Kapitel 34 - Tutorial IV

517 62 5
                                    

Als Eras die Türflügel hinter Bahe schloss, hörte er seinen Lehrmeister fragen: „Ein ungewöhnliches Stück, nicht wahr?"

Eras verzog misstrauisch die Miene. Es war äußerst selten geworden, solche Worte von seinem Meister zu hören.

„Was meint Ihr, Meister?"

„Diese Abbildung... Irgendwo habe ich sowas Ähnliches schon mal gesehen. Es ist aber verdammt lange her."

„Glaubt Ihr, dass es sich für den Bettler lohnen wird, diesen Schlüssel behalten zu haben?"

Zu Eras Erstaunen fing sein Meister daraufhin an zu lachen.

„Was ist Meister?"

„Bettler, ja? Was Gegenstände betrifft ist deine Auffassungsgabe bereits bemerkenswert, bei ihren menschlichen Besitzern hast du aber auf jeden Fall noch Übungsbedarf", schüttelte sein Lehrmeister lächelnd den Kopf.

Eras verzog mürrisch das Gesicht und wollte sich gerade verteidigen, als sein Meister auch schon fortfuhr.

„Sicherlich war sein Erscheinungsbild alles andere als passabel, aber welcher Bettler würde jemals zwanzig Kupfermünzen bezahlen, um ein paar augenscheinlich wertlose Tonscherben klassifizieren zu lassen?"

Nun, wenn man es so betrachtete, musste Eras ihm zustimmen.

„Außerdem habe ich eine Präsenz um ihn herum gespürt... Eine äußerst alte Präsenz, bei der mir gar nicht wohl ist, dass sie wieder in der Welt ist... Dieser junge Mann ist weit mehr als er auf den ersten Blick vermuten lässt", bemerkte sein Lehrmeister grimmig.

Eras hingegen war sprachlos. Er hatte seinen Meister noch nie so erlebt.

In den Kreisen der Gelehrten genoss sein Meister Teleos Tanderton den größten Respekt, den man sich vorstellen konnte, doch niemand konnte so recht sagen, von wo er stammte und wie er sich sein unglaubliches Wissen angeeignet hatte.

Was viele nicht wussten, war die Tatsache, dass er bei besonders schwierigen Fragen schon mehrmals vom Fürsten Waldenstadts um Rat gefragt worden war. Nicht zuletzt deshalb genoss er unter den Gutachtern Waldenstadts eine Sonderstellung.

Eras konnte sich noch genau erinnern, wie seine Eltern vor Freude wortwörtlich in die Luft gesprungen waren, als sie die Zustimmung von seinem Lehrmeister erhalten hatten, dass er ihn als Lehrling annahm.

„Ah!", rief sein Meister plötzlich laut aus und schreckte Eras aus seinen Gedanken. „Jetzt weiß ich wieder, wo ich ähnliche Abbildungen schon mal gesehen habe! Aber... das kann nicht sein..."

Für einen Moment beobachtete Eras verblüfft wie sein Meister einfach verstummte.

Mit einem Quietschen öffnete sich derweil die Tür zum Wartebereich und Emma, eine Bedienstete, steckte den Kopf herein: „Kann ich die nächste Person rein schicken?"

„Ähm...", Eras wollte schon etwas erwidern, als sein Lehrmeister irgendwas zu murmeln begann.

„...gefährlich... die Tore des Schlächters... ich muss Tharnatos sprechen... Hoffentlich irre ich mich...", plötzlich riss er den Kopf hoch und rief laut: „Eras, Emma, alle weiteren Klassifizierungen werden für heute ausgesetzt! Ich muss sofort verreisen, bitte bestellt dem hiesigen Gildenoberhaupt meine Grüße und erklärt ihm, dass ich frühestens in einer Woche wieder zur Verfügung stehen werde!"

Danach knallte die hintere Tür auf und Eras bekam riesengroße Augen, als sich sein Lehrmeister vor seinen Augen in Luft auflöste!

Lange Zeit blieb es still, bis Emma irgendwann die Stille durchbrach.

Die Legende vom Elementflüsterer - Band 1 + 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt