klamotten im Speichergegenstand lagern sollte, schließlich waren sie schon oberflächlich gewaschen. Aber irgendwie erinnerten sie ihn zu sehr an diese haarsträubende Geschichte und er ließ sie letztlich lieber achtlos am Rand des Ufers liegen.

„So, was soll ich mir ansehen?", fragte er seine Elementare, als er schließlich am Waldesrand ankam.

„Die hier", meinte Brocken und wies auf ein paar Fußabdrücke, die sich nur geringfügige Spuren im lockeren Waldboden hinterlassen hatten.

„Was ist daran so besonders?"

„Weiter hinten im Wald sind noch mehr", sagte Limona. „Wenn Brocken und ich richtig gezählt haben, waren es mindestens fünf."

„Fünf, was?"

„Keine Ahnung, was das für Wesen waren", zuckte Limona mit den Schultern.

„Ich weiß... auch nicht... wer die verursacht... hat", schloss sich Brocken an.

„Aha", bemerkte Bahe resigniert. „Hier sind also Spuren und niemand weiß von wem die sind? Wieso erzählt ihr mir dann überhaupt hier von?"

„Nun, wer oder was auch immer sie gewesen sind, sie haben dich beobachtet", erklärte Limona mal wieder in ihrem herablassenden Tonfall.

„Außerdem sind sie... auf zwei... Beinen gelaufen...", ergänzte Brocken.

„Hmm...", nickte Bahe nachdenklich, als er an diese unheimlichen Geräusche der letzten Nacht dachte. „Vielleicht sollte ich dem Hauptmann Bescheid geben."

„Tu das", stimmte ihm Limona zu und fragte: „Aber jetzt zu der viel wichtigeren Sache. Hast du dir wirklich in die Hose gemacht?"

„..."

„Wenn es dir passiert ist... dann... ist es nicht schlimm", versuchte Brocken ihm gut zu zureden.

„Einfach nur unglaublich...", gab Bahe von sich, drehte sich ohne ein weiteres Wort um und machte sich zum Lager der Soldaten auf.

„Hey Anael, du hast uns noch keine Antwort gegeben!", rief Limona ihm nach. „Hast du dir nun in die Hose gemacht oder nicht?"

Bahe ignorierte seine Elementare bis er endlich außer Hörweite war und marschierte geradewegs zum Zelt des Hauptmanns.

Dort angekommen, musste Bahe jedoch feststellen, dass zwei der Soldaten dieses schon nahezu vollständig abgebaut hatten. Nach kurzer Suche fand er den Hauptmann schließlich beim Frühstück mit einigen seiner Untergebenen und Bahe trat schnell hinzu.

„Oh, was gibt es junger Anael?", fragte Hauptmann Pero.

Er war ein alter hartgesottener Veteran, mit grauen Bartstoppeln und dunkelgrau meliertem Haar. Sein Gesicht war kantig und gezeichnet von den häufigen Außeneinsätzen. Mehrere Narben zogen sich über seine Wangen und eine durchtrennte auf unschöne Art und Weise seine linke Augenbraue. Insgesamt wirkte er eher streng und unnahbar, aber Bahe hatte in den letzten Wochen erkennen können, wie beliebt dieser alte Haudegen in den Rängen der Armee eigentlich wirklich war. Soweit er den Geschichten der übrigen Soldaten trauen konnte, hatte sich dieser Mann vom einfachen Soldaten hoch gearbeitet und angeblich mehr als nur eine ausweglose Schlacht für die Armee seiner Majestät gewonnen.

All das war für Bahe nur positiv, sofern es stimmte.

Auf die Frage des Hauptmanns antwortete Bahe: „Am Waldrand neben dem See habe ich heute Morgen verdächtige Spuren entdeckt, Hauptmann. Leider kann ich nicht sagen, um welche Wesen es sich dabei handelt, aber der Menge der Spuren nach zu urteilen, müssen es mindestens Fünf gewesen sein."

„Bist du dir sicher?"




Teil 2/2!

RiBBoN

Die Legende vom Elementflüsterer - Band 1 + 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt