Kapitel 33

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Roman

Nachdem ich das letzte mal spät abends von Tilla und Ben zurück gekommen bin, waren meine Eltern noch wach und haben offensichtlich auf mich gewartet. Auch wenn meine Mutter mir klarmachen wollte, das sie einfach nicht schlafen konnte und aus diesem Grund gähnend vor dem Fernseher saß, konnte ich es ihr nicht glauben, weil sie ihre Augen kaum auflassen konnte. Erst waren sie ziemlich zurückhaltend und mein Vater wäre es auch am liebsten geblieben, wenn nicht da meine Mutter gewesen wäre, die irgendwann anfing mit ihrer Befragungs Runde! Sie fragte direkt drauf los, wie geht es ihr, hast du auch wirklich gekocht für sie, wie reagiert ihr Sohn auf dich, wie geht sie mit dem Verlust um, wie hat sie es erlebt und was sind ihre Pläne. Als ich auf die Fragen mit dem Tod von Alex nicht antworten konnte, weil ich nichts habe, was ich ihr erzählen könnte und ich ihr klar machen musste, das wir noch keine Silbe darüber verloren haben, war sie ziemlich verdutzt! Nach einer Weile des in sich hineinhorchen und nachdenken, sagt meine Mutter plötzlich „ich bin so stolz auf dich Roman! Du behandelst sie so respektvoll und weißt was zu tun ist, dadurch zeigst du ihr mehr als andere, dass du für sie da bist! Weil du ihr die nötige Zeit zum reden gibst, die sie braucht! Manchmal sind keine Worte mehr wert!" Mit einem Lächeln gibt sie sich zufrieden und ich erzähle ihr von Ben, unseren ersten kennenlern Moment und von seinen Riesen großen Augen die strahlen und einem genau beobachten. Von seiner Mund Akrobatik, wenn er Hunger hat und von seinem lachen was total ansteckend ist. Meine Mama hört mir aufmerksam zu und dann sagt mein dad, „Babys sind schon sehr süß" was ich niemals von ihm erwartet habe zu hören, weil er oft mit Gefühlen und Gedanken sehr zurückhaltend ist, außer es geht um uns.

Am nächsten Tag frage ich bei Ellen nach, ob sie was von Tilla gehört hat und ob ihr mein gekochtes geschmeckt hat. Eigentlich wollte ich nur wissen, ob Tilla sich gefreut hat dass ich plötzlich bei ihr aufgetaucht bin und mit der gestellten  Frage, hätte ich es ableiten können. Ellen ihre Antwort ist aber eher ernüchternd und ein Grund mir sofort Gedanken zu machen, sie schrieb „Bad day! Frag heute lieber nicht, ihr geht es nicht gut!" tausend Gedanken schießen mir durch den Kopf und sofort überlege ich, ob ich was falsch gemacht habe und ich der Grund für Ihren bad day bin. Gegen Abend halte ich es nicht mehr aus und ich schreibe Tilla, anstatt mir zurück zu schreiben, ruft sie mich an. Im Laufe des Gespräches hört man das ihre Stimmung tief unten ist, sie aber nicht mit der Sprache rausrücken möchte. Ich erzähle ihr meine aktuelle Situation und zwar das ich nichts mehr mit Hanna zutun habe und zufrieden mit meiner jetzigen Leben bin...

Nach dem gestrigen Gespräch und der miesen Stimmung von ihr, verbringe ich eine unruhige Nacht und den ganzen Tag über, überlege ich was ich machen kann. Ich muss zu Tilla und mich selber vergewissern wie es ihr wirklich geht, ob es ihr heute besser geht oder ob sie immer noch diesen Versuch von schlechter Laune zu verdrängen hat und das weiß ich nur genau wenn ich ihr in die Augen schaue. Leider habe ich erst mittags Training, was für mich bedeutet, das ich wieder erst gegen Abend zu ihr fahren kann. Einerseits ist das natürlich besser, da die Gefahr von jemanden gesehen zu werden, der es eventuell falsch verstehen könnte, das ich bei ihr auftauche, sehr hoch! Andererseits muss ich mit diesem Gefühl des Unwohlseins klarkommen und hoffen das die Zeit schnell rumgeht und auch das es Tilla gut geht und ich mir unnötig Gedanken gemacht habe.

Nach dem Training fahre ich direkt zu Tilla, nachhause muss ich nicht mehr und auf das Essen am Trainingsgelände habe ich verzichtet, richtig Hunger habe ich sowieso nicht. Ich parke vor ihrer Haustür, steige aus und Klingel vergeblich, sie ist wohl nicht da. Plötzlich öffnet sich ein Fenster von oben und die ältere Dame vom letzten  Mal steckt ihr Kopf raus „sie ist nicht da" ruft sie mir entgegen „ich hätte vielleicht vorher anrufen sollen" stelle ich fest, aber dann hätte sie mich eventuell abgewimmelt und ich wollte doch ihre ehrliche Reaktion und nicht die vielleicht Reaktion. „Sie kommt bestimmt gleich, Sie kommt immer zu Bens Schlafenszeit! Wollen sie hier oben warten?" fragt sie mich. Jetzt habe ich die Wahl im Auto zuwarten wo es kalt ist oder bei dieser netten alten Dame, die wie Tilla schon erwähnt hat, eine große Hilfe für sie ist und sie sehr mag. Eigennützig nehme ich Ihr Angebot an, eventuell erfahre ich dann etwas über Tilla ihr Gemütszustand. Die Dame die Tilla mit Gisela erwähnt hat, macht mir die Tür auf und ich gehe in ihre Wohnung rein, ich bedanke mich bei ihr und stelle mich vor. Vor mir steht eine halb so große gepflegte ältere Dame, ihre Fingernägel sind lackiert, ihr graues kurzes Haar frisiert, Abdrücke von ihrer Brille sind auf ihrer Nase zusehen, ein Lächeln ist auf ihrem Gesicht, so ein Lächeln was nur Großmütter haben, die viel Zuneigung und Erfahrung ausstrahlen. Gisela bietet mir ein Platz an und wir sitzen in ihrer Küche, so das ich aus dem Fenster schauen kann wenn, Tilla nachhause kommt. Gisela mustert mich mit ihren Blicken, von oben mach unten und immer wieder scheint sie zu überlegen. „So junger Mann raus mit der Sprache, woher kennen sie Tilla?" fragt sie mich neugierig und ohne herumgerede, ich bin leicht überrascht über ihre Frage und knete meine Finger zusammen, die ich ineinander gewebt hatte. „Tilla und ich kennen uns seit einigen Jahren und ehrlich gesagt war ich ihr Freund vor Alex!" Gisela setzt ihre Brille auf die sie in der Hand hielt und wieder hat sie ihren durchdringenden Blick auf mir, dann nimmt sie die Brille wieder ab und fragt „und sie sind hier weil sie Tilla helfen möchten oder eine Hoffnung aus sonst was haben?" wieder eine direkte Frage ohne Umschweifen von Gisela und jetzt muss ich kurz überlegen, bis, so wie es aussieht die Detektivin vor mir, eine Antwort erhält „das erste mal wo sie mir die Tür öffneten, war ich hier um ihr persönlich mein Beileid auszusprechen. Ich konnte es ihr aber nicht sagen, weil nach meinem Gefühl, wollte sie es nicht hören. Ich kenne Tilla sehr lange und weiß wann es am besten ist was zu sagen oder nicht. Manchmal muss man einfach da sein ohne richtig da zu sein, verstehen sie was ich meine?"
Gisela schaut mich mit ihren großen Augen verwirrt an „verstehen Sie, ich wollte sie nicht bedrängen und Ihr Zeit geben, sie soll nicht glauben, das sie auch bei mir über Alex reden muss, sie soll sich einfach verstanden fühlen ohne viel Worte zu verlieren, ich wollte das sie sich geborgen fühlt und weiß das sie nicht alleine ist! Ich möchte einfach ein guter Freund für sie sein ohne jegliche Absichten! Ich mag Tilla und Ben und mach mir halt sorgen um sie!" ich bin selber gerade etwas verwirrt von meinen Worten und auch etwas verwirrt als müsste ich mich für mein kommen rechtfertigen, das es bloß nicht falsch verstanden wird. Gisela setzt ein breites grinsen auf, als würde sie gerade meine Gedanken lesen können, solche älteren Damen machen mir Angst, ihre Erfahrung die sie die Jahre haben, machen mir einfach Angst, sie wissen oft die Antwort bevor man sie ausgesprochen hat und sie durchschauen einen sofort, obwohl ich nun wirklich ehrlich gesagt habe, warum ich hier bin. „also Roman, ich darf doch Roman sagen?" fragt sie mich und ich nicke zustimmend „ich habe doch selber schon gemerkt, das du ihr gut tust und ich wollte dir nichts unterstellen! Es ist nur, sie bedeuten mir sehr viel! Ich habe ihren täglichen Glück miterleben dürfen, ihre Art miteinander und füreinander, die große Liebe die man spürt! Dann habe ich die Kehrseite erlebt, den Zerfall und das leid was es mit sich brachte! Ich habe die schönen und schlechten Zeiten in kürzester Zeit erlebt und dann möchte ich einfach nur, das gute Menschen um sie herum sind!" erklärt mir Gisela während sie aus dem Fenster schaut „sie ist da" sagt sie zu mir, während sie wieder ihre Brille aufsetzt. Ich schaue auch aus dem Fenster und sehe Tilla ihr Auto vor der Garage stehen, sie kommt aber nicht raus aus dem Auto, ihre Hände sind am Lenkrad festgekrallt und sie starrt einfach auf das Garagentor, als würde sie warten das es sich automatisch öffnet. Ich stehe auf „ich werde mal zu ihr gehen" und Gisela läuft schon voraus um mich heraus zu begleiten.

Tilla sitzt immer noch so da und hat überhaupt nicht vor rauszugehen, ich gehe zu ihrem Auto, ich sehe Ben in seinem Kindersitz schlafen und dann klopfe ich vorsichtig an der Scheibe, aber Tilla scheint sich zu erschrecken und schaut mich wie aus einem Traum rausgerissen an. Ich öffne die Autotür, beuge mich zu ihr runter, sie schnallt sich ab, steigt aus und wirft sich in meine Arme und fängt an zu weinen, so habe ich sie noch nie weinen gesehen, voller leid und schmerzerfüllt, ich drücke sie noch fester an mich und durch das laute schluchzen höre ich ein „es tut so weh" heraus, es zerreißt mir das Herz und es tut mir so leid, das sie diesen Schmerz fühlen und ertragen muss „ich weiß" antworte ich ihr, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, wie schlimm es wirklich sein muss. Ich halte sie einige Minuten fest, bis sie sich einigermaßen beruhigt hat, ihr Körper fühlt sich kalt an, „komm Tilla, lass uns rein gehen, ich hole Ben aus dem Auto, es ist kalt!" sie lässt mich los, als sie vor mir steht, hebt sie ihr Kopf hoch, ihre Locken haben sich in ihrem Gesicht verteilt und kleben durch die Tränen in ihrem Gesicht. Nur noch leichte letzte Tränen fließen ihre Wange hinab, ich wische ihre Haare beiseite und nehme ihr Gesicht in meine Hände, mit meinen Daumen wische ich die letzten Tränen weg,  dann gebe ich ihr ein Kuss aus die Stirn.

Tilla nimmt ihre Tasche und geht voraus um die Tür zu öffnen, ich mach die Autotür auf um Ben herauszunehmen, der noch seelenruhig und zufrieden schläft. Ich beuge mich zu ihm herunter, schnalle ihn ab, nehme ihn aus seinem Sitz heraus, drücke seinen warmen Körper an mich und decke ihn mit seiner Babydecke die im Auto liegt zu. Ich beeile mich reinzugehen, damit er nicht friert, drinnen höre ich wie Tilla sagt „hier in sein Bettchen"  ich laufe in die Richtung wo ihre Stimme herkam, laufe an ihrem Schlafzimmer vorbei, wo ich einen kleinen kurzen Blick riskiere und dann stehe ich im Kinderzimmer. Ich lege Ben ganz vorsichtig in sein Bett, der sich sofort streckt und bewegt, aber gleich wieder einschläft. Tilla schaut mich an, drückt sich an mich „ich möchte reden!" ich leg mein Arm seitlich um sie und drück sie fester  an mich „dann lass uns reden!" flüstere ich ihr zu.

Hold my hand Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt