Kapitel 89

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„Schatz soll ich dir wirklich nicht jemanden schicken, der euch hilf" wiederholt Roman immer wieder seine Frage, auch wenn er immer wieder die gleiche Antwort bekommt „nein Schatz, ich brauche keine weitere Hilfe!"
Ellen ist heute bei mir und hilft, unsere Gisela kümmert sich um Ben. Als ich Gisela von unserem Vorhaben erzählte auszuziehen und nach  Dortmund zuziehen, war sie sehr traurig. Natürlich wusste sie, dass es irgendwann kommen wird, aber sie dachte nicht so schnell. Es hat eine Weile gebraucht bis wir was geeignetes gefunden haben. Wir hätten auch das Haus von Julian und Sarah haben können, da sie durch sein Transfer nach Portugal, das Haus aufgeben mussten. Weder Roman noch ich wollten das, obwohl es perfekt gewesen wäre. Die Frauengang löst sich nach und nach auf, Sarah ist nach Portugal, Hanna ist abrupt zurück in die Schweiz und es kann die Nachricht, sie sei schwanger, von ihrem Ex! Melanie ist plötzlich alleine und hat keine Beschäftigung, da sie aber auch ein Baby erwartet, wird ihr die Ruhe sicher gut tun. Jenny und ich treffen uns jetzt immer öfter, nicht meine Schwester Jenny, sondern die Knalltüte Jenny von Marcel die Frau. Wir machen oft zusammen Sport oder gehen abends weg, während die Männer auf Ben aufpassen. Jenny versorgt uns auch immer mit Schnittchen, wenn wir in unserem neuen Haus sind, um zu renovieren. Unser neues Heim ist eigentlich schon viel zu groß für uns, manchmal frag ich mich, wer das alles sauber machen soll. Ein großer Garten mit vielen Bäumen „es ist perfekt für ein Baumhaus!" war Roman seine Feststellung, als wir es Besichtigten. Zwei Zimmer zu viel, eine große Küche, ein Fitnessraum, eine Garage wo drei Autos und Ben sein Bobbycar Platz haben. „Die zwei Zimmer werden wir noch brauchen", sagte Roman immer wieder und auf meine Frage, für was wir sie brauchen werden, grinste er mich immer nur an und eigentlich weiß ich schon lange, was er sich darunter vorstellt. Da wir schon ein Gästezimmer und ein Arbeitszimmer für mich haben, kann er nur weitere Kinderzimmer meinen. Ben ist schon im Kindergarten angemeldet und kann ab Mai hin. Für mich ist das sehr merkwürdig, mein kleiner Junge ist schon ein großer Junge. Er ist den ganzen Tag bei mir und plötzlich soll das nicht mehr so sein. Natürlich würde es ihm auch gut tun, mit anderen Kindern zu spielen und ich könnte wieder arbeiten, zumindest einen halben Tag. Neue Projekte angehen, irgendwie würde ich gerne studieren oder ein duales Studium anfangen. Meine Pläne sind noch nicht richtig ausgereift, vorerst möchte ich aber meine Zeit mit meinen Männern genießen, das Leben ist viel zu kurz, man weiß leider nie was morgen ist! Unsere Umzugspläne mussten einige erst einmal verdauen, meine Eltern waren traurig, aber freuten sich für uns. Zwischen Düsseldorf und Dortmund sind nicht unbedingt Welten, natürlich geht ein spontaner Besuch zum Kaffee trinken nicht mehr, oder ich kann nicht mehr sehr oft zu Alex seinem Grab, aber man muss sich einfach die Zeit nehmen, wenn es einem wichtig ist. Alex seine Eltern reagierten ziemlich entspannt, die Mutter sagte mir „so ist die Liebe nun mal, man möchte auf den anderen nicht verzichten!" sie boten ihre Unterstützung an, bei dem ganzen Stress könnten sie gerne auf Ben aufpassen und wir nahmen ihre Hilfe, dankend an. Damian ist so ein Thema für sich, Weihnachten sollten wir aufeinander treffen, er und Clara kamen nicht. Clara war angeblich krank und er wollte sie nicht alleine lassen. Daher haben wir kein Kontakt und auch die Hochzeit spielt für mich keine Rolle.

Trotz Vorfreude auf unser gemeinsames Heim, ist die Trauer aus dieser Wohnung auszuziehen sehr groß. Diese Wohnung hat sehr viele Erinnerungen und Ereignisse mit uns durch, dass es mir sehr schwer fällt es zurückzulassen. Alex und meine erste gemeinsame Wohnung, die Geburt unseres Kindes in diesem Haus, unser erstes Weihnachten, unser Silvester verbunden mit einem Heiratsantrag. Unser letzter Kuss, bis es mein Leben zum Sturz brachte. Die Trauer, der Leid den ich fühlen musste. Die Einsamkeit und das verlorene Gefühl nicht mehr geliebt zu werden. Das trösten, verstehen, zuhören, das wieder erleben zu dürfen, in der Sicherheit meiner eigenen vier Wänden. Ben seine ersten Schritte, sein strahlen, seine Lebensfreude, seine ersten Worte, all das prägt meine Zeit hier in der Kollbach Straße.

Beim einpacken der Kartons bemühe ich mich, nicht viel darüber nachzudenken und in irgendwelchen emotionalen Momenten stecken zubleiben. Dafür ist Ellen als Gehilfen perfekt, sie quasselt einen so voll, das man bemüht ist ihr zuzuhören und einfach nur einpackt ohne groß darüber nachzudenken , man sortiert auch automatisch aus, was auch ein guter Nebeneffekt ist, wenn man ihr zuhören möchte. Ellen bemängelt die Unachtsamkeit von ihrem Freund und das sie sich mehr in einer Beziehung vorstellt, als mit Mitte zwanzig samstags auf der Couch zu liegen. Da könnte man ja direkt ein Baby machen, wenn man nur noch zuhause hocken möchte, natürlich bemerkt sie mein geschockten, schiefen blick. Eine prompte Entschuldigung und „bei dir ist das nicht so" herausreden, Switcht sie um. Aber irgendwie hat sie recht, man ist nicht so aktiv wie früher, kann man auch nicht sein und es ist auch gut so, da sind ganz andere Bedürfnisse die gestillt werden müssen. Die Bedürfnisse deines Kindes, der seine Liebe und Dankbarkeit gerne mit einem Wutausbruch, bockig sein, einem Lächeln oder mit einem sich an sich drücken zeigt. Es ist alles unbezahlbar und es gibt nichts schöneres, trotzdem vermisse ich es abends tanzen gehen, ausgelassen die Musik durch dein Körper gleiten lassen, auch mal was trinken und leicht angedüddelt sein. Manchmal würde ich gerne einfach eine Rucksack packen und wie früher übers Wochenende in die nächst mögliche Stadt reisen und erkunden. Jetzt muss man zwei Tage planen, was nehme ich mit und habe ich auch alles, bloß nichts vergessen, manchmal fehlt mir die Leichtigkeit. Aber so ist das Leben und man muss Prioritäten setzten und meine ist Ben.

Alles ist gepackt und wir werden morgen endgültig umziehen, die stressigen Tage sind aber lange noch nicht vorbei. Was eingepackt wurde, muss ja auch wieder ausgepackt werden und seinen Platz finden. Möbel nehmen wir nicht viele mit, Roman  und ich haben uns neue Möbel gekauft. Das meiste von meinen Sachen habe ich verkauft, nur Ben sein Zimmer kommt mit. Alex sein Motorrad was in der Garage steht, nehme ich auch mit, das Teil hatte ich früher am liebsten verflucht und auf den Schrott geschmissen, weil ich soviel Angst und Respekt vor diesem Teil hatte. Jetzt verbinde ich es nur noch mit gutem, Alex spürte immer die Freiheit auf ihm, so wie er mir das versuchte klarzumachen oder zu erklären, wenn ich wieder motzte. Und jetzt ist mir eins bewusst, wenn das Schicksal zuschlagen möchte, ist es egal wo, wie und warum, es geschieht und hinterlässt Spuren, manchmal schöne Spuren und manchmal Narben die niemals verheilen.

