Akademie der Hexen - Kapitel 32

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Die alte Frau sitzt am Feuer und beobachtet die zappelnde Rachel. Sie hatte sich entschieden, dass war wichtig. Allein hätte sie es nicht schaffen können. Für die alte Frau ist die Prüfung des Schicksals die Suche nach sich selbst. Schwierige Entscheidungen müssen getroffen und überstanden werden. "Erwache", flüstert sie Rachel zu. Kurz zuckt die junge Hexe noch, ehe sie erwacht. Ihre Stirn ist voller Schweiß, ihr Atem geht schwer. Das Gesicht ist voller Tränen, voller Trauer. Sie setzt sich panisch wieder auf. Noch bevor sie sprechen kann, antwortet die ältere Dame. "Ruhig. Sie leben beide. Niemanden ist was geschehen, bis auf dir. Wie hast du dich entschieden?" Rachel heult immer noch. Statt das ihr mal drei Minuten Ruhe gegönnt werden, wird sie gleich belagert, wie sie sich den entschieden habe. "Rachel? Deine..." Dieses Mal unterbricht Rachel sie. "Kann ich mal bitte ein paar beschissene Sekunden durchatmen, bevor du deine Klappe aufreißt?" Die alte Frau verstummt. Rachel kommt sich etwas blöd auf einmal vor. Diese ältere, weise Frau so respektlos zu behandeln war nicht fair. "Entschuldigen Sie. Ich hatte meine Emotionen nicht unter Kontrolle." Die ältere Frau starrt in das Feuer. Ihre Augen wirken nachdenklich. Wie kann sie sehen, wenn sie doch eigentlich blind ist? "Ich habe schon einige geprüft. Viele kommen an ihre Grenzen. Nur die, die sich entwickeln, bestehen meine Prüfung. Deine Emotionen sind Normal. Aber die Zeit deiner Prüfung rennt. Wenn du bestehen willst, darfst du hier nicht zu lange traurig und verletzt sein. Antworte ehrlich. Wie hast du dich entschieden? Maria oder Serena?" Rachel hatte sich entschieden. Ihr Gewissen ist trotzdem belastet. Dieses Problem zu lösen ist eine ganz andere Hürde, als es zu erkennen.  "Ich liebe sie beide. Es tut weh, aber dieser Tag wäre so oder so gekommen. Es ist schwer, aber... Selbst wenn ich manchmal mit Maria zusammen bin, denke ich an Serena. Es ist sie. Es... Es tut weh, aber ich werde Maria eines Tages so oder so verletzen. Serena. Ich denke so oft an sie. Ich genieße ihre Nähe, ihre Berührungen und ich habe mich selten nach verzehrt, als nach ihr. Ich bin mir sicher, dass Serena meine Zukunft ist." Natürlich ist sie sich sicher, aber sie vergießt nebenbei viele Tränen. Sie schluchzt ab und an, schnieft. Was wird nur aus Maria? "Du solltest dir weniger Gedanken um Maria machen, glaube mir." Sie faltet den Brief auf, den sie eingesteckt hat. Kurz wartet sie noch, bis Rachel sich halbwegs beruhigt hat. Die Prüferin hat nicht wirklich viel Herz. Wie auch? Man hat es ihr genommen, vor so langer Zeit. "Bereit, Rachel? Ich kann diese Schrift lesen, selbst der Hexenrat würde in tausend Jahren nicht hinter die Worte deiner Mutter kommen." Rachel nickt zögerlich. Natürlich wollte sie den Brief hören. Die ältere Frau mit den blinden Augen liest den Brief vor. Rachel fragt sich immer noch, wie das möglich sei. Doch dann wirft sie alle ihre Gedanken beiseite, als sie die Worte vernimmt, die ihre Mutter schrieb. "Meine geliebte Tochter. Meine Rachel. Wenn du das hier liest, bist du in der Welt der Hexen angekommen und bist dabei, eine erwachsene Frau zu werden. Ich habe leider nicht die Zeit, zu erklären, warum ich dich in eine Ersatzfamilie gab, warum ich