Morgen früh kommt das Umzugsunternehmen um die Kisten und alles was noch so mitgenommen werden soll um Richtung Dortmund zu transportieren. Ben hat den ganzen Tag bei seinen Großeltern verbracht, meine Eltern haben mir geholfen und Roman ist mit seiner Mannschaft unterwegs und kommt morgen Mittag zurück. Ich hole meinen kleinen Spatz ab, ich möchte unsere letzte Nacht in der Wohnung nur mit ihm verbringen, viele haben mir angeboten bei ihnen zu schlafen, aber ich wollte und konnte nicht. Ich stehe vor dem Haus und klingele, mein Herz pocht etwas schneller, da ich Damian sein Auto vor der Einfahrt gesehen habe. Es dauert eine Weile bis die Tür aufgeht, Damian öffnet sie und ist erschrocken als er mich sieht. Er nickt um irgendeine Reaktion von sich zu geben und von mir kommt ein schüchternes „hallo Damian", er dreht sich um, greift nach seiner Jacke die an der Garderobe hängt, dabei ruft er Richtung Flur „ich bin dann weg, bis die Tage". Damian zieht sich seine Jacke, während er aus der Tür läuft an. Er schaut mich nicht einmal an und zeigt keinerlei Emotionen und läuft einfach in Richtung seines Autos. Ich schaue ihm hinterher, es ärgert mich, seine Ignoranz und dieses aus dem Weg gehen. Gerade als ich dann die Tür hinter ihm schließen möchte, mache ich sie wieder auf, sehe ihn kurz vor seinem Auto. Irgendwann müssen wir miteinander reden, er kann nicht ewig schweigen, verbittert sein, er darf sich mir nicht verwehren.

„Stopp Damian, wir sollten miteinander reden! Oder du wirst uns verlieren, mich als Freundin und Ben hätte keine Möglichkeit mit seinem Onkel mehr Zeit zu verbringen!" Damian bleibt stehen, ich laufe zu ihm und ich stelle mich vor ihn, ich sehe wie Tränen über seine Wange laufen. Ich lege meine Arme um seinen Oberkörper, drücke ihn ganz feste an mich. „Bitte Damian, hör auf mich zu ignorieren" flüstere ich ihm zu, ein eiskalter Wind peitsch um uns herum und plötzlich spüre ich seine Arme die mich an ihn ziehen und sein Körper was steif und verbittert wirkte, wird immer lockerer und seine Haut wirkt sanfter. „Es hätte alles anders laufen müssen, Alex hätte bei euch sein müssen!" sagt er sanft und ich antworte „ja, das stimmt! Aber es ist wie es ist und ich bin glücklich mit einem anderen! Aber wir brauchen dich, damit unser Glück vollkommen ist. Wer sonst kann Ben von seinem Papa erzählen, all die Geschichten aus seiner Kindheit, dem Blödsinn den ihr fabriziert habt! Wer wird die Ähnlichkeiten erkennen, keiner kennt Alex so gut wie du, diese ganzen Geheimnisse und Wünsche von ihm! Du bist sein Bruder und ihr hattet die intensivste Zeit miteinander. Dafür kannte ich ihn zu kurz und deine Eltern werden die interessanten Dinge nicht wissen! Verstehst du das? Es ist eine Chance was gutes zu machen!" Damian schaut mich an und lächelt, dabei nickt er mit seinem Kopf. Mein Herz ist erleichtert, manchmal braucht man wirklich seine Zeit, damit es gut werden kann....

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