mich nie gezeigt habe. Ich bin eine schreckliche Mutter. Ich habe dich in der Menschenwelt auf die Erde gebracht. Ich habe Monate mit dir verbracht, die schöner waren, als mein ganzes Leben. Ich fühlte damals deine Kraft schon, deinen Drang, deine Lust nach Magie, nach einer anderen Welt. Ich habe dir so gern vorgelesen, so gern habe ich dich angesehen. Doch jetzt bist du eine junge Erwachsene. Ich habe alles aufgegeben, damit du in einer freien Welt leben wirst. Ich habe meine Entscheidung gehasst. Nie sah ich dich lachen, lieben, weinen in einem reifen Alter. Ich bereue es, dich weggegeben zu haben. Eines Tages, Rachel, werden wir uns wiedersehen. Ich bin wie du auf Meliodae, der Welt der Hexen und Zauberer. Veränderungen geschehen bereits jetzt und du bemerkst sie nicht. Eines Tages wird diese Welt sich verändern. Finde die Wahrheit heraus über diese Welt. Wenn die Welt sich verändert, werden wir uns wiedersehen. Dann werden wir wieder zusammen sein. Ich konnte nie die Mutter sein, die ich wollte. Aber ich habe mein ganzes Leben und alles aufgegeben, für eine sichere Welt. Du wirst erfahren, was ich tat, aber das wird noch etwas dauern. Ich bin nicht tot, ich lebe, ich beobachte dich durch fremde Augen. Wir sehen uns, wenn diese Welt in ein neues Zeitalter aufbricht. Rachel. Vergiss nie, dass ich dich liebe. Ich habe viel gut zu machen und das werde ich, wenn ich deine Zukunft gesichert habe. Ich liebe dich, meine Tochter. Mein Licht wacht über dich, auch, wenn du es nicht sehen magst."
Die angeblich blinde Frau schreibt die Übersetzung auf die Rückseite des Briefes. Rachel heult natürlich, doch ihr Tränenfluss wird noch schlimmer. "Deine Mutter hat den Brief zwar hart geschrieben, aber ihre Handschrift ist zittrig. Sie muss es unter hohem emotionalem Stress geschrieben haben. Ich weiß nicht, wieso sie dich verlassen hat, aber sie scheint dich wirklich zu lieben." Rachel vergräbt ihr Gesicht in den Händen. Das war zu viel. Serena und ihre Mutter. Dieser emotionale Stress ist einfach zu viel heute. Sie will Serena mehr und ihre Mutter...? Was soll sie davon halten? Sichere Zukunft? Meliodae verändert sich? Was hat das zu bedeuten? Steckt ihre Mutter in Schwierigkeiten? "Die Übersetzung habe ich dir auf die Rückseite geschrieben. Du kannst dir also immer wieder die durchlesen. Immerhin ist dies das einzige, was deine Mutter dir gelassen hat. Des weiteren hast du meine Prüfung bestanden. Im Raum nebenan ist Serena. Sie wartet. Ohne dich wollte sie die Prüfung nicht beenden."
Rachel empfängt den Brief samt Übersetzung von der blinden Frau. "Kennt Ihr meine Mutter?"
Die ältere Frau schaut wieder in das Feuer. "Nein. Und jetzt geh, Rachel. Du hast eine Prüfung zu bestehen."
Rachel wischt sich die letzten Tränen beiseite und nicht ihr zu. Sie springt in einem Satz auf. "Vielen herzlichen Dank. Ich hoffe, ich kann das eines Tages gut machen." Rachel wartet auf eine Antwort, erhält aber weder eine, noch erhält sie ein auf wiedersehen oder einen Blick. So verschwindet sie durch die rostige Tür aus Stahl, hinter der auch Rachel wartet. Die Worte, welche die blinde Dame von sich gibt, versteht Rachel nicht mehr. "Ob du dich erkenntlich zeigst, werden wir sehen, wenn du dich entscheiden musst."

Akademie der Hexen | girlxgirl [Abgeschlossen]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt